Von der Spezialsprechstunde in die Grundversorgung:

Hausärztinnen und Hausärzte dürfen neu Hepatitis-C-Behandlungen selbst verschreiben

Fortbildung
Ausgabe
2022/12
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2022.10512
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2022;22(12):372-376

Affiliations
a Hepatitis Schweiz, Zürich

Publiziert am 07.12.2022

Eine einfache Diagnostik, eine hochwirksame, unkomplizierte und gut verträgliche Behandlung, die zeitlich begrenzt ist, alles in der Hausarztpraxis durchführbar und von den Kassen bezahlt: Es gibt kaum mehr Gründe, den Richtlinien nicht zu folgen, alle Personen mit chronischer Hepatitis C zu behandeln. Das Programm HepCare unterstützt Grundversorgende auf Wunsch dabei.

Die Folgekrankheiten belasten das Gesundheitssystem

Die Krankheitslast von Hepatitis C ist beträchtlich. Nicht zuletzt, da auch heute noch Diagnose und Therapie einer chronischen Hepatitis-C-Infektion häufig zu spät erfolgen. Zudem standen lange keine guten Therapieoptionen zur Verfügung. So sind bei Personen in Opioid-Agonisten-Therapie, für die Richtlinien seit Jahrzehnten ein jährliches Testen vorsehen, 18% sogenannte Late Presenter [1]. Damit werden Patientinnen und Patienten bezeichnet, die bei Behandlungsbeginn eine bereits fortgeschrittene Leberfibrose (Metavir F3 oder F4) aufweisen und somit auch nach Ausheilung ein erhöhtes Risiko für bleibende Schäden und für die Entwicklung eines hepatozellulären Karzinoms haben.
Das Fehlen von spezifischen Symptomen, der Verlauf ohne eindeutige Krankheitszeichen der langsam fortschreitenden Leberfibrosierung, normale Transaminasen trotz fortgeschrittenem Leberschaden sowie fehlendes Wissen – sowohl bei Patientinnen und Patienten als auch beim medizinischen Fachpersonal – über die heutigen Therapiemöglichkeiten und -Empfehlungen sind die Hauptgründe für die ungenügende Versorgungssituation.
Schwerwiegende Folgen von Hepatitis C sind neben Leberzirrhose und Leberversagen das hepatozelluläre Karzinom (HCC), aber auch Diabetes mellitus, maligne Tumoren ausserhalb der Leber und kardiovaskuläre Ereignisse. Viele Betroffene leiden unter teilweise massiver Fatigue, kognitiven Einschränkungen, Arthritis und gastrointestinalen Beschwerden. Diese häufigen unspezifischen Symptome treten im Verlauf der Infektion schleichend auf und werden oft gar nicht oder erst nach der Ausheilung mit Hepatitis C in Verbindung gebracht..

Menschen aus Italien, den Balkanländern und Portugal

Die Ansteckung mit dem Hepatitis-C-Virus erfolgt in der Regel von Blut zu Blut. Sexuelle Übertragungen sind sehr selten und wurden vor allem bei HIV-positiven Männern, die gleichgeschlechtlichen Verkehr hatten, beobachtet. Häufigste Ansteckungswege neben dem Teilen von Materialien zur Zubereitung und zum Konsum von Drogen sind unsteril durchgeführte Tätowierungen (zum Beispiel im Gefängnis) und Piercings sowie Übertragungen im (zahn)medizinischen Setting oder durch Blutprodukte vor der Entdeckung des Virus und der systematischen Überprüfung von Blutprodukten 1990. Letztere sind vor allem auch bei Menschen, die aus Hochprävalenzländern in die Schweiz eingewandert sind, ein wesentlicher Transmissionspfad.
So sind über 60-jährige Erstgenerations-Migrantinnen und -Migranten aus Italien überdurchschnittlich häufig mit Hepatitis C infiziert. Sie haben sich durch ungenügend steril durchgeführte paramedizinische Injektionstherapien in den 50er- und 60er-Jahren angesteckt, vor allem im Süden des Landes. Aber auch Menschen aus den Balkanländern und aus Portugal sind überproportional betroffen (Abb. 1).
Abbildung 1: Verteilung der im Ausland geborenen Patientinnen und Patienten mit chronischer Hepatitis C nach Herkunftsland und Wohnkanton [2].

