Nachwuchsförderung

Aktuelles
Ausgabe
2021/08
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2021.10429
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2021;21(08):246-248

Affiliations
Vize-Präsidentin mfe

Publiziert am 04.08.2021

Die Workeforce-Studie 2020 zeigte weiterhin eine Überalterung der Schweizer Hausärzteschaft. mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz ist sich dieser Situation ­bewusst und engagiert sich seit vielen Jahren auf verschiedenen Ebenen für innovative Lösungen und unterbreitet sie den verschiedenen Entscheidungsträgern und Anspruchsgruppen.

Ausgangslage

Eine funktionierende und qualitativ hochstehende medizinische Grundversorgung ist für das Schweizer Gesundheitswesen zentral. Erfreulicherweise ist das Bewusstsein dafür gestiegen. Der Bundesbeschluss über die medizinische Grundversorgung wurde am ­18. Mai 2014 vom Volk mit einem Ja-Stimmenanteil von 88% angenommen. Die Bundesverfassung wurde in der Folge mit dem Artikel 117a zur medizinischen Grundversorgung ergänzt. Der Artikel verpflichtet Bund und Kantone, für eine ausreichende, allen zugängliche medizinische Grundversorgung von hoher Qualität zu sorgen. Die Hausarztmedizin soll als wichtiger Bestandteil der medizinischen Grundversorgung anerkannt und gefördert werden. Die Weichen müssen früh gestellt werden, um die ärztliche Grundversorgung zu sichern. Erste Möglichkeiten dazu gibt es ­bereits an den Gymnasien und bei der Zulassung zum Medizinstudium.
Die Anzahl der Studienplätze für Humanmedizin wurde bereits erhöht und die Grundversorgermedizin erhält während des Studiums mehr Gewicht. Die Nachwuchsförderung muss während der mindestens fünfjährigen Weiterbildungszeit intensiv weitergeführt werden.
Die Workeforcestudie 2020 zeigte auch sechs Jahre nach der Verfassungsänderung weiterhin eine Über­alterung der Schweizer Hausärzteschaft. Das mittlere ­Alter der Hausärztinnen und -ärzte ist mit 55 Jahren weiterhin hoch. Zwei Drittel sind Männer. Vor allem der Anteil der 30- bis 45-jährigen weiblichen Hausärztinnen nimmt seit 2005 kontinuierlich zu. Die Kinderärzteschaft ist im Schnitt mit 51 Jahren etwas jünger und zwei Drittel sind Frauen.
Eine Mehrheit der Haus- (70%) und Kinderärzteschaft (80%) ist 2020 zufrieden mit ihrer Arbeitssituation. Frauen sind signifikant zufriedener als Männer, ebenso Grundversorger, die in der Praxis Teaching anbieten. Am zufriedensten sind Grundversorgerinnen in Gruppenpraxen und über 65-Jährige. Eine Mehrheit ­arbeitet nicht in einem 100% Pensum. Jeder 5. Hausarzt arbeitet jenseits des 65. Lebensjahres noch.
Im Durchschnitt planen die Haus- und Kinderärzte ihre Praxis im Alter von 66 Jahren zu übergeben bzw. ihre hausärztliche Tätigkeit einzustellen. Im Jahre 2020 sind aber 18,5% der in der Praxis tätigen Hausärztinnen und 6,5% der Kinderärzte jenseits des 65. Altersjahres. Das heisst, bei den Hausärzten wird fast 20% der hausärztlichen Workforce von über 65jährigen geleistet.
Die Einzelpraxis wird zunehmend zum Auslaufmodell. Seit 2005 hat sich der Anteil an Gruppenpraxen bei den Hausärztinnen von 12% auf 45% erhöht. Im Jahre 2020 arbeitet nur noch jeder 3. Hausarzt in einer Einzelpraxis, jeder 5. in einer Doppel- und fast die Hälfte in einer Gruppenpraxis. Auch Kinderärztinnen arbeiten zu 75% in Doppel- oder Gruppenpraxen.
Wenn inskünftig 20% der Medizinstudierenden nach ihrer Weiterbildung in die Grundversorgung einsteigen (realistisch gemäss [1]) und die von swissuniversities geplante Aufnahmekapazität für medizinische Studiengänge an Schweizer ­Universitäten erreicht werden, würde der Grundversorgerbestand wegen der Pensionierung von heute ­tätigen Haus- und Kinderärzten bis 2030 um knapp 5% schrumpfen. Bis im Jahre 2040 könnte der heute bestehende Mangel an Grundversorgern bei Eintreffen der obigen Annahme aufgefangen werden.
Entscheidend in der Nachwuchsförderung ist, dass wir während des Studiums für diese Laufbahn werben, dass Praktika in Arztpraxen zu einem obligatorischen Teil des Studiengangs gehören und die beruflichen Rahmenbedingungen attraktiver werden.
Die Zunahme des Frauenanteils, der Teilzeittätigkeit, der Gruppenpraxen und die Berufstätigkeit nach 65 Jahren werden in den kommenden Jahren die Grundversorgung prägen und müssen auch bei der Nachwuchsförderung beachtet werden.
Die BIHAM-Studie «Mentale Gesundheit der nächsten Hausärztegeneration» [2] zeigt auf, dass 49% der zukünftigen resp. jungen Hausärzte über hohe Stresslevels berichten, 45% ungenügend Zeit neben der Arbeit haben, 17% schon einmal ein Burnout hatten und 8% oft oder sehr oft darüber nachdenken, den Beruf zu verlassen.
Dem Bedürfnis der Work-Life-Balance der jüngeren Generation muss auch bei der Nachwuchsförderung Rechnung getragen werden.

