Aus der Praxis

Mehr als ein Fusspilz

Case reports
Ausgabe
2021/04
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2021.10352
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2021;21(04):131-133

Affiliations
a Hausärztin praxis47, Spiez; b FHM Dermatologie, Spiez

Publiziert am 30.03.2021

Die bisher gesunde 50-jährige Familienfrau stellte sich mit einer seit mehreren Tagen bestehenden, stark ­juckenden papulösen Hautveränderung am rechten Fussrücken in der Hausarztpraxis vor.

«Meine Füsse jucken. Ist das Fusspilz?» Diese Frage ­hören Hausärzte oft in der Sprechstunde, häufig auch als «Nebenschauplatz» im Rahmen eines anderen Konsultationsgrunds. Die Diagnose einer Tinea pedis, ausgelöst durch Dermatophyten, wird häufig gestellt. In Deutschland mussten 2018 die gesetzlichen Krankenkassen 89 Mio. Euro für topische Antimykotika aufwenden [8]. Die Mehrheit der Fälle spricht gut auf eine topische Behandlung an. Typische klinische Befunde bei Tinea pedis sind die Einseitigkeit des Befunds, die scharfe Begrenzung, die Randbetonung sowie die ­interdigitale Schuppung. Was aber, wenn die initial einseitig aufgetretene Hautveränderung kurz nach ­Behandlungsbeginn in ähnlicher Form am anderen Fuss und auch an den oberen Extremitäten auftritt?

Fallvignette

Die bisher gesunde 50-jährige Familienfrau stellte sich mit einer seit mehreren Tagen bestehenden, stark ­juckenden papulösen Hautveränderung am rechten Fussrücken in der Hausarztpraxis vor.
Der Lokalbefund am rechten Vorfuss zeigte sich bei Erstvorstellung eher unspektakulär mit trockenen Hautverhältnissen und einzelnen, kaum geröteten ­Papeln. Die interdigitale Schuppung zwischen Dig. I und II (Abb. 1) war der Patientin bisher nie aufgefallen und stand in der ersten Konsultation nicht im Zentrum. In der Anamnese fanden sich keine bekannten Allergien, internistischen Grunderkrankungen, vorausgehenden Hautprobleme oder Hinweise auf Atopie. Die kürzliche Einnahme von Medikamenten, Tierkontakte sowie Auslandaufenthalte wurden verneint, ebenso wie bisherige Fusspilzerkrankungen.
Auch lokale Auslöser wie das Tragen neuer Schuhe, die Verwendung von Salben, Cremes, Lösungen etc. wurden verneint. Das aktuell benutzte Duschgel und Waschmittel wurde in letzter Zeit nicht geändert. Die Patientin fühlte sich insgesamt gesund und verneinte Allgemeinsymptome. Auf eine ausgedehnte internistische Untersuchung wurde angesichts des initial lokalisierten Befunds bei fehlenden Hinweisen auf eine systemische Ursache der Effloreszenz verzichtet. Mit der Arbeitshypothese «dyshydrosiformes Ekzem» wurde eine topische Behandlung mit Betnovate-C® (Beta­methason, Clioquinol) 2× tgl. begonnen.
Abbildung 1: Makulopapulöse Hautveränderung am ­Fussrücken und interdigitale Schuppung.

Kommentar

Das Bild einer Tinea pedis ist allgemein gut bekannt und die Prävalenz hoch [7]. Gleichzeitig liegt nicht bei jedem Patienten, der sich mit Verdacht auf Fusspilz vorstellt, auch tatsächlich einer vor. Die hier geschilderten papulösen, stark juckenden Hautveränderungen und die ­Verneinung von Fusspilz in der bisherigen Anamnese führte dazu, dass die eigentlich pathognomonische interdigitale Schuppung bei der Erstkonsultation nicht beachtet wurde. Die Papeln wurden unter dem Eindruck des starken Juckreizes als beginnende vesikuläre Läsionen ­interpretiert und ein dyshydrosiformes Ekzem diagnostiziert, obwohl keine dyshydrotischen Bläschen vorlagen.
Weitere Differentialdiagnosen [2] wie beispielsweise ein toxisches oder allergisches Kontaktekzem (keine eruierbaren Auslöser), eine Prurigo simplex (zu kurzer Verlauf, hier vorliegende entzündliche Komponente) oder Juckreiz im Rahmen einer internistischen Grunderkrankung wurden mangels anamnestischer oder klinischer Hinweise nicht in Betracht gezogen.

