Aus der Praxis

Schilddrüsenknoten: Strategie für die Diagnosestellung

Fortbildung
Ausgabe
2021/08
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2021.10373
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2021;21(08):266-268

Affiliations
a Servizio di diabetologia e endocrinologia, Ente Ospedaliero Cantonale, Ospedale Regionale di Lugano

Publiziert am 04.08.2021

Schilddrüsenknoten kommen häufig vor. In der grossen Mehrheit der Fälle sind sie gutartig und wirken sich nicht auf die Schilddrüsenfunktion aus. Wie kann in der Praxis vorgegangen werden, um einerseits Überdiagnostik und Übertherapie von Läsionen mit geringem Risiko zu vermeiden und andererseits eine allfällige Krebserkrankung sicher zu erkennen?

Einleitung und Epidemiologie

Schätzungen zufolge weisen 60 bis 70 von 100 Erwachsenen mindestens einen Schilddrüsenknoten auf. In der grossen Mehrheit der Fälle sind sie gutartig und die meisten Betroffenen gelten als euthyreot. Bei 12% dieser Personen tritt ein Schilddrüsenkarzinom auf, das meist papillär und wenig aggressiv ist.
Das Schilddrüsenkarzinom ist die häufigste endokrine Neoplasie und macht 12% aller soliden Tumoren aus. Die jährliche Inzidenz des Schilddrüsenkarzinoms schwankt je nach Register zwischen 6 und 18 Personen pro 100 000 Einwohner. Den grössten Anteil haben der papilläre und der follikuläre Typ, die zusammen 90% der Schilddrüsenkarzinome ausmachen; sie werden als differenzierte Schilddrüsenkarzinome (DSK) bezeichnet. Der anaplastische Typ macht 1% der Schilddrüsenkarzinome aus. Dabei handelt es sich um die sehr aggressive Endform der Entdifferenzierung des follikulären Schilddrüsenkarzinoms. Auf das medulläre Schilddrüsenkarzinom (MSK) entfallen rund 23% der bösartigen Schilddrüsenneoplasien. Das MSK ist gut differenziert und geht von den parafollikulären Zellen der Schilddrüse («C-Zellen») aus. In etwa 75% der Fälle tritt es sporadisch auf, die übrigen Fälle gehören zu den autosomal-dominanten Erbkrankheiten (MEN 2 – multiple endokrine Neoplasie Typ 2). Im Allgemeinen verhält sich das MSK aggressiv; wird es frühzeitig erkannt, kann sich die Prognose verbessern, da das histologische Stadium und das Alter zum Zeitpunkt der Diagnose wichtige Faktoren sind.

Befragung und klinische Untersuchung

Bei einem Schilddrüsenknoten ist eine gezielte Anamnese wichtig: Es wird gefragt, wann der Knoten festgestellt wurde, wie sich seine Grösse entwickelt hat und ob Kompressionssymptome wie Dysphagie, Dyspnoe und Dysphonie auftreten. Man kann prüfen, ob ein Pemberton-Zeichen (s. u.) nachweisbar ist: Dieses weist auf eine intrathorakale Venenstauung hin, etwa durch einen voluminösen Knoten im unteren Teil der Schilddrüse oder eine ins Mediastinum reichende Struma.
Im Rahmen der Anamnese sollte zudem ermittelt ­werden, ob Symptome von Hyper- oder Hypothyreose bestehen, ob es in der Kindheit zu einer Strahlenexposition im Halsbereich gekommen ist und ob in der ­Vergangenheit Eingriffe an der Schilddrüse oder am Hals vorgenommen wurden. Ebenfalls gefragt werden sollte nach allfälligen Episoden von Flush oder Durchfall, was auf eine Hyperthyreose oder Calcitonin-­Hypersekretion hindeuten kann. Bei der Familienanamnese sollte man das Augenmerk darauf legen, ob in der Familie Fälle einer Schilddrüsenneoplasie oder andere endokrine Erkrankungen bekannt sind, die mit einem Schilddrüsenkarzinom in Verbindung stehen können (MEN 2 – multiple endokrine Neoplasie Typ 2).
Bei der klinischen Untersuchung wird die Schilddrüse palpiert, um das Volumen und den Knoten sowie die Konsistenz und die Mobilität beim Schlucken zu prüfen. Eine harte Konsistenz und eine Fixierung am Gewebe sind Zeichen, die auf eine Bösartigkeit hindeuten.

