Affenpocken

Fortbildung
Ausgabe
2022/10
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2022.10529
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2022;22(10):

Publiziert am 05.10.2022

Einleitung

Eine neue Epidemie - Antworten auf häufige Fragen aus der Praxis
Affenpocken (Monkeypox, MPX) sind eine deutlich weniger gefährliche Verwandte der seit 1980 weltweit ausgerotteten Pocken. Die wichtigsten Informationen zu MPX sind im Steckbrief (Kasten 1) zusammengefasst. Hausärztinnen und Hausärzte sollen an Affenpocken denken bei charakteristischen, teils schmerzhaften Papeln oder Pusteln an Orten von Hautkontakt/Sex, also peri-/enoral, perianal, perigenital (Abb. 1), an den Händen, z.T. auch an Armen, Oberkörper oder generalisiert, mit oder ohne Allgemeinsymptome. Der Verlauf ist typischerweise mild – selten werden Patienten hospitalisiert, v.a. zur Behandlung von oralen oder analen Schmerzen. Die bis 1972 in der Schweiz verwendete Pockenimpfung bietet gemäss WHO ca. 85% Schutz gegen MPX. Die lebend-abgeschwächte Pockenimpfung der 3. Generation (Imvanex®) ist in der EU erhältlich, soll im Oktober 2022 auch in der Schweiz verfügbar und gemäss WHO und CDC ebenfalls etwa 85% wirksam sein. Kommunikativ ergeben sich einige Herausforderungen, da die Behörden Stigmatisierung von MSM verhindern wollen. Trotzdem braucht es eine klare Kommunikation über die Infektionswege: Dies, um Personen mit möglichem Risiko und Gesundheitspersonal zu sensibilisieren, aber auch um die breite Bevölkerung zu beruhigen, die aktuell ein sehr geringes Ansteckungsrisiko hat.
Abbildung 1A: 
Affenpockenläsionen am Penis: links pustulös, rechts 6 Tage später deutlich grössenprogrediente, aufgeplatzte Läsionen.
Abbildung 1B: 

Worum geht es beim aktuellen MPX-Ausbruch?

Affenpocken sind eine virale Zoonose mit dem Affenpockenvirus (Monkeypox [MPX) Virus) aus der Familie der Orthopoxviren, zu denen auch die Pocken gehören. Ab Mai 2022 traten erstmals MPX-Fälle in Europa und ab Juni in den USA auf, und zwar bei Patienten, die nicht nach Afrika gereist waren. Denn mit seltenen Ausnahmen (vereinzelte MPX-Fälle in USA 2003) waren MPX bis 2022 ausschliesslich in Afrika endemisch (erste MPX-Fälle: 1970 in der Demokratischen Republik Kongo) [1, 2]. Bis 27.09.2022 sind weltweit >65‘000 [3] und schweizweit 513 Fälle gemeldet worden; Basel-Stadt, Genf und Zürich sind die am stärksten betroffenen Kantone (Abb. 2) [4].
Abbildung 2: 
Geografische Verteilung: Inzidenz der laborbestätigten MPX-Fälle pro 100'000 Einwohner:innen nach Kanton, Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des BAG [4].

Wieso kam es ausgerechnet jetzt zur weltweiten Ausbreitung von MPX?

Das ist nicht ganz klar. Die ersten MPX-Fälle in Europa 2022 wurden durch Reisende aus Afrika eingeführt und die weltweite Reisetätigkeit hat nach der COVID-19-Pandemie deutlich zugenommen. Zudem wurden Mutationen beschrieben, die die Virulenz des MPX-Virus aktuell erhöhen könnten [5]. Wichtig: Seit die Pockenimpfung nach der weltweiten Ausrottung (1980) sistiert wurde, nimmt die weltweite Bevölkerungsimmunität gegen Pocken kontinuierlich ab [6] und aufgrund Kreuzimmunität gegenüber MPX [6a] nimmt auch der Schutz gegen MPX ab. So kam es in gewissen afrikanischen Ländern nach 1980 zu einer deutlichen Fallzunahme von MPX [7, 8].

