Weiter- und Fortbildung aus der Sicht des Nachwuchses

Die fetomaternale Medizin als spannende Herausforderung

Fortbildung
Ausgabe
2021/09
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2021.10354
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2021;21(09):292-294

Affiliations
Masterstudentin Humanmedizin Universität Bern

Publiziert am 31.08.2021

Internistische Probleme in der Schwangerschaft sind keine Seltenheit. Die Gravidität bringt eine grosse Umstellung für den mütterlichen Körper mit sich und birgt somit einige Gefahren. Auch müssen vorbestehende Krankheiten in der Schwanger­schaft meist weiter therapiert werden. Welche Medikamente dazu geeignet sind und wie man vorgehen kann, um Risikosituationen zu minimieren, zeigen KD Dr. med. Barbara F. Bass und Dr. med. Marcella Siegrist anhand von realen Praxis­beispielen in ihrem Referat am KHM-Kongress 2020.

Hyperthyreose in der Schwangerschaft

Eine 31-jährige Primigravida in der Frühschwangerschaft stellt sich beim Hausarzt mit neu aufgetretenem geschwollenem Hals vor. Die Blickdiagnose ist eindeutig. Es handelt sich um eine Struma. Im Labor findet sich eine hyperthyreote Stoffwechsellage; ein Morbus Basedow (positive TRAK-AK) wird diagnostiziert. Die werdende Mutter wird folglich mit dem Thyreostatikum Propylthiouracil 50 mg (Propycil®) behandelt. Die weitere Schwangerschaft verläuft unauffällig. Postpartal wird die Mutter auf Carbimazol 5 mg (Nèo-Mercazole®) umgestellt. Nach kurzer Zeit plant die Patientin eine erneute Schwangerschaft. Vorgängig wurden ihr eine Radioiodtherapie oder Thyreoidektomie empfohlen. Sie lehnte jedoch ab, worauf nun abermals eine Umstellung auf Propylthiouracil 50 mg erfolgt. In der 14. Schwangerschaftswoche zeigt sich eine euthyreote Stoffwechsellage, worauf die Therapie gestoppt wird. Eine erneute Kontrolle einen Monat nach der Geburt zeigt ein Wiederauftreten der Hyperthyreose. Nochmals erfolgt die Behandlung mit Carbimazol 5 mg. Vor der dritten Schwangerschaft entscheidet sich die Patientin für die totale Thyreoidektomie. Es muss von nun an mit L-Thyroxin (Euthyrox®) substituiert werden.

Kommentar

Östradiol fördert die Bildung von TBG (Thyroxin bildendes ­Globulin), welches das spezifische Transportprotein für die Iodothyronine Thyroxin (T4) und Triiodthyronin (T3) darstellt. Jedoch erhöht sich in der Schwangerschaft der Bedarf an T3/T4 um etwa 50% sowie der Iodbedarf, wodurch auch die freien Werte steigen. Dies allein bedingt bereits eine physiologische Vergrösserung der Schilddrüse. Zusätzlich stimuliert das ­steigende HCG ­(humane Choriongonadotropin) in der Frühschwangerschaft die TSH-Rezeptoren (TSH: Thyreoidea-stimulierendes Hormon) der Schilddrüse.

Cave

HCG und TSH zeigen einen spiegelbildlichen Verlauf, da das ­zunehmende HCG über ein negatives Feedback den TSH-Spiegel senkt. Dadurch kann fälschlicherweise eine biochemische Hyperthyreose interpretiert werden, bei welcher jedoch kein Handlungsbedarf besteht.
Seltener gibt es in der Schwangerschaft eine Hypothyreose. Auch dabei ist es wichtig, die entsprechenden Antikörper zu bestimmen (TPO-AK). Denn das Risiko bei einer fehlenden Behandlung geht von der intrauterinen Wachstumsretardierung (IUGR) über Frühgeburtlichkeit (FG), Präeklampsie, Abruptio placentae bis zum intrauterinen Fruchttod (IUFT).
Welche Medikamente sind in der Schwangerschaft geeignet? © Syda Productions | Dreamstime.com
Bei der Therapie in der Schwangerschaft gilt es einige Regeln zu beachten:
– Die Schilddrüsenzielwerte sind die gleichen wie ausserhalb der Schwangerschaft.
– Die medikamentöse Therapie mit Propylthiouracil 50 mg gilt als weniger teratogen als diejenige mit Carbamizol 5 mg.

