smarter medicine

SGAIM veröffentlicht weitere Top-5-Liste für die ambulante Allgemeine Innere Medizin

Aktuelles
Ausgabe
2021/05
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2021.10390
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2021;21(05):142-143

Affiliations
Co-Präsidium SGAIM

Publiziert am 04.05.2021

Bei gewissen Behandlungen kann weniger Medizin eine bessere Behandlungsqualität für die Betroffenen bedeuten. Dieses Ziel verfolgt der von der SGAIM mit­gegründete Trägerverein «smarter medicine – Choosing Wisely Switzerland» und sammelt aus allen Fachbereichen fünf medizinische Massnahmen, die in der ­Regel unnötig sind – sogenannte Top-5-Listen. Die SGAIM hat 2014 nicht nur als erste Fachgesellschaft in der Schweiz eine solche Liste erstellt, sondern veröffentlicht nun ihre zweite Liste für die ambulante AIM.

Die Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM) führt den Kampf gegen die medizinische Über- und Fehlversorgung bereits seit vielen Jahren: Als Pionierin veröffentlichte sie bereits 2014 als erste Fachgesellschaft der Schweiz eine Top-5-Liste mit oft unnötigen Massnahmen in der ambulanten Allgemeinen Inneren Medizin (AIM). Zwei Jahre später folgte eine ähnliche Liste für den stationären Bereich. Die nun veröffentlichten zusätzlichen Empfehlungen der zweiten ambulanten Top-5-Liste adressieren Dauerbrenner wie Vitamin-D-Messung, Eisensubstitution oder regelmässige und ausführliche Gesundheitschecks bei asymptomatischen Personen.

Mangelnde Evidenz oder Nebenwirkungen

Nicht erst seit der Coronapandemie nehmen in Arztpraxen Anfragen zu Vitamin-D-Tests zu. Auch die Substitution von Eisen und Anfragen zu MRI des Kniegelenks bei vorderen Knieschmerzen ohne ­Bewegungseinschränkung oder Gelenkserguss ohne vorherige adäquate konservative Behandlung werden häufig durchgeführt. Sie gehören neben regelmässigen, ausführlichen Gesundheitschecks und dem ­Testen oder neu Behandeln von Dyslipidämien bei Personen über 75 Jahren zu den Interventionen mit mangelnder Evidenz über deren Nutzen oder können im schlimmsten Fall Nebenwirkungen zeigen.

Bottom-up statt Expertenpanel

Die fünf Empfehlungen der neuen Top-5-Liste basieren auf einer Studie mit über 1000 Schweizer Hausärztinnen und Hausärzten aus verschiedenen Landesteilen [1]. Sie gaben aus ihrem Praxisalltag Interventionen an, die aus ihrer Sicht für die Patientin oder den Patienten nutzlos oder sogar schädlich sein können. Diese Angaben der Hausärztinnen und Hausärzte wurden nach der Relevanz bewertet, sodass sich fünf Interventionen von praktizierenden Kolleginnen und Kollegen herauskristallisierten anstelle einer Auswahl durch ein Expertenpanel. Dieser Bottom-up-Zugang soll die praktische Umsetzung fördern. Der Vorstand der SGAIM hat die Empfehlungen der Studie von Prof. Dr. Neuner-Jehle et al. kritisch geprüft, überarbeitet und schliesslich verabschiedet.

Die fünf Empfehlungen auf einen Blick

1. Kein Testen und neu Behandeln von Dyslipidämien bei Personen über 75 Jahren in der Primärprävention.
2. Kein MRI des Kniegelenks bei vorderen Knieschmerzen ohne Bewegungseinschränkung oder Gelenkserguss ohne vorherige adäquate konservative Behandlung.
3. Keine Eisensubstitution bei asymptomatischen, nicht anämischen Patientinnen und keine Eiseninfusion ohne vorgängigen peroralen Therapieversuch (ausser bei Malabsorption).
4. Keine Messung von 25(OH)-Vitamin D als Routine bei Personen ohne Risikofaktoren für einen Vitamin-D-Mangel.
5. Keine regelmässigen ausführlichen Gesundheitschecks bei asymptomatischen Personen.
Sie finden die ausführlichen Empfehlungen sowie ausführliche Literatur­angaben unter www.smartermedicine.ch

Kein Zwang, sondern Hilfe im Alltag

Die Top-5-Listen sind dabei als Leitlinien zu verstehen, die ambulant tätige Allgemeininternistinnen und -internisten im Alltag unterstützen. Durch die in einer für Patientinnen und Patienten verständlichen Sprache übersetzten Empfehlungen können diese zudem besser in Entscheidungen miteinbezogen werden und nachvollziehen, wieso nicht jede mögliche Massnahme im konkreten Fall angezeigt ist.

Qualität ist kein Zufall

Ein Kernanliegen der AIM ist die bestmögliche Betreuung und Behandlung der zunehmenden Zahl von ­multimorbiden Patientinnen und Patienten in der Hausarztpraxis und im Spital. Dem Anliegen «Qualität» misst die SGAIM im Rahmen der neuen Strategie 2020–2024 einen besonderen Stellenwert zu. Die dazu eigens entwickelte Qualitätsstrategie verfolgt eine breite ­Palette von Massnahmen und Zielen. Die zusätzliche Top-5-Liste im Bereich ambulante AIM leistet nun einen weiteren wichtigen Beitrag zu einer qualitativ hochwertigen Patientenversorgung im Rahmen der «smarter medicine»-Initiative.
Claudia Schade
Kommunikationsverantwortliche und stellvertretende Generalsekretärin
Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM)
Monbijoustrasse 43
Postfach
CH-3001 Bern
claudia.schade[at]sgaim.ch
1 Neuner-Jehle S, Grischott T, Markun S, Maeder M, Rosemann T, Senn O. What interventions do general practitioners recommend avoiding? A nationwide survey from Switzerland. Swiss Med Wkly. 2020;150:w20283.