Wie werden Affenpocken übertragen?

Jedes erfolgreiche Ausbruchmanagement muss sich auf Fakten stützen, und die Fakten sind eindeutig [9]: Die grosse Mehrheit der MPX-Fälle betrifft Männer, die Sex mit Männern (MSM) haben [10-12]. Die Ansteckung erfolgt meist bei engem Hautkontakt mit Affenpockenläsionen (v.a. beim intimen, meist sexuellen Kontakt) und besonders betroffen sind Netzwerke von MSM mit wechselnden Partnern. In der Schweiz werden die Patienten oft in Testzentren für sexuell übertragbare Krankheiten vorstellig; ein Grossteil der Patienten lebt mit HIV oder nimmt eine HIV-Prä-Expositionsprophylaxe ein [13].

Wird das Virus im alltäglichen Kontakt übertragen?

Kaum je [10, 14]. Eindeutige Sekundäransteckungen am Arbeitsplatz oder zuhause (Büronachbarin, Wohnpartner usw.) sind 2022 bisher extrem selten [14]. Auf freiheitseinschränkende Massnahmen (wie Isolation zuhause für mehrere Wochen) soll daher prinzipiell verzichtet werden (mit Ausnahmen: z.B. kommerzielle Sex Worker; mit kantonsärztlichem Dienst besprechen). Denn leichte, kurzzeitige, alltägliche Berührungen scheinen für eine Ansteckung nicht auszureichen [10]. Am ehesten braucht es Reibung zwischen zwei Körpern und so entstandene Mikroverletzungen an der Haut – nicht aber notwendigerweise penetrativen Sex – damit das Virus von einer MPX-Läsion in die Haut des Partners eindringen kann.

Können Affenpocken auch durch Personen ohne Symptome übertragen werden?

Das ist noch unklar. Asymptomatische Infektionen wurden zwar beschrieben [15, 16], aber es bleibt abzuklären, wie oft MPX asymptomatisch verlaufen, ob und wie oft Personen ohne Hautläsionen das Virus übertragen und ob das Virus rein respiratorisch oder über Oberflächen übertragen werden kann [16-19].

Können alle Affenpocken kriegen? Muss ich mir Sorgen machen?

Der Affenpockenausbruch ist nicht mit der COVID-19-Pandemie vergleichbar. Alarmismus ist fehl am Platz. Virale Mutationen und andere epidemiologische Überraschungen sind zwar noch möglich, was aber unbedingt klarer und öfter betont werden sollte: Die breite Bevölkerung hat aktuell ein extrem tiefes Ansteckungsrisiko. Die behördliche Kommunikation war bisher vage, denn sie benannte zu wenig klar die fast ausschliesslich betroffene Personengruppe (MSM, v.a. falls wechselnde Partner). Diese Art der Kommunikation suggeriert, dass die gesamte Bevölkerung gefährdet ist und ist daher kontraproduktiv, weil so unnötig die breite Bevölkerung verunsichert wird [9, 11, 20, 21]. Es braucht also beides: klare Botschaften, wer aktuell nicht gefährdet ist (die breite Bevölkerung) und daher sein Verhalten nicht anpassen muss – und klare, zielgruppenspezifische Botschaften an die besonders betroffene MSM-Community [20, 21].

Was machen die Behörden, um die MSM-Community zu informieren?

Die behördliche Kommunikation ist stark geprägt von der gesellschaftspolitischen Sorge, MSM zu stigmatisieren. Und diese Sorge kommt nicht von ungefähr (siehe Beginn der HIV-Epidemie in den 1980er Jahren [22]). Es gibt heute Evidenz, dass sich MSM mit MPX teils nicht testen lassen, weil eine MPX-Diagnose und die Isolation zuhause ihre sexuelle Orientierung offenlegen und sie stigmatisieren könnte. Zu Recht hat das BAG den Auftrag für die Sensibilisierung der MSM-Community an die AIDS Hilfe Schweiz erteilt. Auf ihrer Dr.Gay-Website finden sich klare, beruhigende Botschaften zu MPX [23].

