Die Bedeutung von Präventionsmassnahmen

Hitzebedingte Sterblichkeit im Sommer 2019

Fortbildung
Ausgabe
2021/03
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2021.10296
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2021;21(03):90-95

Affiliations
a Schweizerisches Tropen- und Public Health-Institut, Basel; b Universität Basel, Basel

Publiziert am 02.03.2021

Der Sommer 2019 gilt als drittheissester Sommer seit Messbeginn in der Schweiz. Zwei intensive Hitzewellen mit einer mittleren Maximaltemperatur von 32–34°C prägten die Monate Juni und Juli 2019. Inwiefern diese Hitzewellen zu einer Übersterblichkeit führten, wie das in früheren heissen Sommern ausgesehen hat und inwiefern Hitze-Massnahmen die Gesundheit der Bevölkerung schützen, zeigt folgende Analyse.

Hitze als Gesundheitsrisiko

Hitzewellen und einzelne Hitzetage stellen eine ernst zu nehmende Gesundheitsgefahr dar. Bei hohen Umgebungstemperaturen reguliert der menschliche Organismus die Körpertemperatur durch Schwitzen und erhöhter Hautdurchblutung. Eine übermässige Belastung oder Fehlfunktion dieser Kühlungsmechanismen kann zu Kreislaufproblemen und Flüssigkeitsverlust führen und so Erschöpfung und Hitzschlag auslösen sowie bestehende Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-, Atemwegs-, Nieren- oder psychische Erkrankungen verschlimmern [1–3]. Die Wirkung von hohen Temperaturen auf die Gesundheit zeigt sich am deutlichsten an Hitzetagen. Hitzebedingte Gesundheitseffekte treten aber auch noch verzögert an den darauffolgenden (kühleren) Tagen auf. Warme Nächte sind ein zusätz­liches Gesundheitsrisiko, da die nächtliche Erholung durch die fehlende Abkühlung beeinträchtigt wird [4]. Hitzewellen verursachen in der Schweiz sowohl eine Zunahme der Notfall-Spitaleintritte [5] als auch einen Anstieg der Todesfälle [6–8].
Eine erhöhte Sterblichkeit während Hitzeperioden wird vor allem bei Personen ab 75 Jahren beobachtet. Bei älteren Menschen kumulieren verschiedene Risiken, wie eine altersbedingt erschwerte Anpassungs­fähigkeit an Hitze, körperliche und kognitive Einschränkungen, erhöhte Prävalenzen von chronischen Erkrankungen sowie Medikamenteneinnahme [2, 4]. Dabei zeigt sich häufig, dass je früher im Sommer eine Hitzewelle auftritt, desto grössere Auswirkungen hat sie auf die Gesundheit. Während der warmen Jahreszeit findet ein Adaptionsprozess statt und folglich kommt die Bevölkerung Ende Sommer besser mit ­hohen Temperaturen zurecht. Zudem ist allenfalls anfangs Sommer der Anteil der potenziellen Risikopersonen grösser als im Spätsommer [4–6]. Aber auch wenn einige der hitzebedingten Todesfälle kurz darauf auch ohne Hitze aufgetreten wären, konnte gezeigt werden, dass die meisten verstorbenen Personen noch mindestens ein Jahr länger gelebt hätten [9]. Da durch Hitzebelastung verursachte Todesfälle oft nicht nur um wenige Tage vorverschoben werden, versterben in einem Hitzesommer insgesamt mehr Menschen als sonst.