Wo setzen wir an?

Ausbildung

Studierende der Medizin müssen diesen anregenden und interessanten Beruf schon während ihrer Ausbildung kennen und schätzen lernen. mfe engagiert sich dafür, dass die Haus- und Kinderarztmedizin ab Studienbeginn vorgestellt und gefördert wird. Auch die Wahl der Lehrkräfte ist ein entscheidender Faktor. Die Lehrbeauftragten für die Ausbildung von Haus- und Kinderärztinnen müssen Vorbilder sein, die mit ­Enthusiasmus und pädagogischer Kompetenz Begeisterung für diesen Beruf wecken. Gleichzeitig müssen die Studierenden sich durch wiederholte Praktika in Arztpraxen so früh wie möglich mit dem Beruf des Hausarztes vertraut machen können. Daher fordert Haus- und Kinderärzte Schweiz, dass der Studiengang eine ausreichende und angemessene Anzahl Praktika in den Praxen der Lehrenden anbietet, unterstützt durch die Finanzierung einer Stelle für das Mentoring der künftigen Allgemeinmedizinerinnen und Kinderärzte.
Die Grundversorgermedizin erhält während des Studiums mehr Gewicht. 
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Weiterbildung (postgradual)

Während der Weiterbildung haben Ärztinnen die Möglichkeit, sich als Haus- bzw. Kinderärztinnen zu spezialisieren. Diese Spezialisierung ist eine der Säulen des schweizerischen Gesundheitssystems, die eine hochwertige, für alle zugängliche und erschwingliche Grundversorgung sicherstellt. Haus- und Kinderärzte Schweiz engagiert sich für eine hochwertige, attraktive und interessante hausarztmedizinische Weiterbildung. Um alle Facetten dieses faszinierenden Berufsstandes, der sämtliche Bereiche der Medizin umfasst, aufzuzeigen, braucht es Praxisassistenzprogramme, damit sich ein Arzt in Ausbildung die erforderlichen Kompetenzen vor Ort, in den Arztpraxen, aneignen und «Feuer» fangen kann.
mfe unterstützt dieses Vorgehen und engagiert sich für die Anerkennung dieser Art der ambulanten Weiterbildung durch die politischen Entscheidungsträger, damit sie zur Regel werden kann. Wie die Studie des Vereins Junge Hausärztinnen und -ärzte Schweiz (JHaS) zeigt, ist die Assistenz in der Praxis eine zentrale Massnahme zur Nachwuchsförderung von Hausärztinnen. Gemäss dieser Studie arbeiten 42% der früheren Assistenzärzte später in denjenigen Arztpraxen, in denen sie ihre Assistenzzeit absolviert haben: Grund genug, dass die Kantone stärker und anhaltend in diese Programme investieren.