Diagnostiziert, aber nicht behandelt

Von den 2021 geschätzten 32 000 Personen in der Schweiz mit einer chronischen Hepatitis C sind 40% nicht getestet [2]. Im Schnitt bedeutet dies, dass in jeder Hausarztpraxis in der Schweiz ein paar unbehandelte Patientinnen und Patienten mit Hepatitis C zu finden sind. Aktuell werden mit circa 900 Personen pro Jahr etwa gleich viele neue Hepatitis-C-Diagnosen gestellt, wie jährlich Behandlungen durchgeführt werden. Bei den neu diagnostizierten Personen handelt es sich fast immer um chronische Fälle, deren Ansteckung länger zurückliegt [3].
Es gibt viele Betroffene, die zwar vor Jahren diagnostiziert wurden, aber für die damalige Interferontherapie nicht qualifizierten. Sie wissen oft nicht, dass Hepatitis C heute einfach und gut verträglich heilbar ist und dass eine erfolgreiche Therapie die möglichen gravierenden Folgen in und ausserhalb der Leber verhindern kann. Aus diesem Grund empfehlen nationale und internationale Richtlinien allen Personen mit einer chronischen Hepatitis C und einer Lebenserwartung von mehr als 6 Monaten eine Therapie, unabhängig vom Zustand der Leber und vom Alter [4].

Einfache Diagnose

Der Nachweis einer Hepatitis-C-Infektion beginnt mit dem HCV-Antikörper-Test (HCV-Ak-Test). Wenn dieser kostengünstige Test (aktuell 22.50 Franken) positiv ausfällt, bedeutet dies, dass die Person Kontakt mit dem Virus hatte. Es folgt die Bestimmung der HCV-RNA zur Detektion oder zum Ausschluss einer chronischen Hepatitis C. Um eine zweifache Blutentnahme zu verhindern, kann beim Auftrag für die Ak-Testung für den positiven Fall gleich die HCV-RNA-Bestimmung mitgeordert und das erforderliche Laborröhrchen in Reserve mitgeliefert werden [5] (Abb. 2).
Abbildung 2: Zur Abklärung einer chronischen Hepatitis C erfolgt eine Antikörper-Bestimmung, im positiven Fall gefolgt von einer HCV-RNA Bestimmung mittels PCR. * Zur Bestätigung einer spontanen Clearance bzw. zum Ausschluss einer niedrig fluktuierenden Virämie sollte eine einmalig negative HCV-RNA nach 4–6 Monaten nochmals bestätigt werden.
** Im Falle einer Risikosituation sollte ein negativer HCV-Antikörper-Test nach 3 bzw. 6 Monaten wiederholt werden, da er anfangs noch falsch-negativ ausfallen kann.
Im Falle einer weniger als 6 Monate zurückliegenden Risikosituation mit Verdacht auf eine akute Hepatitis C muss die Latenz der HCV-Antikörperbildung von circa 2–3 Monaten bei der Diagnostik berücksichtigt werden. Ein negativer Antikörpertest sollte deshalb 3 bzw. 6 Monate nach der letzten Exposition wiederholt werden. Bei Verdacht einer akuten Hepatitis C sollte zusätzlich mittels PCR nach HCV-RNA gesucht werden, die schon 2 Wochen nach einer Exposition nachweisbar sind.
Im Falle eines positiven HCV-RNA-Resultats sollte der Test nach 3 Monaten wiederholt werden, um eine spontane Ausheilung, die in circa 1 von 5 akuten Fällen auftritt, nicht zu verpassen.
Fällt ein HCV-Ak-Test positiv aus, bleibt er dies üblicherweise das ganze Leben lang. Mehrfachbestimmungen von HCV-Ak-Tests sind nicht angezeigt. Bei der Frage, ob eine Reinfektion nach spontaner oder medikamentöser Ausheilung vorliegt, wird direkt der HCV-RNA-Test angewandt.

Wen testen?

Personen mit (auch lange zurückliegenden) Risikosituationen benötigen einen HCV-Ak-Test. Bei anhaltendem Risikoverhalten, beispielsweise bei Personen, die Drogen injizieren, sollte der Test jährlich wiederholt werden. Aufgrund der Jahrgangsverteilung von Hepatitis C in der Schweiz, mit einer deutlich höheren Prävalenz der Jahrgänge 1950–1985 [6], empfiehlt es sich bei Personen, die in diesen Jahren geboren sind, sehr grosszügig zu testen, zum Beispiel im Rahmen eines Check-ups oder eines Kolonkarzinom-Screenings. Auch in den oben erwähnten Populationen mit Migrationshintergrund ist die Indikation zum Testen sehr häufig gegeben.
Personen mit Fatigue, Gelenkschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten oder rechtsseitigen Oberbauchbeschwerden, für die keine Ursache gefunden werden kann, sollten auch auf Hepatitis C getestet werden.