Massnahmen zur Prävention von hitze­bedingter Krankheit und Sterblichkeit

Um die Gesundheit der Bevölkerung während Hitze­perioden zu schützen, haben die Behörden seit dem ersten Hitzesommer im Jahr 2003 Massnahmen auf drei Ebenen ausgearbeitet (Tab. 1):
1. Bildung und Information;
2. Spezielle Massnahmen während Hitzewellen;
3. Langfristige Anpassung.
Tabelle 1: Massnahmen-Ebenen zum Schutz der Gesundheit vor Hitzeperioden (adaptiert nach [11, 23]).
Ebene1. Bildung und Information2. Spezielle Massnahmen ­während Hitzewellen ­(Extremereignisse)3. Langfristige Anpassung
ZielInformation und Sensibilisierung der Bevölkerung und Akteure des Gesundheitswesens über mögliche ­Gesundheitseffekte und richtige ­Verhaltensweisen bei Hitzewellen.Frühzeitige Warnungen und zeitnahe Massnahmen zur Prävention von hitzebedingter Morbidität und Mortalität.Förderung einer langfristigen ­Anpassung an die zunehmende ­Hitzebelastung in den Städten.
Beispiele• Informationsmaterial und Verhaltensempfehlungen für Akteure des ­Gesundheits- und Sozialsystems
• Aus- und Weiterbildung im Gesundheitswesen
• Informationen zum Thema Hitze und Gesundheit auf kantonaler ­Internetseite
• Sensibilisierungskampagne für ­Menschen, die draussen arbeiten
• Hitzefrühwarnsystem
• Buddy System: Liste vulnerabler Personen und Betreuungs­personen
• Telefon-Helpline
• Zusammenstellung von Infor­mationen zu kühlen Orten, wo sich die Bevölkerung während ­Hitzewellen erholen kann
• Spezifische Massnahmen für ­Personen, die draussen arbeiten
• Städteplanerische Massnahmen zur Reduktion von Hitzestau und Wärmeinseln
• Energieeffiziente Gebäudekühlung
• Klimaschutz
 
In der Schweiz ist es Aufgabe der Kantone, solche Massnahmen umzusetzen. Eine Befragung der Kantonsärztinnen und Kantonsärzte zu Beginn des Jahres 2019 ergab, dass mehr als die Hälfte der Kantone Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor extremer Hitze eingeführt haben. Es bestehen aber deutliche kantonale Unterscheide – vor allem zwischen den Sprachregionen [10]. Während in der Deutschschweiz nur vereinzelt Massnahmen zur Bildung und Information in Kraft sind, sind im Tessin und in der Westschweiz (Kantone Genf, Waadt, Freiburg, Wallis, Neuenburg) sogenannte Hitzeaktionspläne aktiv, basierend auf der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegebenen Empfehlungen für «Heat-Health Action Plans» [11]. Die Pläne der Kantone Waadt, Genf und Tessin gehören in der Schweiz zu den aufwändigsten. Jeweils vor dem Sommer werden Sensibilisierungskampagnen durchgeführt, um Risikopersonen und Gesundheitspersonal über die Gesundheits­risiken von Hitze und zu Verhaltensempfehlungen zu informieren. Während Hitzewellen sind kurzfristige Massnahmen vorgesehen, die vor allem dem Schutz von besonders vulnerablen ­Personen gelten. Alle Hitzeaktionspläne umfassen ein Hitzefrühwarnsystem, das in Zusammenarbeit mit MeteoSchweiz betrieben wird. Das hitzebedingte Krankheitsgeschehen wird überwacht und dient der Massnahmenplanung und -evaluation. Seit dem Sommer 2019 setzt auch der Kanton Zürich im Rahmen des neuen Massnahmenplans zur Anpassung an den Klimawandel neue Aktivitäten zum Schutz der Bevölkerung vor Hitze um [12]. Die Stadt Zürich hat zudem ein Hitzetelefon eingerichtet.
Es gibt Hinweise, dass solche präventiven Massnahmen hitzebedingte Todesfälle verhindern können. So zeigten Vergleiche des hitzebedingten Sterberisikos vor und nach der Einführung von Hitzeaktionsplänen in der Schweiz [4, 13] und in anderen Ländern [14, 15] eine Abnahme der hitzebedingten Übersterblichkeit. Ob diese Beobachtungen ursächlich den einzelnen Massnahmen der Hitzeaktionspläne zuzuschreiben sind oder der dadurch ausgelösten Sensibilisierung für das Thema, ist unklar. Alternativ könnten auch andere zeitgleiche Entwicklungen im Gesundheitswesen, biologische Anpassung oder vermehrte Anwendung von Klimaanlagen in Gebieten mit Hitzeaktionsplänen eine Rolle spielen.

Der Sommer 2019

Der Sommer 2019 gilt zurzeit als der drittwärmste Sommer in der Schweiz seit Messbeginn 1864. Sowohl Ende Juni als auch im letzten Julidrittel wurde die Schweiz von einer siebentägigen Hitzewelle erfasst. Die mittleren Tageshöchsttemperaturen (32–34°C) während den beiden Hitzewellen sind vergleichbar mit den gemessenen Tageshöchsttemperaturen der zehntägigen Hitzewelle im August 2018 und liegen etwas tiefer als während der siebentägigen Hitzewelle im Juli 2015 (33–36°C) [16–18].
Die wärmsten mittleren Tageshöchsttemperaturen wurden zwischen Juni und August im Tessin gemessen, gefolgt von der Genferseeregion und der Nordwestschweiz (Tab. 2). Ähnlich warm war es in den Re­gionen Zürich, Mittelland und Zentralschweiz. Am kühlsten war es in der Ostschweiz. An allen Mess­stationen wurden im Vergleich zum Hitzesommer 2018 mehr Tropennächte registriert. Die meisten solcher warmen Nächte, bei der die Temperatur nicht ­unter 20°C sinkt, gab es im Tessin (n = 30) [19].
Tabelle 2: Temperaturen und Sterblichkeit im Sommer (Juni bis August) 2019 in der Schweiz.
BevölkerungssegmentTageshöchsttemperatur1Nachtminimumtempertur1Sterblichkeit (Todesfälle)
Mittel (Min-Max)Mittel (Min-Max)beobachtet ­Anzahlzusätzliche ­Anzahlzusätzliche
Prozent (95% KI)
Schweiz (Total)25,8 (12,9–37,4)15,7 (7,1–25,2)156145213,5(1,6;5,3)*
Männer75982183,0(0,3;5,6)*
Frauen80163033,9(1,3;6,5)*
0–19 Jahre125–1–1,1(–21,9;19,6)
20–39 Jahre176–34–16,2(–32,2;–0,2)*
40–64 Jahre1759–9–0,5(–6,0;4,9)
65–74 Jahre2321331,4(–3,4;6,2)
75–84 Jahre4203862,1(–1,5;5,7)
≥85 Jahre70304486,8(4,0;9,6)*
Nordwestschweiz26,7 (14,2–37,4)15,2 (8,6–22,4)22271225,8(0,8;10,8)*
Mittelland 25,5 (12,9–35,4)13,8 (8,6–22,4)37621123,1(–0,7;6,9)
Genfersee 27,3 (13,5–36,3)15,2 (8,2–21,3)2651–31–1,1(–5,6;3,3)
Zürich25,2 (14,1–34,7)15,2 (8,8–23,2)26741777,1(2,5;11,7)*
Tessin 28,0 (20,4–34,8)19,0 (13,5–25,2)7788312,0(3,3;20,6)*
Zentralschweiz 25,7 (14,8–35,0)15,4 (8,8–23,3)1356–10–0,8(–7,0;5,5)
Ostschweiz 22,7 (13,4–31,4)14,6 (7,8–23,1)2166683,2(–1,8;8,2)
1 Messstationen: Nordwestschweiz: Basel-Binningen; Mittelland: Bern-Zollikofen; Genfersee: Genf-Cointrin; Zürich: Zürich-Fluntern; Tessin: Lugano; Zentralschweiz: Luzern; ­Ostschweiz: St. Gallen; * statistisch signifikant; p-Wert <0,05; Quelle Temperaturdaten: [19].

Schätzung der Hitze-assoziierten ­Übersterblichkeit im Sommer 2019

Die Auswirkungen des Hitzesommers 2019 auf die Sterblichkeit wurden anhand von Sterbedaten des Bundesamts für Statistik (BFS) untersucht. Wie bei früheren Abschätzungen [6, 8] wurde die Anzahl beobachteter Todesfälle der ständigen Wohnbevölkerung in der Schweiz zwischen Juni und August mit der Anzahl zu erwartenden Todesfälle verglichen. Die Differenz zwischen der Anzahl erwarteter und beobachteter Todesfälle entspricht der Übersterblichkeit (oder allenfalls Untersterblichkeit). Die erwarteten Todesfälle nach Geschlecht, Altersklasse (0–19, 20–39, 40–64, 65–74, 75–84, ≥85 Jahre) und Grossregion (Nordwestschweiz, Mittelland, Zentralschweiz, Zürich, Ostschweiz, Genfersee­region, Tessin) [20] wurden mit Quasi-Poisson-Regressionsmodellen basierend auf den Daten von 2009 bis 2018 geschätzt. Ver­änderungen der Bevölkerung, allfällige Unterschiede der Sterblichkeit nach Wochentag, jahreszeitliche Schwankungen und mögliche mehr­jährige nichtlineare Trends der Sterblichkeit wurden in den Berechnungen berücksichtigt. Details zur Methode sind in [6, 21] publiziert.