Verlauf

Unter der erwähnten topischen Therapie kam es innert weniger Tage zu einer lokalen Rötung und Zunahme des Juckreizes sowie lokaler Ausbreitung der Papeln. In Anbetracht der deutlichen Verschlechterung wurde Betnovate-C® bei Verdacht auf eine kontaktallergische Reaktion auf Clioquinol gestoppt. Bei nochmaligem Betrachten des Lokalbefunds erschien die interdigitale Schuppung nun doch ausgeprägt und verdächtig auf eine Mykose und es wurden Hautschuppen mit Frage nach Pilz (Direktpräparat) ins externe Labor geschickt. Mit einer antimykotischen Behandlung wurde noch zugewartet.

Kommentar

Die interdigitale Schuppung wurde erstmals beachtet, womit der Verdacht auf eine Mykose ins Zentrum rückte. Die Diagnostik erfolgt in Schuppenmaterial entweder direkt (KOH-Präparat, Ergebnis innert Minuten bei Durchführung in der Praxis bzw. kurz nach Eintreffen im externen Labor) und/oder mittels Kultur (Ergebnis in der Regel innert 2–3 Wochen). Die rasche Verschlechterung wurde auf das topische Kombinationspräparat zurückgeführt. Bei nun mehreren im Raum stehenden Diagnosen wurde auf den Beginn mit einer weiteren Substanz bis zum Vorliegen der Diagnostik verzichtet.
Bereits am Folgetag kontaktierte die Patientin den Arzt privat und berichtete über das Auftreten neuer Papeln am anderen Fuss und beiden Handrücken, was sie stark verunsicherte.
Inzwischen traf der Befund ein, dass im Direktpräparat Pilzfäden nachgewiesen werden konnten. Somit war die Diagnose einer Tinea pedis am Ort der Erstmanifestation gesichert.
Woher aber kamen die Läsionen an den Händen und am anderen Fuss? Mit dem so raschen Auftreten von Läsionen an Stellen, wo gar keine Salbe aufgetragen worden war, war die Verdachtsdiagnose Kontaktekzem unwahrscheinlich (auch Kontaktekzeme können streuen, üblicherweise aber erst nach längerer Expositionsdauer). Als Ursache bot sich aufgrund des zeitlichen Verlaufs und der Verteilung der Läsionen ein immunologisches Phänomen an und brachte uns auf die Verdachtsdiagnose eines Mykids im Rahmen der Tinea pedis. Der telefonisch bzw. per «Foto-Konsultation» beigezogene Dermatologe unterstützte diese Vermutung.