Machen sich die Behörden Sorgen?

Im Juli 2022 stieg die Besorgnis von BAG und WHO deutlich, weil die Fallzahlen weiter zunahmen [3, 17]. Am 23.07.2022 hat die WHO die «Gesundheitliche Notlage mit internationaler Tragweite» erklärt [1, 2, 17]. Die Sorge ist die weitere Ausbreitung in der MSM-Community und das Endemischwerden von MPX, so wie andere sexuell übertragbare Infektionen. Noch immer fehlt in der Schweiz (im Gegensatz zur EU) eine Impfung und eine wirksame Impfkampagne und noch steht keine validierte antivirale Behandlung zur Verfügung.

Affenpocken sind seit >50 Jahren in Afrika endemisch – warum wurden keine Wirkstoffe oder Impfungen erprobt?

Eine klare verpasste Gelegenheit. Mehr als vier Monate nach Beginn des Ausbruchs in reichen Ländern erkennen wir, wie es sich lohnt, einen globalen Blick zu wahren und die epidemiologischen Entwicklungen auch ausserhalb Europas zu verfolgen [10]!

Gehen die Fallzahlen nicht neuerdings zurück?

Ja; seit Mitte August ist in der Schweiz eine erfreuliche Abwärtstendenz bei den Neuansteckungen erkennbar (Abb. 3 und 4) [3], vermutlich im Zusammenhang mit sexuellen Verhaltensänderungen [14]. Es bleibt abzuwarten, ob dieser Trend anhält.
Abbildung 3:
Kumulative Zahl der gemeldeten, laborbestätigten Affenpocken-Fälle in der Schweiz seit 19.05.2022, Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des BAG [4].
Abbildung 4: 
Anzahl der laborbestätigten Affenpocken-Fälle pro Woche seit 19.05.2022, Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des BAG [4].

Wie schlimm sind Affenpocken für die Betroffenen?

Die meisten Betroffenen haben einen milden Verlauf und erholen sich vollständig. Die Läsionen können aber schmerzhaft und vernarbend und somit stigmatisierend sein. Schmerzen (v.a. wegen Schleimhautläsionen anal oder oral) sind der häufigste Hospitalisationsgrund. Allgemeinsymptome wie Fieber, Myalgien oder Allgemeinschwäche können belastend sein. Auch die Isolation zuhause kann stigmatisierend wirken; sie wurde bis Juli 2022 behördlich angeordnet – mittlerweile ist dies nur noch in einigen Kantonen der Fall.

Kasten 1: Steckbrief Affenpocken (Monkeypox, MPX)

