Zwei Fragen an Adrienne Schumacher, Pflegefachfrau bei der Spitex AareGürbetal. Sie engagiert sich im Rahmen des NFP74-Projekts in der «Sorgenden Gemeinde Belp».
Wo liegt aus Ihrer Sicht das Potenzial von sorgenden Gemeinschaften für die häusliche Versorgung?
Wenn es gelingt, das Zusammengehörigkeitsgefühl bei der Bevölkerung wieder ins Bewusstsein zu rufen, dann gewinnen wir viel. Ich erlebe immer wieder Klientinnen und Klienten, die sehr zurückgezogen leben. Dabei ist der Mensch ein soziales Wesen: Hat er ein Netzwerk und eine gute Nachbarschaft, spürt er sich als Teil eines Ganzen und bekommt Sicherheit und Vertrauen. Erlebt er, dass ihn andere unterstützen, fühlt er sich beachtet. Kann er selber helfen, fühlt er sich gebraucht. Und ich bin sicher: das wirkt sich positiv auf die Gesundheit aus.
Jeder Mensch hat eine Nachbarschaft. Das ist eine Ressource, die sich noch besser einbeziehen liesse. Es gibt so viele Dinge, die Laiinnen und Laien zum Gesundheitswesen beitragen könnten, schon allein durch mehr Präsenz und Anteilnahme an der eigenen Umgebung. Wenn Nachbarinnen oder Nachbarn zum Beispiel mitbekommen, dass jemand im Haus die Spitex braucht, fragen nur die wenigsten nach, ob auch sie irgendwie unterstützen könnten. In einer sorgenden Gemeinschaft geht es aber genau um kleine Hilfeleistungen und ums «Zueinander-Schauen».
Wie gelingt es Ihnen konkret, das Thema sorgende Gemeinschaft in die Spitex einzubringen?
Ich persönlich brenne für dieses Projekt, für mich ist das soziale Umfeld etwas Zentrales. Durch meine Mitarbeit im Projekt erhalte ich den Anstoss, dieses Thema immer wieder im Team anzusprechen. Wenig förderlich ist dabei der komplexe Pflegealltag, manchmal steht und fällt alles mit dem Arbeitsanfall, der hohen Arbeitsbelastung – dann hat nichts anderes mehr Platz.
Mir scheint es sehr wünschenswert, dass wir das soziale Netzwerk der Klientin oder des Klienten früh kennenlernen, am besten schon beim Erst-Assessment. Nur so können wir dieses aktiv einbeziehen. Eine Erfahrung aus dem Projekt hat mich hierzu persönlich sehr weitergebracht: Als ich Interviews führte, merkte ich, wie gut es in kurzer Zeit gelingen kann, eine Vertrauensbasis zur Klientin oder zum Klienten zu schaffen, wenn ich genau umgekehrt einsteige als sonst. Also nicht frage: «Welche Tabletten nehmen Sie? Wie viele Operationen hatten Sie schon?», sondern mich von der ersten Minute an für den Menschen und sein soziales Netz interessiere. Dann entsteht ein anderes Bild von dieser Person, eine andere Aufmerksamkeit – und auch Vertrauen.
Hoffentlich können wir irgendwann sagen: Sorgende Gemeinschaft ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken!