Wenn Essen krank macht

Nahrungsmittelallergie – wichtige Aspekte für die Praxis

Fortbildung
Ausgabe
2021/02
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2021.10289
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2021;21(02):46-51

Affiliations
Universitätsspital für Rheumatologie, Immunologie und Allergologie, Inselspital Bern

Publiziert am 02.02.2021

Nahrungsmittelallergien (NMA) sind relativ häufige Feststellungen im Praxisalltag. Es gilt zwischen primären und sekundären NMA zu unterscheiden.

Zusammenfassung in drei Sätzen

Nahrungsmittelallergien (NMA) sind relativ häufige Feststellungen im Praxisalltag. Es gilt zwischen primären und sekundären NMA zu unterscheiden. Das kausale Nahrungsmittel soll möglichst identifiziert und danach möglichst nicht mehr konsumiert werden. Patienten mit einer systemischen NMA sind mit Notfallmedikamenten, inklusive einem Adrenalin-Autoinjektor, auszustatten. Bei schwereren NMA oder bei Verdacht auf eine NMA empfiehlt sich eine allergologische Abklärung.

Einleitung

Nahrungsmittelunverträglichkeiten können verschiedene Ursachen haben. Es wird zwischen immunologisch bedingten Nahrungsmittelallergien (NMA) und nicht-immunologisch bedingten Nahrungsmittel-­Intoleranzen unterschieden. Nebst den echten IgE-­vermittelten NMA gehören auch die Zöliakie und die eosinophile Ösophagitis zu den immunologisch-­bedingten Nahrungsmittel-Erkrankungen. Nicht-immunologisch bedingte Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten sind auf toxische (z.B. Pilzvergiftung), pharmakologische (z.B. Histaminliberation) oder enzymatische ­Ursachen (z.B. Laktose-Intoleranz) zurückzuführen (Abb. 1).
Abbildung 1: Einteilung der Nahrungsmittelunverträglichkeiten.
Dieser Artikel befasst sich mit der klassischen, IgE-­vermittelten NMA. Bei IgE-vermittelten NMA besteht eine Sensibilisierung auf Nahrungsmittel-spezifische oder -kreuzreaktive Proteine und Glykoproteine. Kommen beim Essen die in der Schleimhaut liegenden Mastzellen, resp. auf Mastzellen an der Oberfläche gebundenen spezifischen IgE-Antikörper mit den passenden Allergenen in Kontakt, entleeren sich diese und setzen Botenstoffe wie Histamin, Prostaglandine oder Leukotriene frei, welche die klinischen Beschwerden hervorrufen. Neben eher milden Symptomen wie enoralem Pruritus oder Schwellungen (→ orales Kontaktallergiesyndrom [OAS]; Pollen-assoziierte NMA) können seltener auch schwerere Symptome wie Urtikaria, Angioödeme, akuter Bronchospasmus, Erbrechen, Hypo­tonie bis hin zum anaphylaktischen Schock auftreten.
Unterschieden werden primäre und sekundäre NMA. Bei der primären NMA erfolgt die Sensibilisierung in der Regel über den Gastrointestinaltrakt und wird durch hitze- und verdauungsstabile Proteine ausgelöst. Diese NMA geht häufig mit Allgemeinsymptomen einher und wird vor allem bei Kleinkindern, seltener bei Erwachsenen, beobachtet.
Die sekundäre NMA ist meist Folge einer inhalativen Allergie, das heisst sie wird über die Atemwege erworben. Aeroallergene, meist Pollen, sind die wichtigsten Auslöser einer sekundären NMA beim Erwachsenen. Durch kreuzreaktive IgE-Antikörper treten ­allergische Beschwerden nach dem Genuss von Stein- und Kernobst, Gemüse oder Schalenfrüchten (Nüssen) auf, da diese Nahrungsmittel strukturähnliche Proteine wie die Pollen enthalten (Tab. 1 und 2). Die kausalen Proteine sind hitze- und verdauungslabil, weshalb sie in gekochtem oder erhitztem Zustand meist problemlos toleriert werden. Klassisches Beispiel hierfür ist die Birkenpollenallergie, bei der beim Essen eines rohen Apfels ein OAS auftritt, hingegen der Verzehr von ­gekochtem Apfelmus problemlos toleriert wird.
Tabelle 1: Überblick klinisch relevanter pflanzlicher Allergene.
Bei den pflanzlichen Allergenen sind vier verschiedene Proteinfamilien klinisch relevant. 
Das Risiko schwerer Reaktionen nimmt zu: Profiline → PR-10 Proteine → LTP → Speicherproteine.
ProfilinePR-10 Proteine
(Pathogenesis related protein 10)
Bet v1-homologe
LTP
(Lipid Transfer Proteine)
Speicherproteine
Hitze- und Protease-sensible ProteineHitze- und Protease-sensible Proteine Hitze- und Protease-resistente Proteine Hitze- und Protease-resistente Proteine
Sensibilisierung inhalativ (Pollen)Sensibilisierung inhalativ (Pollen) Sensibilisierung evtl. via GI-TraktSensibilisierung in der Regel via ­Gastrointestinaltrakt
Symptome:
OAS
Bei Co-Sensibilisierung mit Bet v1 nicht als relevant beurteilt
Symptome:
OAS, selten ASR
Symptome:
oft ASR, v.a. ­mengenabhängig.
Vorkommen: Mittelmeerländer auch ohne Birkensensibilisierung
Symptome:
meist ASR
Leitallergene:
Bet v2 (Birke), Phl p12 ­(Wiesenlischgras)
Leitallergen:
Bet v1 (Birke)
Leitallergen:
Pru p3 (Pfirsich)
Leitallergene:
Ara h2 (Erdnuss), Jug r1 (Walnuss)
Abkürzungen: ASR = allgemein systemische Reaktion; OAS = orales Kontaktallergiesyndrom.
Tabelle 2: Beispiele ausgewählter pflanzlicher Nahrungsmittelallergen-Komponenten.
ProfilinePR-10 ProteineLipid Transfer ­Proteine SpeicherproteineIdentifizierte Allergene
Cor a2Cor a1Cor a8Cor a9, 11, 14Haselnuss
Mal d4Mal d1Mal d3 Apfel
Gly m3Gly m4 Gly m5,6Soja
Pru p4Pru p1Pru p3 Pfirsich
Ara h5Ara h8Ara h9Ara h1-4, 6,7Erdnuss
Eine Ausnahme kann bei der Sojaallergie beobachtet werden. Das Birkenpollen(Bet v1)-homologe Sojaallergen (Gly m4) wird, je nach Verarbeitung eines Nahrungsmittelprodukts, nicht immer vollständig denaturiert, so dass Personen, die auf Gly m4 sensibilisiert sind, nach dem Konsum von Sojaprodukten (z.B. proteinhaltige Sporternährung, Almased®, Getreideriegel) mit schwerwiegenden Symptomen reagieren können. Bei Erwachsenen spielen zudem oft Co-Faktoren wie Alkohol, Stress (psychisch/physisch), Infekte (v.a. ­virale) oder Medikation (z.B. NSAR, Opiate, Cannabis) eine Rolle. Der Schweregrad einer allergischen Reaktion ist oft abhängig von der konsumierten Menge des Nahrungsmittels sowie dem individuellen Sensibilisierungsgrad, wobei die Schwellendosis von Mensch zu Mensch variiert.