Zirrhose-Ausschluss mit dem APRI-Score

Nach der Diagnose einer chronischen Hepatitis C ist eine Abklärung auf Leberzirrhose wichtig. Dies weniger aufgrund der bevorstehenden Therapie, sondern zur Entscheidung, ob nach Therapie ein Screening auf ein hepatozelluläres Karzinom HCC mit halbjährlicher Ultraschalluntersuchung der Leber erfolgen muss, allenfalls ergänzt durch die Bestimmung des Alpha-Fetoproteins (AFP). Denn auch bei ausgeheilter Hepatitis-C-Infektion besteht bei Patientinnen und Patienten mit höhergradiger Leberfibrose (≥F3) ein HCC-Risiko, obwohl die Therapie dieses Risiko mindert.
In der hausärztlichen Praxis kann durch die Bestimmung der AST (Aspartataminotransferase) bzw. GOT (Glutamat-Oxalacetat-Transaminase) und des Thrombozyten-Wertes mittels Berechnung des APRI (AST to Platelet Ratio Index)-Scores (s. Abb. 3) die Wahrscheinlichkeit für eine Leberzirrhose abgeschätzt werden (Abb. 2). Bei Hepatitis-C-Patientinnen und -Patienten ohne problematischen Alkoholkonsum und ohne weitere Lebererkrankungen kann bei einem APRI-Score <1.0 eine Leberzirrhose mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden [7]. Weitere Abklärungen erübrigen sich in diesem Fall. Bei einem APRI-Score ≥1 wird die Durchführung einer transienten Elastographie (z.B. Fibroscan© oder ARFI©) verbunden mit einer hepatologischen oder infektiologischen Beurteilung empfohlen.
Abbildung 3: Bei einem APRI-Score von ≥1, bei übermässigem Alkoholkonsum oder bei bereits bestehendem Leberschaden sollte eine transiente Elastographie (z.B. Fibroscan©) durchgeführt werden, um eine allfällige Leberzirrhose zu erkennen. Liegt der Wert des APRI-Scores zwischen 0,5 und 1, sollte eine Elastographie in Erwägung gezogen werden.

Therapie

Jeder Person mit chronischer Hepatitis C, die eine Lebenserwartung von mehr als 6 Monaten hat, soll eine Therapie angeboten werden, so sagen es die internationalen Richtlinien [5].
Mit den heute verfügbaren, gegen alle Genotypen des Hepatitis-C-Virus hochwirksamen Kombinationspräparaten – den sogenannten DAAs (direct acting antiviral agents) – können mehr als 95% der Behandelten geheilt werden. Die Kombination Sofosbuvir/Velpatasvir (Epclusa©) wird mit 1 Tablette pro Tag über 12 Wochen verabreicht. Die Einnahme von Epclusa© erfolgt nahrungsunabhängig. Das Kombinationspräparat aus Glecaprevir und Pibrentasvir (Maviret©) wird in den meisten Fällen mit 3 Tabletten pro Tag über 8 Wochen verschrieben. Es muss mit der Nahrung eingenommen werden. Ausnahmen gibt es bei vorbehandelten Patientinnen und Patienten und Personen mit dekompensierter Leberzirrhose. Hier ist es angezeigt, dass eine Spezialistin oder ein Spezialist die Therapie durchführt. Das gilt auch für Personen, die weitere Erkrankungen haben.
Vor dem Verschreiben der Therapie ist ein Interaktionscheck angebracht. Hierfür empfiehlt sich die Webseite der Universität Liverpool: www.hep-druginteractions.org. Eine Kontrolle unter Therapie nach 2–4 Wochen mit Bestimmung der Viruslast kann hilfreich für die Motivation der Patientin oder des Patienten sein, denn die Hepatitis-C-Viren sind in den meisten Fällen in den ersten Therapiewochen schon nicht mehr nachweisbar. Parallel dazu normalisieren sich die zuvor häufig jahre- bis jahrzehntelang erhöhten Transaminasen (sofern nicht noch weitere Leberpathologien vorliegen).
Die Viruslast wird 12 Wochen nach Ende der Therapie nochmals bestimmt. Ist dann kein Virus im Blut mehr nachweisbar, gilt die Person als geheilt.
Abbildung 4: Im Rahmen des HepCare-Projektes unterstützt ein Netzwerk von Spezialistinnen und Spezialisten die Grundversorgenden bei der eigenständigen Durchführung von Hepatitis-C-Therapien. Das Angebot ist kostenlos.