Erneute Übersterblichkeit im ­Sommer 2019

Die graphische Auswertung der täglichen Todesfälle im Sommer 2019 zeigt einen Anstieg der Sterblichkeit während den Hitzewellen Ende Juni und im letzten Juli­drittel (Abb. 1). Ein weiterer Anstieg ist Ende August zu beobachten, als die Tageshöchsttemperatur zum ersten Mal unter 20°C fällt. Die Zunahme der Sterb­lichkeit während den beiden Hitzewellen war geringer als bei den Hitzewellen in den Jahren 2003 und 2015 (Abb. 2).
Abbildung 1: Anzahl Todesfälle und Über-/Untersterblichkeit pro Tag während der Sommermonate Juni bis August 2019. Dunkle Linie: Geglättete Kurve der täglichen Todesfälle aus den Mittelwerten von sieben Tagen (je drei Tage vor und nach dem eingezeichneten Wert). Die gestrichelten Linien zeigen die durchschnittliche Tageshöchsttemperatur (rot: T max Tag) und Nachtminimumtemperatur (blau: T min Nacht) an sieben Messstationen. Die rosa Balken markieren die Hitzeperioden (25. Juni bis 1. Juli sowie 20. bis 26. Juli) nördlich der Alpen im Sommer 2019. Die orangen Balken repräsentieren positive Abweichungen zwischen erwarteten und beobachteten Todesfällen (mehr Todesfälle als ­erwartet), die grauen Balken die negativen Abweichungen (weniger Todesfälle als ­erwartet).
Abbildung 2: Anzahl Todesfälle pro Tag für die Jahre 2003 und 2009–2019 in der Schweiz. Geglättete Kurven aus den Mittelwerten von sieben Tagen (je drei Tage vor und nach dem eingezeichneten Wert). Absolute Werte ohne Korrektur für das ­Bevölkerungswachstum.
Über den ganzen Sommer (Juni bis August) 2019 betrachtet starben in der Schweiz im Sommer 2019 rund 520 Personen mehr als basierend auf den vorhergehenden zehn Jahren zu erwarten gewesen wäre. Dies entspricht einer statistisch signifikanten Übersterblichkeit von 3,5% (Tab. 2). Männer und Frauen waren ähnlich betroffen. Am meisten hitzebedingte Todesfälle waren in der Altersgruppe ab 85 Jahren aufgetreten (+448). In dieser Alterskategorie betrug die Übersterblichkeit bei Männer 8,6% und bei Frauen 5,8%. Die Grossregion mit der deutlichsten hitzebedingten Übersterblichkeit (12,0%) war das Tessin – die wärmste Region mit den häufigsten Tropennächten. In der urbanen Region Zürich starben 7,1% und in der Nordwestschweiz 5,8% mehr Personen als zu erwarten gewesen wäre. Für die Genferseeregion wurde trotz hoher Temperaturen keine signifikante Zunahme der Todesfälle beobachtet.