Prävalenz

Je nach untersuchtem Kollektiv und Land variiert die Häufigkeit einer NMA und liegt zwischen 0,1 und 6,0% [1]. Die meisten Untersuchungen gehen von einer NMA-Prävalenz von rund 4% aus, wobei diese bei Kindern generell höher liegt als bei Erwachsenen (6–8% vs. 2–4%). Die häufigsten Auslöser einer primären NMA in Europa sind in Tabelle 3 zusammengefasst. Während bei Kindern Kuhmilch und Hühnerei dominieren, überwiegen bei Erwachsenen Schalenfrüchte (Nüsse), Fisch, Meeresfrüchte und Erdnuss als Hauptquellen [1].
Tabelle 3: Wichtigste Auslöser primärer Nahrungsmittelallergien bei Kindern und Erwachsenen.
Kuhmilch
Hühnerei
Weizen
Soja
Erdnuss
Schalenfrüchte (Nüsse)
Fisch
Meeresfrüchte

Prognose

Bei der primären NMA im Kindesalter kommt es im Verlauf der ersten Jahre oft zu einer Spontanremission. Bei einer Kuhmilchallergie tritt in >80% innerhalb von zwei Jahren eine Toleranz auf. Wurde eine primäre Erdnuss-, Walnuss-, Fisch- oder Schalentier-Allergie diagnostiziert, wird diese wahrscheinlich lebenslang persistieren. Primäre NMA im Erwachsenenalter bleiben in der Regel auch zeitlebens bestehen. Bei sekundären NMA variieren die Symptome nicht nur im Laufe der Jahre, sondern zuweilen innerhalb eines Jahres und werden auch nicht immer wahrgenommen.

Abklärung

Nach einer ausführlichen Anamnese (Symptome, verdächtigte Nahrungsmittel, zeitliche Korrelation zur Nahrungsmittelaufnahme, Co-Faktoren, angewandte Therapie, atopische Disposition) gehört die Dokumentation eines IgE-vermittelten Mechanismus des verdächtigten Nahrungsmittels zur allergologischen Be­urteilung. Der Nachweis einer Sensibilisierung kann mittels Hauttest oder serologisch erbracht werden. Der einfachste und preiswerteste Test ist der Pricktest. ­Dieser kann mit kommerziell verfügbaren Testextrakten oder mit frischen, nativen Lebensmitteln durch­geführt werden. Anzumerken ist, dass in kommerziellen Extrakten bei der Produktion hitzelabile Proteine oft zerstört werden, was zu falsch negativen Testresultaten führen kann. Testextrakte müssen gekühlt auf­bewahrt werden und haben in der Regel ein Haltbarkeitsdatum von wenigen Monaten. Aus Kostengründen ist es für den Allgemeininternisten in der Regel daher nicht sinnvoll, eine Vielzahl von Testextrakten vor­rätig zu halten. Weiterhin ist zu beachten, dass Hauttests sowohl falsch-positiv als auch falsch-negativ ­ausfallen können. Die Fehlerquellen sind zahlreich. Medikamente können die Hautreaktion unterdrücken und zu einem falsch negativen Befund führen, es ­können ­Fehler bei der Durchführung und Ablesung der Hauttests auftreten, Testextrakte können zu alt sein; ­andererseits kann es auch zu falsch-positiven ­Reaktionen kommen (z.B. durch eine «Urticaria factitia»). Zu ­beachten ist, dass ein positives Hauttestresultat nicht gleichbedeutend ist mit einer Allergie, so kann beispielsweise bei Baumpollenallergikern ein positiver Hauttest auf Haselnuss auf kreuzreaktive Antikörper zurückzuführen sein, hinter dem positiven Hauttestresultat kann sich aber auch eine prinzipiell schwer verlaufende primäre Haselnussallergie ver­bergen.
Serologisch können spezifische IgE-Antikörper gegen ein bestimmtes Nahrungsmittel oder gegen spezifische Proteine, resp. Allergene des Nahrungsmittels bestimmt werden. Wichtig ist, dass dem Nachweis einer Sensibilisierung nur dann eine Relevanz beizumessen ist, wenn eine Übereinstimmung mit der Anamnese und/oder einem positiven, kontrollierten Provokationstest besteht. Auch sollte der spezifische IgE Wert in Korrelation zum Gesamt-IgE interpretiert werden. So kann bei sehr niedrigem Gesamt-IgE (<10 kU/l) ein durchaus relevantes spezifisches IgE unterhalb des ­Referenzwerts von 0,35 kU/l liegen. Lassen sich keine spezifischen IgE-Antikörper gegen das vermutete, kausale Nahrungsmittel nachweisen oder ist der Pricktest negativ, so ist eine NMA trotzdem nicht immer ausgeschlossen. Umgekehrt kommt einem leicht erhöhten spezifischen IgE bei einem sehr hohen Gesamt-IgE unter Umständen keine klinische Relevanz zu. Eine Angabe, ab welchem Wert ein spezifisches IgE im Verhältnis zum Gesamt-IgE als klinisch relevant einzustufen ist, ist nicht möglich. Insbesondere bei sehr hohen und sehr niedrigen Gesamt-IgE-Werten ist die Interpretation oft schwierig und nur in Zusammenhang mit der Anamnese möglich.
Gold-Standard zum Nachweis einer NMA ist ein oraler Provokationstest. Für die Praxis bietet sich vor allem die offene Provokation an, bei dem der Patient sieht, was er isst. Diese Provokationen sind aber immer mit einem «Allergierisiko» behaftet, weshalb nur Ärztinnen und Ärzte mit Erfahrung in der Durchführung von Provokationen und Routine in der Therapie von allergischen Allgemeinreaktionen diese durchführen sollten. Liegt ein hoher Verdacht auf eine NMA vor, die durch Hauttest oder serologisch mit Nachweis spezifischer IgE-Antikörper erhärtet werden konnte, sollte in der hausärztlichen Praxis keine Provokation durch­geführt werden. In einigen Labors wird der Basophilen-Aktivierungstest (BAT) zur Diagnose einer NMA angeboten. Diese in-vitro Analyse ist relativ teuer, nur in Einzelfällen hilfreich und braucht Erfahrung in der Interpretation. Daher ist der BAT zum heutigen Zeitpunkt zur Diagnose einer NMA für die Praxis nicht ­geeignet.
Zusammengefasst ist die Interpretation allergologischer Befunde nicht trivial. Der Allgemeininternist sollte die Anamnese erheben, bei Verdacht auf eine Allergie den Patienten mit Notfallmedikamenten ausstatten und zur weiteren Abklärung an einen Allergologen überweisen, der die Allergietestung und Interpretation der Befunde durchführt. Insbesondere bei schwerwiegenden systemischen Reaktionen sollte immer eine spezialärztliche Abklärung erfolgen.