Epidemiologie
  • seit dem Erstauftreten von MPX 1980 rezidivierende Ausbrüche in West- und Zentralafrika
  • seit Mai 2022 weltweit Ausbrüche, v.a. in Europa/USA
Übertragung
  • fast ausschliesslich über Hautläsionen beim engen, intimen Körperkontakt (v.a. beim Sex)
  • meist Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), insbesondere mit wechselnden Partnern [13, 17, 23]; viele leben mit HIV oder nehmen eine HIV-Präexpositionsprophylaxe– Tröpfcheninfektion ist theoretisch möglich (bei sehr engem, prolongiertem Kontakt)– Ansteckung über gemeinsam verwendetes Bettzeug ist theoretisch möglich
  • Übertragung durch infizierte Tiere, z.B. Nagetiere, Affen, Haustiere, spielt beim aktuellen Ausbruch bisher keine Rolle– eine Ansteckung vom MPX-Patienten auf sein Haustier ist möglich [24] (Behörden befürchten, dass MPX in Haustieren in Europa endemisch werden könnte)
Inkubationszeit: durchschnittlich etwa 1 Woche (WHO: 5-21 Tage) [18, 25, 26]
Klinik
Die gesamte Erkrankung dauert meist 2-4 Wochen [10, 25, 26]
Hautbefunde:
  • meist an den Orten von sexueller Aktivität lokalisiert: also v.a. anal, genital, perioral
  • Läsionen können danach am ganzen Körper auftreten, also auch an Stamm (Abb. 5), Armen und Beinen, Gesicht, Konjunktiven, Hand- und Fusssohlen [13, 18, 22]
Abbildung 5: 
36-jähriger MSM mit schmerzhaften, papulopustulösen, erythematösen Läsionen am Stamm, 21 Tage nach sexueller Risiko-Exposition, gleichzeitig mit genitaler Affenpocken-PCR-positiver Läsion.
  • Haut wie auch Schleimhäute können betroffen sein [13, 22]
  • Die meisten Betroffenen haben weniger als 10 Läsionen und 10% haben nur eine einzige Läsion (Abb. 6) [10, 13]
Abbildung 6: 
Einzelne papulöse genitale Affenpocken-Läsion. Die zentrale Delle («umbilikierte» Läsion) ist charakteristisch für Affenpocken. Foto reproduziert mit freundlicher Genehmigung durch Dr. Axel Rowedder, medix toujours Basel.
  • Beginn oft makulös à 1-2 Tage später papulös à vesikulös à pustulös à Aufplatzen der Läsionen à Verkrustung nach etwa 10 Tagen (Abb. 7) [18, 27]
  • Läsionen sind gut abgrenzbar, 0.2-0.5 cm im Durchmesser, im Verlauf bis zu 1 cm gross [18] (Abb. 1)
Abbildung 7: 
Verlauf der Affenpocken-Hautläsionen bei einem 40-jährigen MSM mit mehreren ungeschützten sexuellen Kontakten in den letzten Wochen. A) initiale Präsentation mit Pusteln ca. 2 Tage nach Risikoexposition; B) nach ca. zwei Tagen platzten einige Läsionen auf; C) 4 Tage später bildeten sich zentrale Verkrustungen; D) weitere 3 Tage später verkrusteten die Läsionen vollständig.
  • Die Läsionen können wie damals bei den Pocken „umbilikiert“ sein, also eine zentrale Delle aufweisen (Abb. 6) [18]
  • Das Virus ist tief in der Dermis lokalisiert – die Vesikel platzen weniger leicht auf als z.B. bei Herpes oder Varizellen [18]
  • Juckreiz ist möglich, v.a. beim Abheilen [18, 27]
Allgemeinsymptome:
  • bei ca. 50-60% der Betroffenen
  • können 1-4 Tage vor dem Ausschlag, gleichzeitig oder nach dem Ausschlag auftreten [13, 22, 25, 26]
  • Lymphadenopathie, Fieber, Myalgien, Kopfschmerzen, Allgemeinschwäche, Konjunktivitis, Husten
Atypische Präsentationen:
  • Proktitis (mit Durchfall, Stuhldrang, lokalen Schmerzen) ohne sichtbare perianale Läsionen
  • zwei Studien dokumentieren asymptomatische MPX-Infektionen [15, 16]
Differentialdiagnose:
  • Herpes, Varizellen und Zoster: können sich ähnlich präsentieren, meist aber mit mehr periläsionaler Rötung als MPX, Herpes zudem mit kleineren Läsionen, Zoster nur unilateral (ausser bei generalisiertem Zoster)
  • Im Gegensatz zu den Varizellen („Sternenhimmel“) sind die MPX-Läsionen in 80% der Fälle alle im ungefähr gleichen Stadium [18]
  • Varizellen treten nicht bevorzugt perianal, perioral, perigenital auf und >97% der Schweizer Bevölkerung ist mit 18 Jahren nicht mehr anfällig auf Varizellen
  • Syphilis ist eine DD– lokaler Knoten/Ulkus im Rahmen Primärsyphilis, meist 21 (10-90) Tage nach Exposition, meist schmerzlos oder wenig schmerzhaft)– Condylomata lata und Plaques muqueuses (im Rahmen Sekundärsyphilis, kann ebenfalls systemische Symptome und Lymphknotenschwellungen verursachen)
  • Follikulitis, Furunkel: schmerzhaft, meist mehr periläsionale Rötung als MPX, meist nicht vorwiegend anogenital
  • allergische Reaktion: kann theoretisch auf Orte der sexuellen Aktivität beschränkt sein
  • HIV-Primoinfektion: HIV-PCR im Blut falls Fieber, Allgemeinschwäche, Kopfweh
Verlauf:
  • meist mild à vollständige Erholung innert ein paar Wochen
Komplikationen:
  • 2% bis max. 13% der Patienten werden hospitalisiert, am häufigsten wegen analen oder oralen Schmerzen [10, 13, 22]
  • mögliche Komplikationen: rektaler Abszess oder Perforation, Proktitis mit Blutung oder Stuhlinkontinenz, peniles Ödem, Balanitis, Phimose, Epiglottitis [10, 22]
  • bakterielle Haut-Superinfektion [13, 22]
  • in Einzelfällen Hospitalisation wegen akutem Nierenversagen, Myokarditis [13], Harnverhalt, Bindehaut-, Hornhaut- oder Lungenentzündung, Encephalitis, Hepatitis, Sepsis
Personengruppen, die einen schweren Verlauf erleben könnten: insbesondere Immunsupprimierte, Kinder, Schwangere [13, 17, 18] – diese Gruppen stecken sich aktuell extrem selten an.
Diagnostik
  • PCR auf MPX-Virus aus: – Abstrich oder Biopsie einer Hautläsion– Rektalabstrich bei Proktitis– Rachenabstrich bei Tonsillitis
  • Probe direkt oder via privates Labor an das nationale Referenzzentrum senden (CRIVE Genf; Auskünfte: 079 553 0922)
  • Auftragsformular: via privates Labor oder hier: https://www.hug.ch/laboratoire-virologie/formulaires-informations
  • 20-30% der Patienten haben eine zusätzliche STI: Die Diagnose einer STI schliesst MPX nicht aus und umgekehrt – folglich:– bei Verdacht auf STI auch MPX-Testung erwägen– bei Verdacht auf MPX grosszügig auf andere STIs testen: PCR auf Gonokokken, Chlamydia Trachomatis, Treponema Pallidum, HIV- und Syphilis Serologie, allenfalls HIV-PCR (bei Verdacht auf HIV-Primoinfektion)
  • Nicht empfohlen: MPX-PCR aus Blut, Saliva oder genitalen Sekretionen [10]
  • Noch nicht empfohlen: Serologie, weil:– unklar, ob jede Infektion zu Bildung von MPX-Antikörpern führt– unklar, ob die Serologie geeignet ist für Feststellung des Impfbedarfs (also unklar ob seropositiv gleichbedeutend ist mit «immun» oder ob seronegativ gleichbedeutend ist mit «nicht gegen Pocken geimpft»
Meldung von bestätigten Fällen innert 24 Stunden an BAG und Kantonsarzt/-ärztin
  • Patienten aufklären, dass die behördliche Meldung nicht anonym, sondern mit Namen erfolgt
  • Verdachtsfälle müssen nicht mehr gemeldet werden
Therapie
  • Wenn möglich Patient in Forschungsprotokoll einschliessen (z.B. MOSAIC Kohortenstudie): wir müssen unsere Kenntnisse erweitern bzgl. Krankheitsverlauf, Komplikationen, Wirksamkeit von Impfungen und antiviraler Behandlung usw.
  • Schmerzmittel bei Schmerzen
  • Lokale Therapie bei sezernierenden Läsionen, z.B. mit Zink-Schüttelmixtur [28]– so häufig wie nötig auftragen (bis zu stündlich)– kann auch während der Wartezeit auf Arzttermin gestartet werden (ohne Rezept in jeder Apotheke erhältlich)– Vorteil: Bereits bestehende Läsionen trocknen aus, schrumpfen, Reduktion von Juckreiz, Narbenbildung, bakteriellen Komplikationen– Bei frühem Auftupfen auf neue Läsionen (Maculae) entwickeln sich diese nicht weiter
  • Analtrakt: Mehrmals am Tag und nach jedem Stuhlgang ausduschen und trockenfönen– desinfizierende und Gerbstoffe enthaltende Sitzbäder (auch vor Arzttermin rezeptfrei in Apotheke erhältlich)– äusserlich zugängliche Läsionen: Zink-Schüttelmixtur auftragen– Sitzbäder und Schüttelmixtur helfen auch gegen Juckreiz und Brennen
  • keine prophylaktischen Antibiotika (Schutz des Mikrobioms, Reduktion von Resistenzen)
  • Phytotherapeutische Anwendungen (z.B. Eichenrindenabsud, Salbei-/Rhabarbercrème, Hamameliszubereitungen oder antiviral wirkende ätherische Öle wie Eucalyptus-, Ravintsara- oder Thymianöl mehrmals täglich auf die betroffenen Stellen auftragen) [29-31]
  • Stärkung der Resilienz (Lifestyle, Komplementärmedizin [32-34])
Antivirale Therapie
  • Tecovirimat (in der Schweiz noch nicht zugelassen)
  • im Normalfall (milder Verlauf) nicht indiziert; Einsatz nur bei schweren Verläufen oder immunsupprimierten Personen erwägen, da reelle Gefahr von Resistenzentwicklung [35, 36]
  • orale oder intravenöse Verabreichung im Rahmen von «compassionate use»-Programm à via Infektiologie Zentrumsspital oder Checkpoints
  • andere antivirale Medikamente (Cidofovir, Brincidofovir) à Rücksprache Infektiologie
Massnahmen
  • Individueller Entscheid, ob Arbeiten möglich ist
  • Kein Sex– US-Behörden empfehlen: Zahl der Partner deutlich reduzieren, Sex-Partys meiden, Sex mit Kleidern oder abgedeckten Läsionen, gemeinsames Masturbieren, virtueller Sex [37]
  • Kondom bei Gelegenheitspartnern– Kondome schützen eventuell nicht vor einer Infektion, aber vor einem möglichen rektalen Befall (kann oft mit starken Schmerzen einhergehen)– Kondom während 12 Wochen nach Genesung (Vorsichtsmassnahme; unklar ob im Sperma wirklich lebendiges, ansteckbares Virus vorhanden ist)
  • Kontakt zu anderen Personen meiden, Läsionen bedecken und nicht anfassen, gute Händehygiene, zu Tieren Abstand halten
  • Bettwäsche oder Handtücher nicht mit anderen Personen teilen
  • Dauer der Massnahmen: aktuell, bis die letzten Hautkrusten abgefallen sind
Schutzmassnahmen in Praxis/Spital:
  • Patient: Läsionen abdecken, chirurgische Maske, wenn andere Personen im Zimmer, nicht im Wartezimmer warten lassen, sondern direkt ins Untersuchungszimmer führen, im Spital Einzelzimmer
  • Swissnoso empfiehlt dem Gesundheitspersonal Handschuhe, Überschürze, und mindestens eine chirurgische Maske (Augenschutz nur gemäss Standardmassnahmen, also nur bei möglichen Spritzern von Körperflüssigkeiten ins Gesicht) [38]
  • Gesundheitspersonal, das ungeschützten Kontakt mit MPX-Patient hatte, darf weiterarbeiten und soll seinen Gesundheitszustand 21 Tage überwachen
MPX-Kontaktpersonen (enger Kontakt, Sex): während 21 Tagen nach Exposition den Gesundheitszustand überwachen, kein Sex – ärztliche Kontaktaufnahme falls Hautläsionen oder Allgemeinsymptome
Dauer der Infektiosität:
  • Datenlage nicht vollständig klar
  • über die Haut: vermutlich vom Beginn der ersten Hautläsionen und bis zur vollständigen Verkrustung, möglicherweise bis zum Abfallen der Hautkrusten [17, 25]
  • respiratorische Tröpfchen: theoretisch vom Beginn der Allgemeinsymptome an