Vergleich zu früheren Hitzeperioden und die Wirkung von Präventions­massnahmen

Im Vergleich zu den zwei bisher wärmsten Sommer 2003 und 2015 war die Hitze-assoziierte Übersterblichkeit im Sommer 2019 und auch schon 2018 deutlich geringer ausgefallen (Tab. 3). Dies obwohl 2018 und 2019 als die bisher viert- und drittwärmsten Sommer nur geringfügig weniger warm waren. Dies deutet darauf hin, dass die in den letzten Jahren ergriffenen Massnahmen und die damit verbundene Sensibilisierung eine präventive Wirkung entfaltet haben.
Tabelle 3: Hitzebedingte Übersterblichkeit in der Schweiz während den bisher vier heissesten Sommer und in den jeweils wärmsten Monaten.
SommerRangfolge der ­heissesten Sommera°C über Norm
(1981–2010)a
Juni–AugustWärmster MonatReferenz­periodeQuelle
Zusätzliche 
Todesfälle 
(Anzahl)Zusatzsterblichkeit (%)MonatZusätzliche ­Todesfälle 
(Anzahl)Zusatzsterblichkeit (%)  
20031+3,69756,9%August 10,9%1993–2002[7]
20152+2,48045,4%Juli57011,6%2005–2014[6]
20184+2,0185b1,2%bAugust177 3,4%2009–2017[8]
20193+2,35213,5%Juli308 6,1%2009–2018 
a gemäss MeteoSchweiz [16–18]; b nicht statistisch signifikant
Auch im Sommer 2019 wurde die Bevölkerung gezielt über hitzebedingte Gesundheitsrisiken informiert. Vor der ersten Hitzewelle im Juni 2019 lancierten die nationalen und kantonalen Behörden Medienmitteilungen, die eine grossflächige Medienberichterstattung über die Gesundheitsrisiken von Hitzewellen zur Folge hatten. Obwohl 2019 die erste Hitzewelle schon relativ früh im Sommer aufgetreten ist, waren die Auswirkungen auf die Sterblichkeit nicht grösser als bei der zweiten Hitzewelle im Juli und kleiner als bei der ersten Hitzewelle im Sommer 2015 [6]. Dies obwohl diese Hitzewellen hinsichtlich Intensität und Dauer vergleichbar waren. Die zeitnahe Bewusstseinsschärfung für richtige Verhaltensweisen während Hitzewellen hat möglicherweise das Risiko für hitzebedingte Todesfälle minimiert.
Die regionalen Analysen der Hitze-assoziierten ­Übersterblichkeit weisen darauf hin, dass kantonale Hitzeaktionspläne vor allem während Hitzewellen die Gesundheit der Bevölkerung schützen. In der Genferseeregion war die Hitzebelastung gross, dennoch wurde keine Übersterblichkeit beobachtet. In dieser Region wird dem Schutz der am meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppen grosse Aufmerksamkeit geschenkt. Im Tessin, der heisstesten Region, war die Übersterblichkeit jedoch trotz vorhandenem Hitze­aktionsplan schweizweit am höchsten. Eine separate Analyse der täglichen Anzahl Todesfälle im Verlauf des Sommers im Kanton Tessin zeigt – im Gegensatz zu ­anderen Regionen ohne Hitzeaktionspläne – während beiden Hitzewellen keine deutlich höhere Anzahl Todes­fälle im Vergleich zum übrigen Sommer [21]. Dies deutet darauf hin, dass auch im Tessin die getroffenen Massnahmen während Hitzewellen effektiv waren und die Todesfälle der anhaltenden Hitzebelastung im Juli geschuldet sind. Die vielen Tropennächte im Verlaufe des Sommers 2019 haben die Situation im Tessin ­möglicherweise zusätzlich verschärft. Auch im Sommer 2018 hat die Sommersterblichkeit während der zehntägigen Hitzewelle im August im Tessin und in der Genferseeregion im Gegensatz zu den Regionen in der Deutschschweiz nicht massgeblich zugenommen [8, 10].
Die altersspezifischen Analysen der hitzebedingten Übersterblichkeit bestätigen erneut ältere Personen als die grösste Risikogruppe von hitzebedingten Gesundheitsschäden in der Schweiz. Menschen ab 85 Jahren waren im Sommer 2019 am meisten betroffen. Im Gegensatz zum Hitzesommer 2015 war die Übersterblichkeit im Sommer 2018 und 2019 in der Altersgruppe 75 bis 84 geringer als in der Bevölkerung über 84 Jahren [6, 8].
Eine Besonderheit des Sommers 2019 ist der kurzfristige Anstieg der Anzahl täglicher Todesfälle ausserhalb der Hitzeperioden infolge grosser Temperaturschwankungen. Nach der Hitzewelle im Juni war ein markanter Temperaturabfall der Tages- und Nachttemperatur sowie ein gleichzeitiger Anstieg der Anzahl täglichen (und zusätzlichen) Todesfälle erkennbar (Abb. 1). Auch Ende August nahm die Anzahl täglicher Todesfälle deutlich zu, als die Tageshöchsttemperaturen erstmals unter 20°C sanken. Kurzfristige Temperaturschwankungen im Sommer gelten als zusätzliches Gesundheitsrisiko [22].