Prozedere

Das einer NMA zugrundeliegende Nahrungsmittel soll möglichst gemieden und nicht mehr konsumiert werden. Im Alltag kann das für die Betroffenen eine grosse psychische sowie soziale Belastung darstellen. Betroffene wie auch Eltern, Betreuer oder Partner müssen lernen, Inhaltsstoffe und Zusammensetzungen von Nahrungsmittelprodukten genau zu lesen. Die europäische Lebensmittelverordnung schreibt die Deklaration von 14 wichtigen Allergenquellen für eine NMA vor (Tab. 4). Erfasst werden dabei nur Allergene, die als Zutat bewusst dem Nahrungsmittelprodukt zugefügt werden. Die Kennzeichnung von «Kontamination» ist nicht gesetzlich geregelt. «Kann ... enthalten» oder «Kann Spuren von … enthalten» bedeutet, dass Nahrungsmittelprodukte aufgrund des Herstellungsprozesses versehentlich mit einem potenziellen Allergen kontaminiert worden sein könnten. Dies kann der Fall sein, wenn auf der Produktionsanlage verschiedene Nahrungsmittelprodukte hergestellt werden.
Tabelle 4: Liste kennzeichnungspflichtiger Nahrungsmittelallergene [8].
 1.Glutenhaltiges Getreide, namentlich Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Dinkel, Kamut oder Hybridstämme davon, sowie daraus hergestellte Erzeugnisse
 2.Krebstiere und daraus gewonnene Erzeugnisse
 3.Eier und daraus gewonnene Erzeugnisse
 4.Fische und daraus gewonnene Erzeugnisse
 5.Erdnüsse und daraus gewonnene Erzeugnisse
 6.Sojabohnen und daraus gewonnene Erzeugnisse
 7.Milch und daraus gewonnene Erzeugnisse (einschliesslich Laktose)
 8.Schalenfrüchte, namentlich Mandeln (Amygdalus communis L.), Haselnüsse ­(Corylus avellana), Walnüsse (Juglans regia), Cashewnüsse (Anacardium occidentale), Pecannüsse (Carya illinoinensis), Paranüsse (Bertholletia ­excelsa), Pistazien (Pistacia vera), Macadamia- oder Queenslandnüsse (Macadamia ternifolia) sowie daraus gewonnene Erzeugnisse
 9.Sellerie und daraus gewonnene Erzeugnisse
10.Senf und daraus gewonnene Erzeugnisse
11.Sesamsamen und daraus gewonnene Erzeugnisse
12.Schwefeldioxid und Sulfite (ab 10 mg/kg bzw. 10 mg/l)
13.Lupinen und daraus gewonnene Erzeugnisse
14.Weichtiere und daraus gewonnene Erzeugnisse
Alle Personen, die eine systemische NMA erlitten ­haben, sollten mit Notfallmedikamenten ausgestattet sein (Tab. 5). Das gilt insbesondere für Patientinnen und Patienten mit einer primären NMA. Neben Antihistaminika und Kortikosteroiden, die sofort nach ­einer versehentlichen Einnahme eines Nahrungsmittel-«Allergens» einzunehmen sind, sollten alle mit ­einem Adrenalin-Autoinjektor ausgestattet sein. Alle Personen, die einen Adrenalin-Autoinjektor rezeptiert bekommen, sind in der Anwendung zu instruieren und in der Handhabung zu schulen.
Tabelle 5: Notfallmedikamente zur Abgabe an den Patienten.
Erwachsene
Antihistaminikaz.B. 2×5 mg Levocetirizin, 2×10 mg Cetirizin
Corticosteroide2×50 mg Prednisolon
Adrenalin-Autoinjektor*0,3 mg i.m (EpiPen®/Jext®)
Kinder
Antihistaminikaz.B. Cetirizin Tropfen 0,25 – 0,5 mg/kgKG,
Levocetirizin ­Tropfen 0,125 – 0,25 mg/kgKG
Corticosteroide2 mg Prednisolon/kgKG
alternativ Betnesol, auflösbare Tabletten 0,3 mg/kgKg
Adrenalin-Autoinjektor *7,5 kgKG–25 kgKG: 0,15 mg, ab 25 kgKG 0,3 mg
* Ein Adrenalin-Autoinjektor sollte dann abgegeben werden, wenn es sich um eine primäre ­Nahrungsmittelallergie handelt oder der Patient schwer reagiert hat. Die Entscheidung, ob ein ­Adrenalin-Autoinjektor indiziert ist oder nicht, fällt nicht immer leicht, im Zweifelsfall sollte ein Adrenalin-Autoinjektor abgegeben werden und anschliessend eine Abklärung durch den Allergologen erfolgen.