Nachwuchsförderung

Der Beruf des Haus- und Kinderarztes ist für junge Ärztinnen und Ärzte anregend, interessant und attraktiv. Dank unserer berufspolitischen Arbeit der letzten Jahre geniesst er überdies grosse Anerkennung in Bevölkerung und Politik. 2014 wurde die medizinische Grundversorgung in der schweizerischen Verfassung verankert, was unter anderem zu einer finanziellen Unterstützung durch die Einführung des Hausarztzuschlages im TARMED führte. Die Förderung der Forschung in der Haus- und Kinderarztmedizin – und auch der Nachwuchsförderung in diesem Bereich – und ihre Finanzierung sind ebenfalls Teil der politischen Forderungen von Haus- und Kinderärzte Schweiz.Der Verband steht in direktem Kontakt mit den Hausarztinstituten, um diese Fachrichtung auf akademischer Ebene zu unterstützen. Darüber hinaus arbeitet er mit der Politik zusammen, damit jedes Jahr eine ausreichende Anzahl Studienplätze bereitsteht, um den Nachwuchs an Haus- und Kinderärzten sicherzustellen. Ein weiterer Aspekt, der die Nachwuchskräfte ansprechen sollte, ist die hohe Flexibilität, die dieser Beruf bietet. Die Haus- und Kinderärzte bestimmen eigenständig die Struktur, in der sie arbeiten wollen, und ihr Arbeitspensum, für eine bessere Work-Life-Balance.

Internationaler Austausch

Haus- und Kinderärzte Schweiz verfolgt die internationalen Trends in der Haus- und Kinderarztmedizin mit grossem Interesse und pflegt gute Beziehungen zu internationalen und europäischen Gremien. Der Verband sammelt das Wissen über die Modelle, die in anderen Ländern erfolgreich zur Anwendung kommen, passt sie den lokalen Gegebenheiten an und schlägt den politischen Entscheidungsträgern diese neuen Modelle vor.

Kernbotschaften

• Sicherstellung des haus- und kinderärztlichen Nachwuchses durch das aktive Bewerben dieser Fachrichtungen bei Studierenden und in der Politik.
• Obligatorische Praktika in Haus- und Kinderarztpraxen, Entwicklung und Finanzierung entsprechender Angebote.
• Praxisassistenzmodelle müssen in allen Regionen etabliert und durch die Kantone angemessen finanziell mitgetragen werden.
• Förderung der Forschung und Sicherstellung der entsprechenden Finanzierung.
• Zusammenarbeit mit den europäischen und globalen Haus- und Kinderarztorganisationen.
Sandra Hügli-Jost
Kommunikationsbeauftragte mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz
Geschäftsstelle
Effingerstrasse 2
CH-3011 Bern
Sandra.Huegli[at]hausaerzteschweiz.ch
1 Diallo B, Rozsnyai Z, Bachofner M, Maisonneuve H, Moser-Bucher C, Mueller YK, Scherz N, Martin S, Streit S. How Many Advanced Medical Students Aim for a Career as a GP? Survey among Swiss Students. Praxis. 2019; 108 (12): 779–786.
2 Kronenberg R, Streit S. Prim Hosp Care Allg Inn Med. Das mentale Wohlbefinden der ­nächsten Generation Hausärztinnen*. 2019;19(12):365-367.