Pemberton-Zeichen

Das Pemberton-Zeichen dient dem Nachweis einer oberen Einflussstauung (Vena-cava-superior-Syndrom). Die Patientin/der Patient wird aufgefordert, beide Arme anzuheben, bis die Unterarme am Gesicht anliegen. Bei einer Raumforderung im Mediastinum kommt es nach ca. einer Minute zu einer lividen Schwellung des Gesichtes und des Halses, manchmal auch zu Atemnot.

Untersuchungen und Behandlung

Schilddrüsensonografie und TIRADS

Die Schilddrüsensonografie (Ultraschalluntersuchung der Schilddrüse) spielt eine wichtige Rolle bei der Einschätzung von Schilddrüsenknoten und der Stratifizierung ihres Malignitätsrisikos [1]. In den letzten Jahren haben mehrere internationale Fachgesellschaften ­Systeme zur Risikostratifikation aufgrund der Schilddrüsensonografie entwickelt (insbesondere das von Horvarth 2009 geschaffene TIRADS [Thyroid Imaging Reporting and Data System]) [2]. Ein standardisiertes Vokabular definiert und veranschaulicht die Schilddrüsenknoten und ermöglicht ihre Einteilung in ­Verdachtsgrade (1 bis 5; von gutartig bis hochsuspekt). Dadurch kann für jeden Knoten das angemessene Vorgehen ermittelt und die Zahl der unnötigen Biopsien bei Knoten mit geringem Risiko verringert werden.
Bei bestimmten sonografischen Merkmalen besteht der Verdacht auf ein Schilddrüsenkarzinom, dazu zählen z.B.:
– Hypoechogenität;
– Höhe grösser als Breite;
– unregelmässige Begrenzung;
– Mikrokalzifizierungen;
– Zeichen einer extrathyroidalen Extension.
In diesen Fällen ist eine ultraschallgezielte Feinnadelpunktion (FNP) angezeigt.

Laborwerte

Neben der Schilddrüsensonografie ist die Bestimmung der Serumkonzentration der Schilddrüsenhormone sinnvoll, um «heisse», also autonom funktionierende Knoten zu identifizieren. Sie sind meist gutartig und erfordern keine Biopsie. Bei Hyperthyreose oder TSH-Werten von <1 mIU/l, die auf einen möglichen autonomen Knoten hinweisen [3], wird der Knoten nicht punktiert, vielmehr ist eine Schilddrüsenszintigrafie in Betracht zu ziehen.
Die Plasmakonzentration von Calcitonin zu messen, bevor der Schilddrüsenknoten bewertet und punktiert wurde, ist umstritten. Bei einer Familienanamnese, die positiv auf ein MSK oder eine MEN Typ 2 ist, wird ­allerdings empfohlen, den Calcitonin-Wert zu bestimmen. Es kann auch die Calcitonin-Konzentration im Spülmaterial der Punktionsnadel bestimmt werden.
Thyreoglobulin ist ein Protein, das von den Schilddrüsenzellen gebildet wird, es gilt darum als Marker für Schilddrüsengewebe. Als Tumormarker sollte es jedoch nicht angesehen werden. Zur Nachsorge nach der operativen Entfernung eines DSK ist Thyreoglobulin hingegen nützlich. Gleichzeitig werden die Thyreoglobulin-Antikörper bestimmt, um sicherzustellen, dass diese negativ sind, und eine mögliche Interferenz mit der Thyreoglobulin-Bestimmung zu vermeiden.