Kommentar

Der Pilznachweis und das disseminierte, symmetrisch an den Extremitäten auftretende Erscheinungsbild lassen eigentlich nur den Schluss auf ein immunologisches Phänomen zu (es sei denn, man postuliert eine zufällige Koexistenz zweier unabhängiger Ursachen).
Id-Reaktionen, auch Autoekzematisationen genannt, sind sekundäre entzündliche Reaktionen auf ein entferntes umschriebenes immunologisches Geschehen. Im engeren Sinne bezieht sich der Begriff auf eine sterile Fernreaktion (im Sinne einer Hypersensitivitätsreaktion) auf ein mikrobielles Antigen (2) (vielen dürften die Begriffe «Syphilid» und «Tuberkulid» geläufig sein). Tritt das Phänomen im Rahmen einer Mykose auf, verwendet man den Begriff Mykid (auch Dermatophytid, falls die Mykose durch Dermatophyten bedingt ist). Bis heute ist die genaue Pathogenese nicht ganz klar, verschiedene Konzepte werden in den Artikeln von Mayser [2] sowie ­Ilkit und Durdu [4] diskutiert. Das kombinierte Auftreten einer Tinea pedis mit einer Fernreaktion im Bereich der Hände ist hier klassisch [2]. Es kommt zu symmetrischen, meist dyshydrosiformen, aber auch wie in unserem Fall makulopapulösen Hautveränderungen. Der starke Juckreiz ist charakteristisch. Zahlreiche weitere klinische Präsentationen wie Lichen trichophyticus, Erythema multiforme oder auch Erythema nodosum sind beschrieben [2, 4].
Kriterien für ein Mykid/Dermatophytid sind [2, 6]:
1. Nachgewiesene, oft entzündliche Mykose an einer anderen Lokalisation.
2. Kein Nachweis von Pilzelementen in den Mykid-­bedingten Effloreszenzen.
3. Oft initiale Verschlechterung unter Therapie mit hoch wirksamen systemischen Antimykotika (Freisetzung grosser Mengen von Erregerantigen).
4. Abheilung nach Therapie der Mykose.
Aufgrund der ausgeprägten Symptomatik wurde eine orale Therapie mit Terbinafin 250 mg 1× tgl. begonnen. Die Patientin wurde über die Möglichkeit einer initialen Verschlechterung unter Terbinafin informiert. Bei starkem Juckreiz, der die Patientin am Schlafen hinderte, erhielt sie zudem ein sedierendes Antihistaminikum (Hydroxyzin) zur Nacht. Im Bereich beider Füsse kam es darunter zu einem raschen Rückgang des Juckreizes und der Läsionen, an den Händen traten jedoch noch über Tage neue, teilweise grosse Papeln auf (Abb. 2). Inzwischen traf das Ergebnis der Pilzkultur ein: beim Erreger handelte es sich um Trichophyton r­ubrum, der in der Regel auf Terbinafin sensibel ist. Auf eine Resistenzprüfung wurde verzichtet.
Abbildung 2: Papeln und Kratzexkoriationen an der Hand.

Kommentar

Die Therapie des Mykids besteht in der topischen oder systemischen Behandlung der auslösenden Mykose. Für die topische Therapie der Tinea pedis werden primär Azole oder Allylamine verwendet. Da es sich bei den entfernten Läsionen um ein immunologisches Phänomen handelt, reicht an diesen Stellen ein topisches Steroid. Bei ungenügender Wirksamkeit topischer Antimykotika kann eine systemische Therapie eingesetzt werden, beispielsweise Terbinafin 250 mg 1× tgl. über zwei Wochen oder Itraconazol 200 mg 2× tgl. über eine Woche [1].
Eine Verschlechterung im Bereich derSekundärläsionen mit Beginn einer antimykotischen (insbesondere einer systemischen) Therapie wird häufig beobachtet. Ursächlich für diesen Effekt ist die verstärkte Antigenfreisetzung während der Behandlung beim Absterben des Pilzes, ­welche die Entzündungsreaktion verstärken kann. Bei lokaler Exazerbation am Infektionsort kann die Behandlung trotz der scheinbaren Verschlechterung der Symptomatik beibehalten werden. Somit sollen die Patienten gut über das Phänomen informiert und aufgeklärt ­werden, um die Compliance zu gewährleisten [5]. Es sind auch generalisierte exanthematische Reaktionen mit gestörtem Allgemeinbefinden beschrieben – hier ist die Abgrenzung von einer Arzneimittelreaktion schwierig und es wird empfohlen, die systemische Gabe des Antimykotikums zu beenden und die Substanzklasse zu ­ändern (Austausch von Terbinafin gegen Azol bzw. ­umgekehrt) [2].
Differentialdiagnostisch muss primär an das atopische Ekzem und an eine Arzneimittelreaktion gedacht werden. Interessant ist auch der umgekehrte Fall: Wenn ein ­dyshydrosiformes, scheinbar atopisches Handekzem trotz korrekter Therapie nicht verschwindet oder immer wieder auftritt, lohnt es sich, eine Tinea pedis zu suchen. Für ein «two-feet-one-hand-syndrome» (Übertragung der Tinea pedis durch Kratzen auf den anderen Fuss und eine Hand) waren die Läsionen am anderen Fuss und den Händen zu rasch aufgetreten.
Da mit erfolgreicher Behandlung der Mykose als Ursache auch die Sekundärläsionen im Verlauf verschwinden, wird das Phänomen der Id-Reaktion in der Praxis wahrscheinlich oft verpasst [2]. Zahlen dazu findet man in der Literatur wenig. In einer Serie mit 213 Patienten mit ­Tinea pedis konnten in 37 Fällen (17%) vesikuläre ­Veränderungen an den Händen im Sinne einer Id-Reaktion festgestellt werden [3].
Den permanenten Juckreiz, eine zunehmende Lichenifizierung sowie die kosmetischen Auswirkungen empfand die Patientin aufgrund der Lokalisation an den Händen als sehr beängstigend und für sie stigmatisierend. Aufgrund der initialen Verschlechterung unter Terbinafin war sie (trotz Aufklärung darüber, dass dies eine zu erwartende Reaktion ist) stark verunsichert, so dass schliesslich doch noch die persönliche Vorstellung beim Dermatologen erfolgte. Er bestätigte eine Mykid-Reaktion, zu diesem Zeitpunkt zudem mit kokardenförmigen Läsionen im Sinne eines Erythema multiforme, welches ebenfalls als Manifestation eines Mykids auftreten kann. Die topische Therapie mit ­Kortikoiden wurde beibehalten, die begonnene orale Behandlung mit Terbinafin sollte für total 14 Tage fortgeführt werden. In den folgenden Tagen kam es zur kompletten, narbenfreien Abheilung der Hautläsionen. In Eigenregie setzte die Patientin das Terbinafin bereits nach 10 Tagen ab. Ein Rezidiv trat glücklicherweise nicht auf.