Cave

– Propylthiouracil ist hepatotoxisch für die Mutter. Deshalb wird empfohlen, die Leber- und Schilddrüsenwerte alle 4–6 Wochen zu kontrollieren. Bei bekannter vorbestehender Hepatopathie sollte die Umstellung von PTU auf Carbimazol im zweiten Trimenon nach der abgeschlossenen Organogenese erfolgen.
– Im letzten Trimenon sollte die Therapie gestoppt werden wegen potenzieller Suppression der fetalen Schilddrüse. Dies ist aber nur verantwortbar, wenn die Schilddrüsenwerte der Mutter dadurch nicht komplett entgleisen. [2, 3, 5]

Hypertonie und Präeklampsie

Eine 34-jährige IIG/IP ist bereits seit vier Jahren in hausärztlicher Behandlung wegen einer primären arteriellen Hypertonie. Die medikamentöse Therapie wird in der Schwangerschaft von Losartan 100 mg auf ­L-Methyldopa 250 mg (Aldomet®) umgestellt. In der 31. Schwangerschaftswoche (SSW) entgleist die Situation mit massiv erhöhten Blutdruckwerten, einem ­rapiden Anstieg der Transaminasen und kaum aushaltbaren Kopfschmerzen. Eine stationäre Aufnahme und Umstellung auf Labetalol 100 mg (Trandate®) und Magnesium i.v. neben Fortführung der Therapie mit L-Methyldopa 250 mg kann die Schwangerschaft bis zur 35. SSW erhalten. Dann folgt die primäre Sectio bei schwerer Präeklampsie. Postpartal werden anhaltend hohe Blutdruckwerte verzeichnet, jedoch keine Proteinurie und die Transaminasen sind rückläufig, worauf vorerst wieder auf Losartan umgestellt werden kann.
Auch bei der erneuten Gravidität kann eine Umstellung auf L-Methyldopa 250 mg und Labetalol 100 mg inkl. prophylaktischer Gabe von Acetylsalicylsäure die Schwangerschaft bis zur 34. Woche erhalten, muss jedoch bei erneuter Präeklampsie durch eine Re-Sectio beendet werden. Postpartal bleibt eine milde Hyper­tonie von 150/80–90 mm Hg unter Losartan 100 mg bestehen.

Kommentar

Eine Hypertonie in der Schwangerschaft sollte immer behandelt werden, da dadurch das Risiko einer Prä­eklampsie minimiert wird. AT-2-Rezeptorantagonisten (Sartane) sind in der Schwangerschaft kontra­indiziert, da sie zu Fetopathien führen können. Bei schwerer Hypertonie sollte eine Einstellung mit L-Methyldopa und evtl. kombiniert mit Calciumantagonisten (Nifedipin; wird ebenfalls als Tokolytikum eingesetzt) erfolgen, bei einer leichten Hypertonie sind β-Blocker oder Calciumantagonisten ausreichend. Ausserdem sollte bei allen Antihypertensiva beachtet werden, dass sie unter Umständen eine Präeklampsie verschleiern können. Zusätzlich sollte bei Zustand nach Präeklampsie, unabhängig von einer Hypertonie, Acetylsalicylsäure niedrig dosiert (Aspirin cardio®) verabreicht werden. Dieses kann, wenn es vor der 16. SSW ­begonnen wird, zu einer signifikanten Reduktion der Präeklampsie vor der 37. SSW beitragen (ASPRE-Studie: ASpirin for evidence-based PREeclampsia prevention [1]), sollte ­jedoch in der 34. SSW gestoppt werden, um einen starken Blutverlust bei der Geburt zu vermeiden. [1–5]

Schwangerschafts-Asthma?

Eine 26-jährige IIG/IP in der 10. SSW kommt in die ­Praxis mit persistierenden Hustenattacken bei vor­bekanntem Asthma bronchiale und persistierendem Nikotin­abusus. Sie wird mit Symbicort® Turbohaler® (Budesonid und Formenterolhemifumarat) eingestellt. In der 20. SSW kommt es erneut zu Asthmaexazerbationen mit massiven Hustenattacken mit konsekutiven Uteruskontraktionen. Unter 25 mg Prednison erholt sich die kritische Lage, jedoch exazerbiert die Patientin in der 32. SSW erneut massiv. Daraufhin wird Prednison auf 50 mg erhöht, es erfolgt ein pneumologisches Konsil und es werden engmaschige Kontrollen in der Frauenklinik angeordnet.

Kommentar

Asthma ist die häufigste Störung des respiratorischen Systems in der Schwangerschaft. Der Verlauf lässt sich dabei nicht vorhersagen. Unbehandelt steigt nicht nur das Risiko für eine Präeklampsie, sondern auch für Gestationsdiabetes, IUGR, FG, IUFT und für eine Sectio.
Therapie der Wahl sind β-2-Sympathomimetika und Corticosteroide. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass β-2-Sympathomimetika genau wie Theophyllin wehen­hemmend sind und daher gegen Ende der Schwangerschaft reduziert werden müssen. Die systemischen Corticosteroide werden zudem als Lungenreifungs­induktion genutzt. [2, 3, 5]

HIV in der Schwangerschaft

Eine 27-jährige IG/0P, ursprünglich aus Eritrea stammend, mit kongenitaler HIV-Infektion, steht unter ­antiretroviraler Therapie mit Emtricitabin und Tenofovir Alafenamid (Descovy® 200/25). Darunter wird sie schwanger und auf Emtricitabin und Tenofovir Disoproxil (Truvada® 245 mg/200 mg) und Nevirapin (Viramune® retard 400 mg) umgestellt. Sie entwickelt in der 37. SSW eine schwere Präeklampsie mit Blutdruckwerten um 210/100 mm Hg und massivster Proteinurie; die Schwangerschaft wird per Sectio beendet.
Es wird der Mutter empfohlen, aufgrund der HIV-­Medikamente abzustillen.