Prävention

Es gibt keine Prädiktion, ob ein Kind oder eine Person im Laufe des Lebens eine NMA entwickelt oder nicht. Aktuell wird empfohlen, Säuglinge in den ersten vier Monaten voll zu stillen. Die Einführung der Beikost sollte im vierten und spätestens nach dem sechsten ­Lebensmonat erfolgen. Ist ausschliessliches Stillen in den ersten Monaten aus verschiedenen Gründen nicht möglich, so sollen Kinder mit einem hohen Risiko für die Entwicklung einer NMA bis zum Ende des vierten Monats mit hypoallergener (partiell hydrolysierter) Säuglingsnahrung ernährt werden. Was die Einführung «hochallergener» Lebensmittel betrifft, wie zum Beispiel Erdnuss, wurde über Jahre empfohlen, diese Nahrungsmittel erst nach dem zweiten Lebensjahr ­bewusst zu verabreichen. Mittlerweile gibt es Hinweise, dass eine frühzeitige Einführung hinsichtlich Entwicklung einer NMA sich protektiv auswirken könnte [2, 3]. Ein protektiver Nutzen von Prä- und Probiotika auf die Entwicklung einer NMA konnte nicht nachgewiesen werden [4]. Der Kinderarzt sollte auf Grundlage der aktuellen Empfehlungen der pädiatrischen Gesellschaft die Eltern hinsichtlich Einführung hochallergener Nahrungsmittel beraten. Eine fachspezifische Ernährungsberatung ist dazu in der Regel nicht notwendig.

Allergenspezifische Immuntherapie bei Nahrungsmittelallergien

Bei allergenspezifischen Immuntherapien zur Therapie von NMA handelt es sich um Therapien, die im Rahmen von klinischen Studien durchgeführt werden. Bei Erdnuss-, Hühnerei- und Kuhmilchallergien liess sich bei Kindern im Alter von vier bis fünf Jahren mittels ­einer – meist oralen – spezifischen Nahrungsmittel-Immuntherapie eine Erhöhung der Schwellendosis bis zur Auslösung von objektivierbaren Symptomen erzielen, fraglich ist jedoch, wie lange dieser Effekt nach ­Beendigung der Therapie anhält. Für Erwachsene mit einer NMA kann momentan keine allergenspezifische Immuntherapie empfohlen werden. Zu berücksichtigen ist, dass diese Therapieform mit dem Risiko von ­allergischen Allgemeinreaktionen verbunden ist [5].

Nahrungsmittel-Allergien und Impfen

Influenza-Impfstoffe werden in der Regel in embryonierten (befruchteten) Hühnereiern produziert. Sie enthalten daher geringe Mengen von Ovalbumin (Gal d2), einem Hauptallergen des Hühnereis, das hitzelabil ist. Schwerwiegende allergische Reaktionen auf ­Influenza-Impfstoffe sind jedoch auch bei Personen mit einer Hühnereiweiss-Allergie selten. Es empfiehlt sich aber, dass Patienten mit einer (anamnestischen) schweren Hühnereiweiss-Allergie (Anaphylaxie) möglichst mit einem Influenza-Impfstoff vakziniert werden, der nicht in Hühnereiern produziert wird. Ist kein solcher Impfstoff verfügbar, kann bei den meisten Pat­ienten trotzdem eine Influenza-Impfung erfolgen. Die geimpften Personen sollten danach während rund 30 Minuten «überwacht» werden. Hingegen soll kein intranasaler Influenza-Impfstoff bei Patienten mit einer verifizierten Hühnereiweissallergie verwendet werden, da diese mit einem höheren Nebenwirkungsrisiko für allergische Reaktionen einhergehen.
Der Gelbfieber-Impfstoff wird in Hühnerembryonen produziert. Im Gegensatz zum Influenza-Impfstoff sind bei der Verwendung vom Gelbfieber-Impfstoff schwerere Reaktionen bei Patientinnen und Patienten mit ­einer Hühnereiweiss-Allergie beobachtet worden. Daher sollen Patienten mit einer anamnestischen Hühnereiweiss-Allergie, die eine Gelbfieberimpfung benötigen, vorgängig allergologisch evaluiert werden.
Andere Impfstoffe, die in Hühnerfibroblasten hergestellt werden, wie MMR, Rabies oder FSME, enthalten kaum nachweisbare Spuren von Hühnereiweiss und können verabreicht werden.
Bezüglich Impfungen ist Vorsicht auch bei Gelatine-­allergischen Personen geboten. Diese Patienten sollen nach Möglichkeit mit Gelatine-freien Impfstoffen vakziniert werden [6, 7].
In der Praxis bedeutet dies, dass vor Impfungen eine Hühnereiweiss- oder Gelatineallergie anamnestisch ausgeschlossen werden sollte. Patienten mit einer ­Hühnereiweiss- oder Gelatineallergie sollten mit einem Allergieausweis ausgestattet sein und angehalten werden, diesen vor Impfungen vorzuzeigen.

Nahrungsmittelallergien und ­Medikamente

Insgesamt spielen Nahrungsmittelallergien als Kontraindikation für die Gabe von Medikamenten nahezu keine Rolle. Abgesehen von den eben besprochenen Impfstoffen gibt es ein paar wenige wichtige Ausnahmen, bei denen eine Nahrungsmittelallergie bei der ­Medikamentengabe berücksichtigt werden muss. Hierzu zählt beispielsweise das Biologikum Cetuximab, das bei Säugetierfleischallergikern (Allergen: α-Gal) Anaphylaxien hervorrufen kann.
Andererseits werden viele Medikamente, die Nahrungsmittelbestandteile enthalten, auch von Allergikern oft gut toleriert. Beispielsweise wird Propofol, das Sojaöl enthält, auch von Sojaallergikern toleriert, da im Sojaöl höchstens Spuren von Sojaprotein enthalten sein können.
Dr. med. Cordula Meincke
Inselspital Bern
Freiburgstrasse 18
CH-3010 Bern
cordula.meincke[at]insel.ch
1 Nwaru BI, Hickstein I, Panesar SS, Roberts G, Muraro A, Sheikh A. Allergy. Prevalence of common food allergies in Europa: a systematic review and metaanalysis. 2014;69:992–1007.
2 Du Toit G, Roberts G, Sayre PH, Bahnson HT, Radulovic S, Santos AF, et al. Randomized Trial of Peanut Consumption in Infants at Risk for Peanut Allergy. N Engl J Med February 26. 2015;372:803–13.
3 Du Toit G, Hugh A, Sampson MD, Plaut M, Wesley Burks A, Akdis CA. Gideon Lack. Food allergy: Update on prevention and tolerance. Allergy and Clinical Immunology January 2018;141(1):30–40.
4 Muraro A, Halken S, Arshad SH, Beyer K, Dubois AEJ, Du Toit G, et al. EACCI Food Allergy and Anaphylaxis Guidlines. Primary prevention of food allergy. Allergy. 2014;69:590–601.
5 Pajno GB, Fernandez-Rivas M, Arasi S, Roberts G, Akdis CA, Alvaro-Lozano M, et al. EAACI Guidelines on allergen immuno­therapy: IgE-mediated food allergy. Allergy. 2018;73:799–815.
6 Turner PJ, et al. Safety of live attenuated influenza vaccine in young people with egg allergy: multicentre prospective cohort study. BMJ. 2015 Dec 8;351:h6291.
7 Nilsson L, Brockow K, Alm J, et al. Vaccination and allergy: EAACI position paper, practical aspects Pediatr Allergy Immunol. 2017;28:628–40.
8 VERORDNUNG (EU) Nr. 1169/2011 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1924/2006 und (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 87/250/EWG der Kommission, der Richtlinie 90/496/EWG des Rates, der Richtlinie 1999/10/EG der Kommission, der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 2002/67/EG und 2008/5/EG der Kommission und der Verordnung (EG) Nr. 608/2004 der Kommission.