Ultraschallgezielte Feinnadelpunktion (FNP)

Die FNP ist nur bei Knoten notwendig, die verdächtige Merkmale aufweisen und grösser als 1 bis 1,5 cm sind. Sie ist eine einfache, wenig invasive, kostengünstige und rasche Methode mit guter Sensitivität und niedriger Morbidität [1]. Unter den Patientinnen und Patienten, für die eine Behandlung infrage kommen, können so jene ausgewählt werden, die chirurgisch behandelt werden sollten. Allerdings hängt das Ergebnis der FNP von mehreren Faktoren ab, vor allem von der Erfahrung der punktierenden Person, der Punktionstechnik und Vorbereitung des Objektträgers sowie von der Erfahrung der Person, die den zytopathologischen Befund erstellt. Darum ist es in vielen Fällen besser, wenn die Endokrinologin bzw. der Endokrinologe neben der Schilddrüsensonografie die FNP direkt selbst durchführt.

PET-positive Knoten

Durch die Entwicklung hochauflösender Bildgebungsverfahren wie der Sonographie, der Computertomografie (CT), der Magnetresonanztomografie (MRT) und der PET-CT mithilfe von 18F-Fluordesoxyglukose (18F-FDG) haben sich die Diagnose der Krankheiten und die ­Versorgung der Patientinnen und Patienten gewiss verbessert. Gleichzeitig ist dadurch die Zahl der Fälle, in denen eine asymptomatische Läsion, also ein «Inzidentalom», erkannt wurde, signifikant gestiegen. Aufgrund der hohen Inzidenz nodulärer Veränderungen in der Gesamtbevölkerung ist das Schilddrüsen-Inzidentalom mit einer Häufigkeit von 2% ein verbreitetes Szenario. Von diesen mithilfe einer 18F-FDG-PET-CT erkannten Inzidentalomen handelt es sich bei 15–30% um ein Karzinom.
In einer Studie aus dem Jahr 2018 wurde die EU-­TIRADS-Klassifikation mit guten Ergebnissen zur ­Bewertung PET-positiver Knoten eingesetzt [5]. Ein ­SUVmax über 7,1 ist das Element mit der grössten Sensitivität zur Detektion eines Karzinoms, die Spezifität ist dagegen niedrig. Mithilfe der EU-TIRADS-Klassifikation konnten 84% der bösartigen und 95% der gutartigen Knoten richtig identifiziert werden.
Autonome Knoten, die zu 99% gutartig sind, nehmen 18F-FDG auf: Liegt der TSH-Wert bei <1 mIU/l, ist darum eine Szintigrafie angezeigt, um die Autonomie des Knotens zu prüfen.
Die Rolle der FDG-PET-CT ist derzeit noch Gegenstand der Debatten, da sie vielversprechende Ergebnisse bei der Diagnose des Schilddrüsenkarzinoms liefert, aber verhältnismässig kostenintensiv ist.
Die Diagnosestellung bei Schilddrüsenknoten ist in ­Tabelle 1 übersichtlich zusammengefasst.
Tabelle 1: Diagnosestellung bei Schilddrüsenknoten.
AnamneseZeitpunkt der Diagnose des Knotens
Entwicklung seiner Grösse
Dysphonie, Dysphagie, Dyspnoe, Schmerzen
Symptome von Hyper- oder Hypothyreose
Flush oder Durchfall (Calcitonin-Hypersekretion)
Strahlenexposition in der Kindheit
Punktion des Knotens in der Vergangenheit
Familienanamnese
KlinikPalpation des Knotens, Sichtbarkeit
Fixiert oder beweglich beim Schlucken
Pemberton-Zeichen
Palpation geschwollener Lymphknoten
LaborwerteTSH, freies T4 und freies T3
TPO-Antikörper, falls TSH erhöht
Calcitonin-Plasmakonzentration je nach Anamnese
Sonografie und TIRADSEchogenität (iso-, hypo-, hyperechogen)
Allgemeine Beschreibung (einfache Zyste, spongiform, solid, ­gemischt)
Grösse
Form, Verhältnis Breite zu Höhe («höher als breit»)
Kalzifizierungen (Mikrokalzifizierungen, Makrokalzifizierungen, schalenförmig)
Ränder (unvollständiger Halo, unscharfe Abgrenzung und Infiltration)
Vaskularisierung (peripher oder zentral)
Bewertung der Lymphknoten in den zervikalen Kompartimenten
FNPKlassifikation nach Bethesda, TIR
Abkürzungen: TIRADS = Thyroid Imaging Reporting and Data Systems; FNP = Feinnadelpunktion; TIR = Italienische Klassifikation der Schilddrüsenzytologie