Verschreibung in der hausärztlichen Praxis

Seit 1.1.2022 dürfen die Hepatitis-C-Medikamente DAAs durch alle Ärztinnen und Ärzte, also auch durch die Grundversorgerinnen und Grundversorger verschrieben werden. Es gibt keine Limitierung mehr, die Kosten sind eine Pflichtleistung der Krankenkassen-Grundversicherung. Im psychiatrischen stationären Bereich figurieren die Hepatitis-C-Medikamente neuerdings auch auf der Zusatzentgeltliste. Dies bedeutet, dass diese circa 30 000 Franken teuren Therapien ausserhalb der Fallkostenpauschale abgerechnet werden dürfen und somit während eines stationären Psychiatrie-Aufenthaltes ohne finanzielles Risiko eingesetzt werden können.
Das HepCare-Projekt von Hepatitis Schweiz bietet den Kolleginnen und Kollegen aus der Hausarztmedizin und der Psychiatrie Unterstützung bei der selbständigen Durchführung einer Hepatitis-C-Therapie. Ein Netzwerk von Hepatitis-C-Spezialisten steht für Aktenkonsilien, Beratung und bei Bedarf Ausstellen von Rezepten (z.B. bei drohenden Problemen mit dem Kosten-Index) zur Verfügung. Die Webseite HepCare.ch bietet alle notwendigen Informationen zu diesem kostenlosen, vom Bundesamt für Gesundheit und diversen Kantonen mitunterstützten Projekt von Hepatitis Schweiz.

Zusammenfassung

Die Hepatitis-C-Versorgung hat sich dank der eindrücklichen Entwicklungen vor allem aufseiten der medikamentösen Therapie entgegen dem allgemeinen Trend vom Tertiär- in den Primärversorgungsbereich verschoben. Der Hausarzt darf neu die Hepatitis-C-Medikamente DAAs selbst verschreiben und wird bei Bedarf kostenlos vom HepCare-Projekt dabei unterstützt. Es gilt, in jeder Hausarztpraxis die bekannten, noch unbehandelten Patienten zu behandeln respektive die noch nicht getesteten Betroffenen zu finden. Das vom BAG mitunterstützte Projekt HepCare unterstützt Grundversorgende dabei: www.hepcare.ch.
Prof. Dr. med. Philip Bruggmann
Hepatitis Schweiz
c/o Arud Zentrum für Suchtmedizin
Schützengasse 31
CH-8001 Zürich
p.bruggmann[at]arud.ch
1 Bregenzer AS, C. Hepatitis C bei Drogenkonsumierenden im Rahmen der SAMMSU-Kohorte, Abschlussbericht 2021. 2022.
2 Bihl F, Bruggmann P, Castro Batänjer E, Dufour JF, Lavanchy D, Müllhaupt B, et al. HCV disease burden and population segments in Switzerland. Liver Int. 2022;42(2):330-9.
3 Richard JL, Schaetti C, Basler S, Mausezahl M. The epidemiology of hepatitis C in Switzerland: trends in notifications, 1988–2015. Swiss Med Wkly. 2018;148:w14619.
4 Moradpour D, Fehr J, Semela D, Rauch A, Müllhaupt B. Treatment of Chronic Hepatitis C – January 2021 Update Expert Opinion Statement by SASL, SSG and SSI. 2021.
5 EASL recommendations on treatment of hepatitis C: Final update of the series(✩). J Hepatol. 2020;73(5):1170–218.
6 Bruggmann P, Negro F, Bihl F, Blach S, Lavanchy D, Mullhaupt B, et al. Birth cohort distribution and screening for viraemic hepatitis C virus infections in Switzerland. Swiss Med Wkly. 2015;145:w14221.
7 Shaheen AA, Myers RP. Diagnostic accuracy of the aspartate aminotransferase-to-platelet ratio index for the prediction of hepatitis C-related fibrosis: a systematic review. Hepatology. 2007;46(3):912–21.