Take-home message

Beim Mykid treten im Rahmen einer Mykose Hautläsionen an entfernten Stellen auf, oft an den Extremitäten, aber auch am Stamm oder sogar im Gesicht. Es handelt sich hierbei um eine immunologische Reaktion auf ­Pilzbestandteile, die von einer atopischen Dermatitis, einer Arzneimittelallergie oder einem Arzneimittelreaktion unterschieden werden muss.
Wichtigste Therapiemassnahme ist die topische oder systemische Behandlung der zugrunde liegenden Mykose. Die immunologisch bedingten Hautveränderungen enthalten keine Pilzbestandteile und sprechen gut auf ein topisches Glukokortikoid an.
Ein Mykid kann sich unter der antimykotischen Therapie zu Beginn ­verschlechtern. Dieses Phänomen ist bekannt, die begonnene Therapie soll in diesem Fall trotzdem fortgeführt werden.
Ursula Müller, pract. med.
Schulhausstrasse 14
CH-3752 Wimmis
mueller-stucki[at]bluewin.ch
1 Goldstein A, Goldstein B. Dermatophyte (tinea) infections. UpToDate 08/2020.
2 Mayser P. Dermatophytid. Aktuelle Bestandsaufnahme. Der Hautarzt Springer Berlin 2017.
3 Veinen NK, Hattel T, Laurerg G. Plantar Trichophyton rubrum infections may cause dermatophytids on the Hand. Acta Drm Venerol. 1994;74(5):403.
4 Ilkit M, Durdu M, Karakas M. Cutaneous id reactions: a comprehensive review of clinical manifestations, epidemiology, etiology, and management. Crit Rev Microbiol. 2012;38:191–202.
5 Mayser P. Mykosen: Plewig G, Landthaler M, Burgdorf WHC, Hertl M, Ruzicka T (Hrsg). Braun-Falco’s Dermatologie, Venerologie und Allergologie, 6. Aufl. Springer Berlin S. 252–257.
6 AWMF-S1-Leitlinie (013-033). Tinea capitis. 2019.
7 Roseew D. Achilles foot screening project: preliminary results of patients screened by dermatologists. Eur Acad Dermatol Venereol. 1999;12(Suppl 1):S6–9; discussion S17.
8 Häussler B, Hoer A. Arzneimittel-Atlas 2020. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.