Limitationen des TIRADS

Das TIRADS weist potenziell auch Schwächen auf, da es auf der Fachliteratur über die Rolle der Schilddrüsensonografie zur Diagnose von Schilddrüsenknoten in den letzten 20 Jahren beruht. Im Mittelpunkt steht dabei hauptsächlich der Nutzen der Sonografie bei der Diagnose des papillären Schilddrüsenkarzinoms, also des häufigsten und mithilfe einer FNP leicht diagnostizierbaren Schilddrüsenkarzinoms [4]. Das follikuläre Schilddrüsenkarzinom dagegen lässt sich durch eine FNP nicht diagnostizieren (es ist stets «unbestimmt», Bethesda III oder IV), und das MSK kann in lediglich 50% der Fälle mithilfe einer FNP diagnostiziert werden. Es gilt darum festzuhalten, dass in den meisten Studien zur Untersuchung des Nutzens der Sonografie zur Diagnose des papillären Karzinoms die FNP als ­Methode zur Bewertung der Wirksamkeit des TIRADS eingesetzt wurde und man also das follikuläre Karzinom und das MSK beinahe vernachlässigt hat [4]. Seit 2018 arbeitet eine internationale Fachgruppe an einem allgemeingültigen TIRADS, das 2022 verfügbar sein könnte.

Take-home message

• Schilddrüsenknoten kommen häufig vor und sind in der grossen Mehrheit der Fälle gutartig.
• Die Schilddrüsensonografie spielt eine wichtige Rolle bei der Einschätzung von Schilddrüsenknoten und der Stratifizierung ihres Malignitätsrisikos.
• Die FNP ist nur bei Knoten angezeigt, deren Merkmale den Verdacht ­einer Malignität nahelegen oder die laut PET-CT hypermetabol sind.
• Zur Identifizierung eines MSK ist die Bestimmung der Calcitonin-­Konzentration notwendig.
• Wird bei der Palpation eine harte Konsistenz festgestellt, ist dies ein ­Hinweis auf Malignität.
• Jedes Schilddrüsenkarzinom erfordert eine spezielle und multidisziplinäre Behandlung.
Prof. Dr med.
Pierpaolo Trimboli
Servizio di diabetologia e endocrinologia
Ente Ospedaliero Cantonale
Ospedale Regionale di ­Lugano
CH-6900 Lugano
pierpaolo.trimboli[at]eoc.ch
1 Hegedüs L. Clinical practice. The thyroid nodule. N Engl J Med. 2004 Oct 21;351(17):1764–71. doi: 10.1056/NEJMcp031436. PMID: 15496625L.
2 Horvath E, Majlis S, Rossi R, et al. An ultrasonogram reporting system for thyroid nodules stratifying cancer risk for clinical management. J Clin Endocrinol Metab. 2009;94(5):1748–51. doi:10.1210/jc.2008-1724
3 Haugen BR, Alexander EK, Bible KC, et al. 2015 American Thyroid Association Management Guidelines for Adult Patients with Thyroid Nodules and Differentiated Thyroid Cancer: The American Thyroid Association Guidelines Task Force on Thyroid Nodules and Differentiated Thyroid Cancer. Thyroid. 2016 Jan;26(1):1–133. doi: 10.1089/thy.2015.0020. PMID: 26462967.
4 Trimboli P, Castellana M, Piccardo A, et al. The ultrasound risk stratification systems for thyroid nodule have been evaluated against papillary carcinoma. A meta-analysis. Rev Endocr Metab Disord. 2021 Jun;22(2):453–60. doi: 10.1007/s11154-020-09592-3.
5 Trimboli P, Paone G, Treglia G, et al. Fine-needle aspiration in all thyroid incidentalomas at 18 F-FDG PET/CT: Can EU-TIRADS revise the dogma? Clin Endocrinol (Oxf). 2018 Nov;89(5):642–8. doi: 10.1111/cen.13819. Epub 2018 Aug 6. PMID: 30019402.