Der Fall von Arosa – Folge 4

Der schmerzhafte Daumen nach Skikollision einer jugendlichen Skifahrerin

Fortbildung
Ausgabe
2022/12
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2022.10473
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2022;22(12):378-379

Affiliations
a Medizinisches Zentrum Arosa; b Klinik für Plastische Chirurgie und Handchirurgie, Kantonsspital Aarau

Publiziert am 07.12.2022

Der Fall von Arosa – Folge 4

Die jugendliche Skifahrerin (12 Jahre) fährt in der Hocke in einen stehenden Snowboarder hinein. Sie hat keine Commotio, aber Nasenbluten und starke Schmerzen im rechten Daumenballen.

Klinisches Bild

Es liegt eine Schwellung am Thenar vor, mit Schmerzen im Metacarpale I und etwas in der Tabatière sowie Schmerzen bei Daumenopposition, -flexion, -abduktion und -adduktion. Leichte Druckdolenz auch über Köpfchen Metacarpale II.

Bildgebung

Röntgen Hand rechts ap und schräg (Abb. 1).
Abbildung 1: A) Subluxation der Metacarpale Basis I (Kreismarkierung), kleines Knochenfragment auf Höhe der Epiphysenfuge ulnar, entspricht einem ossären Ausriss des Ligamentum intercarpale (Pfeilmarkierung), Verbreiterung des Os trapezium (dicke Pfeilmarkierung), frakturverdächtige horizontale Linie proximal der Epiphysenfuge von Metacarpale II (Ovalmarkierung).
B) Gleiche Markierung wie A), das Schalenfragment auf Höhe der Epiphysenfuge ulnar ist nicht sichtbar in dieser Projektion.

Was sind Ihre Diagnose und das weitere Vorgehen?

Antwort und Synopsis:

Diagnose: 1. Fraktur des Os trapezium mit metacarpo-carpaler (Sub)luxation I (WalkerKlassifikation IIb) mit schalenförmigem Abriss des Ligamentum intermetacarpale I/II; 2. Aitken-I-Fraktur distales Metacarpale II.
Was ist eine
– Os-trapezium-Fraktur? Das ist eine sehr seltene Fraktur des Os trapezium (4% aller Carpalfrakturen) [1]. Das Os trapezium in der distalen Reihe der Carpalknochen ist häufig mit anderen Handgelenksverletzungen assoziiert. Isoliert, vor allem wenn mehrfragmentär, ist es eine Rarität. [2]. Es sind interessanterweise Frakturen, die nach einem Hochenergietrauma (Motorradunfall), aber auch nach einem Niederenergietrauma (Stauchung beim Sturz auf die ausgestreckte Hand, forcierte Dorsalflexion) auftreten können [2]. Nach der Walker-Klassifikation sind dislozierte und vor allem vertikale Frakturlinien als instabil zu werten [3].
Aitken-I-Fraktur: Hier ist die Fraktur am Metacarpale II. Das sind Epiphysenverletzungen. Aitken I ist eine Fraktur der Epiphyse, die noch ein anhaftendes, metaphysäres Fragment hat. In der Salter-Harris-Klassifikation entspricht dies einer Salter II. In der neueren pädiatrischen Literatur werden diese Frakturen als Fugenschaftfrakturen bezeichnet [4]. Bei diesem Frakturtyp werden Wachstumsstörungen im Gegensatz zu höhergradigen Frakturen (dann auch Fugengelenkfrakturen genannt) [4] eher weniger erwartet.
Differentialdiagnose: «reine» Metacarpo-carpale Luxation I, Skaphoidfraktur, traumatisierte Rhizarthrose (Metacarpo-carpal-Gelenk) beim Erwachsenen, Läsion ulnares oder radiales Seitenband MCP-I-Gelenk.
Abklärungen: «Das Verletzungsausmass kann anhand konventioneller Röntgenaufnahmen meist nicht geklärt werden, weshalb eine Computertomographie empfohlen wird» (Abb. 2+3) [5].
Abbildung 2: Man sieht gut, wie die Basis des Metacarpale I (Kreismarkierung) quasi das Os trapezium spaltet (dicke Pfeilmarkierung) und mit dem peripheren Anteil des Os trapezium nach radial rausrutscht. Ebenfalls erkennbar die ossäre Schuppe des Abrisses des Ligamentum intermetacarpale (Pfeilmarkierung).
Abbildung 3: In dieser transversalen Schicht wird die mehrfragmentäre Morphologie (Kreismarkierung) der Trapezium-Fraktur erkennbar.
Vorliegender Fall:
Therapie: Ziel ist die Wiederherstellung der skaphotrapezialen und trapeziometacarpalen Kongruenz, damit die Beweglichkeit und das Bewegungsausmass des ersten Strahls gewährleistet ist [2] Beim Erwachsenen: Schrauben- oder Kirschner-Draht-Osteosynthese [5]. Bei Kindern: ossäre Transfixation (vorliegender Fall Abb. 4 A] und B]), eventuell Fixateur externe [6].
Abbildung 4 A) und B): Geschlossene Reposition (Pfeilmarkierung) und temporäre Drahtfixation zwischen dem Metacarpale I- und II-Schaft (Ovalmarkierung).
Dringlichkeit einer Operation: Nicht dringend. Die Operation sollte idealerweise innerhalb von 7 bis 10 Tagen nach zusätzlicher CT-Abklärung erfolgen. In der Zwischenzeit Ruhigstellung in einer volaren Langfingerschiene mit Einschluss des Daumens.

Zusammenfassung für die Praxis

Die Trapezium-Fraktur mit der zusätzlichen Dislokation im MCP-Gelenk ist sehr selten. Im pädiatrischen Patientengut ist sie eine absolute Rarität [6].
Achtung: Diese Frakturen können übersehen werden! Bei deutlicher klinischer Symptomatik und fehlendem konventionellem radiologischem Korrelat muss unbedingt eine CT-Untersuchung folgen. Das ist im Carpal- wie Tarsalbereich so!
Undislozierte Frakturen werden mit radiologischer Stellungskontrolle nach einer Woche konservativ behandelt.
Dislozierte Frakturen und solche mit einer Luxation im Carpo-Metacarpalgelenk müssen operativ versorgt werden (mehrere Techniken).
Aitken-I-/Salter-II-Fugenschaftfrakturen bei einer Metacarpalefraktur werden konservativ behandelt. Man achte aber auf den Dislokationsgrad.
PD Dr. med. Dominik Heim
Medizinisches Zentrum
Arosa
Poststrasse
CH-7050 Arosa
heim.dominik[at]bluewin.ch
1 Roger J, Mathieu L, Mottier F, et al. Trapeziometacarpal joint dislocation complicated by a trapezium fracture: A case report and literature review. Hand Surg Rehabil 2016;35(4):288–91.
2 Arabzadeh A, Vosoughi F. Isolated comminuted trapezium fracture: A case report and literature review. Int J Surg Case Reports 2021;78:363–8.
3 Walker JL, Greene TL, Lunseth PA. Fractures of the Body of the Trapezium. J Orthop Trauma, 1988;2(1):22–8.
4 Von Laer l, Kraus R, Linhart WE. Frakturen und Luxationen im Wachstumsalter. Thieme Verlag 2013:65.
5 Schädel-Höpfner M, Prommersberger K.J, Eisenschenk AJ, et al. Behandlung von Handwurzelfrakturen. Unfallchirurg 2010;113:741–56.
6 Parker WL, Czerwinski M, Lee Ch. First carpal-metacarpal joint dislocation and trapezial fracture treated with external fixation in an adolescent. Ann Plast Surg 2008;61(5):506–10.