Sensitivitätsanalyse

Bei der Berechnung der Übersterblichkeit können je nach Modellannahmen (Referenzperiode, Berücksichtigung von nicht-linearen Trends) leicht unterschiedliche Ergebnisse resultieren. Für die vorliegende Analyse wurden zehn Jahre (2009–2018) als Referenzperiode gewählt. Da auch die Sommer 2015 und 2018 sehr warm waren, könnte deren Berücksichtigung in der Referenzperiode die Modellierung der erwarteten Sterblichkeit im Sommer 2019 beeinflussen. Das würde ­bedeuten, dass die Anzahl erwarteter Todesfälle höher ausgefallen ist als für «normale» klimatische Ver­hältnisse zu erwarten gewesen wäre. Dies hätte eine ­Unterschätzung der hitzebedingten Sterblichkeit zur Folge. Eine Sensitivitätsanalyse mit Ausschluss der Jahre 2015 und 2018 in der Vergleichsperiode ergab vergleichbare aber leicht tiefere Werte für den Sommer 2019 [21]. Die Sensitivitätsanalyse liefert somit ein Indiz für die Robustheit des statistischen Modells und unterstützt die Hypothese, dass die getroffenen Massnahmen in den letzten Jahren die hitzebedingte Sterblichkeit reduziert haben. Der Rückgang der geschätzten Übersterblichkeit im Jahr 2019 im Vergleich zu 2015 (und 2003) ist daher mit grosser Wahrscheinlichkeit real und nicht auf methodische Unzulänglichkeiten zurückzuführen.

Fazit

Hohe Temperaturen haben auch im Sommer 2019 zusätzliche Todesfälle verursacht. Die grösste Hitze-assoziierte Übersterblichkeit wurde bei der ältesten Bevölkerungsgruppe ab 85 Jahren beobachtet. Insgesamt war der Anstieg der Anzahl täglicher Todesfälle während den beiden Hitzewellen im Sommer 2019 jedoch kleiner als bei früheren Hitzewellen. Dies deutet auf erfolgreiche Massnahmen der Behörden und Sensibilisierung der Bevölkerung für hitzebedingte Gesundheitsrisiken hin. Koordinierte Aktivitäten zur Information der Bevölkerung und Gesundheitsfachpersonen sowie spezielle Massnahmen zum Schutz der Risikopersonen während Hitzewellen – wie sie in Hitzeaktionsplänen vorgesehen sind – sind im Hinblick auf eine zunehmende Hitzebelastung weiterhin zu empfehlen.
Weiter sind langfristige Anpassungsmassnahmen an eine zunehmende Hitzebelastung, die eine über­mässige Erhitzung der Städte und Gebäude verhindert, unerlässlich. Besondere Aufmerksamkeit während heissen Tagen sollten Personen ab 75 Jahre erhalten, insbesondere, wenn sie alleine wohnen. Schutzkonzepte sind für diese Bevölkerungsgruppe während des gesamten Sommers wichtig.
Diese Analyse wurde vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) ­finanziert. Wir danken dem Bundesamt für Statistik (BFS) für die Bereitstellung der Gesundheitsdaten.
Dieser Artikel basiert auf dem auf der Website des National Centre for Climate Services (NCCS) des Bundes (https://www.nccs.admin.ch) publizierten Bericht «Gesundheitliche Auswirkungen von Hitze in der Schweiz und die Bedeutung von Präventionsmassnahmen. Hitzebedingte Todesfälle im Hitzesommer 2019 – und ein Vergleich mit den Hitzesommer 2003, 2015 und 2018 Gesundheitliche Auswirkungen von Hitzesommer und die Wirkung von Präventionsmassnahmen» [21].
Korrespondenz:
Dr. Martina S. Ragettli
Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut
Socinstrasse 57
Postfach
CH-4002 Basel
martina.ragettli[at]swisstph.ch
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