Kommentar

Bei einer unbehandelten HIV-Infektion besteht ein erhöhtes ­Risiko der Übertragung aufs Kind. Durch die Behandlung besteht in der Schwangerschaft ein erhöhtes Risiko für die Mutter für eine Schwangerschafts­hypertonie, Präeklampsie, Cholestase und Hepato­pathie. Da zudem das Risiko für IUGR, IUFT und FG besteht, ist eine engmaschige Überwachung sehr wichtig. Beratungen zur Behandlung sollten vor der Schwangerschaft erfolgen, damit es nicht zu Missbildungen wie Neuralrohrdefekten im ersten Trimenon kommt. Die Compliance ist dabei enorm wichtig und eine entsprechend anspruchsvolle Aufgabe, welche spezielle Betreuung erfordert. Bei zu später Umstellung der ­Medikamente kann ein sonographisches Missbildungs-Screening durchgeführt werden.
Die Indikation für eine primäre Sectio bei HIV-Infektion hängt von der Viruslast ab. Eine zusätzliche antiretrovirale Therapie (ART) intrapartum muss interdisziplinär besprochen werden. [6]

Psychopharmaka in der Schwangerschaft

Eine 36-jährige plant ihre erste Schwangerschaft. Wegen schweren Kindheits-Belastungsfaktoren, häuslicher Gewalt, chronischer schwerer Anorexie und Bulimie mit Depression und Suizidalität war sie bereits mehrfach psychiatrisch hospitalisiert. Zur Stabilisierung ­ihrer Psyche nimmt die Patientin seit mehreren Jahren Citalopram (Selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, SSRI) ein, das sie auch in der Schwangerschaft ungehindert weiter einnehmen kann.

Kommentar

Psychiatrische Leiden sollten in der Schwangerschaft nicht unbehandelt bleiben, da sie zu chronischem Stress mit Erhöhung des Cortisols führen. Dieser Cortisolanstieg kann zu ­einer vorzeitigen Wehentätigkeit, IUGR, FG, Gestationsdiabetes, erhöhtem Cortisol beim Kind und einer verminderten Plazentadurchblutung führen. Die Medikation sollte präpartal nicht ausgeschlichen werden, da dies eine postpartale ­Depression begünstigen kann. Einzelpräparate dürfen auch in der Stillzeit eingenommen werden, jedoch rät die Expertin von mehreren psychoaktiven Substanzen in Kombination ­wegen fehlender Studienlage ab.
Eine präkonzeptionelle Umstellung von Psychopharmaka auf solche, bei denen die geringsten Risiken für die Schwangerschaft bekannt sind (Escitalopram, Sertralin) ist optimal. ­Allerdings sollte eine bewährte, gut wirksame pharmakologische Therapie in der Schwangerschaft nicht umgestellt werden, da das Risiko für eine Fehlbildung bei den meisten Psycho­pharmaka als sehr gering eingestuft wird. [5]

Take-home messages

Medikamente in der Schwangerschaft sind immer mit Vorsicht einzusetzen. Dazu ein paar Tipps:
1. Neuroleptikum der Wahl in der Schwangerschaft ist das Quetiapin.
2. Benzodiazepine sollten möglichst sparsam eingesetzt werden, da sie vor allem im ersten Trimenon zu Lippen-Kiefer-Gaumenspalte und um die Geburt zu einer kindlichen Atemdepression führen können.
3. Bei den Antiepileptika ist besondere Vorsicht bei Valproat geboten, bei dem das Risiko für Fehlbildungen massiv ansteigt. Aus diesem Grund sollte Frauen im gebärfähigen Alter kein Valproat verordnet werden.
4. Johanniskraut bietet eine weitere Möglichkeit zur Linderung depressiver Symptome, jedoch gibt es sehr wenig Daten zur Verwendung in der Schwangerschaft.
5. Lithium darf weiterhin eingenommen werden, es bedarf jedoch einer häufigen Kontrolle und vor allem im letzten Trimenon und nach Geburt einer Anpassung der Dosis.
6. Stets ein wertvoller Ratgeber bei Unsicherheiten: www.embryotox.de
Jasmin Borer
Managing Editor
­Primary and Hospital Care
EMH Schweizerischer ­Ärzteverlag
Farnsburgerstrasse 8
CH-4132 Muttenz
office[at]primary-hospital-care.ch
1 O’Gorman N, Wright D, Rolnik DL, Nicolaides KH, Poon LC. Study protocol for the randomized controlled trial: combined multimarker screening and randomized patient treatment with ASpirin for evidence-based PREeclampsia prevention (ASPRE). BMJ Open. 2016;6:e011801.
2 Fabel G. Medikation in Schwangerschaft und Stillzeit. München; Wien; Baltimore: Urban und Schwarzenberg; 1998.
3 Schaefer, C, Spielmann H, Vetter K, Weber-Schöndorfer C. Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit. Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH; 2012.
4 Handbuch Geburtshilfe, Universitätsspital Zürich, Ausgabe 2018.
5 Cochrane Library: www.cochranelibrary.com.
6 Leitlinien Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe SGGG