Sind Affenpocken eine sexuell übertragbare Infektion (STI)?


Ja: STI sind Infektionen, die primär im sexuellen Kontext übertragen werden und der sexuelle Kontext ist bei MPX meist klar. Die Diskussion unter Epidemiologinnen und Infektiologen, ob Affenpocken durch Sex, beim Sex, oder sexuell übertragen werden, ist für die Praxis nicht relevant. MPX ist in Sperma nachgewiesen worden, aber noch ist unklar, ob dies immer auf lebendige, übertragbare Viren hindeuten muss, oder ob das «nur» tote DNA ist – wir Ärztinnen und Ärzte kennen ähnliche Diskussionen seit 2020 bei SARS-CoV-2 [13].

Wie schütze ich mich und mein Personal im Praxisalltag vor MPX-Ansteckung?

Siehe Steckbrief (Kasten 1).

Wie gehe ich bei einem Verdachtsfall vor?

Bei jeder unklaren Hautläsion, v.a. anogenital oder perioral, prinzipiell an Affenpocken denken. Probenabnahme ähnlich wie bei Herpes: Feuchte oder aufgeplatzte Läsionen suchen (Vesikel/Pustel), mittels Abstrichtupfer und etwas Druck eröffnen und Sekret aufsaugen. Trockene Läsion (Papel) allenfalls mit Nadelspitze eröffnen. Grosszügig andere STI abklären, (siehe Steckbrief). Der Patient soll bis zur Diagnosesicherung bereits über Schutzmassnahmen für sein Umfeld informiert werden.

Ich habe einen PCR-bestätigten Affenpocken-Fall – was jetzt?

Siehe Steckbrief. Meldung an den kantonsärztlichen Dienst innert 24h.

Muss ich mich vor einer Blutspende auf MPX testen lassen?

Nein. Es gibt bisher weltweit keine bestätigten Fälle einer Ansteckung via Bluttransfusion [39]. Routinemassnahmen (Anamnese, Labor) sind etabliert, dass symptomatische Personen oder Personen mit hohem Risikoverhalten nicht zur Blutspende zugelassen werden [39]. Wer an MPX erkrankt ist oder Kontakt mit einer infizierten Person hatte, soll vor der Blutspende SRK Schweiz kontaktieren [40].

Gibt es eine Impfung?

Siehe Kasten 2. Der Bund erwartet, dass im Oktober 2022 die bestellten Impfdosen in der Schweiz eintreffen. Es ist keine Massenimpfung der breiten Bevölkerung vorgesehen und die Impfdosen werden an die Kantone verteilt.

Kasten 2: Impfung gegen Affenpocken

  • In der Schweiz gibt es aktuell (28.09.2022) noch keine zugelassene Impfung.
  • Der Bundesrat hat am 24.08.2022 die Beschaffung von 100'000 Impfdosen veranlasst (40'000 Dosen für impfwillige Risikopersonen, 60'000 Dosen für die Schweizer Armee zur Bekämpfung eines allfälligen [bioterroristischen] Pocken[Variola]-Ausbruchs).

Alte Pockenimpfung:

  • Wurde bis 1972 in der Schweiz eingesetzt (verursacht dellenförmige Narbe v.a. am Oberarm; DD BCG-Narbe ist leicht erhaben), heute nicht mehr verfügbar.
  • Lebend-abgeschwächte Impfung mit Vaccinia-Virus (natürliche Pocken = Variola-Virus, 1980 weltweit ausgerottet) – hatte viele Nebenwirkungen (Fieber, Myokarditis, Perikarditis).
  • Die Schutzwirkung gegen MPX auf ca. 85% geschätzt [2, 6a].
Neue Pockenimpfung Imvanex® (USA: Jynneos®, Kanada: Imvamune®)

  • «Modified Vaccinia Ankara» von Bavarian Nordic (MVA-BN®).
  • Weiterentwicklung der Pockenimpfung: lebend-abgeschwächte Impfung: das Virus kann im Menschen aber nicht replizieren [41] → Immunsuppression, Schwangerschaft und Stillzeit sind keine eigentliche Kontraindikation [42].
  • In EU für EU-Bürger:innen erhältlich, in CH noch nicht zugelassen → «no label» Verwendung. Die eidg. Kommission für Impffragen (EKIF) empfiehlt schriftliche Einverständniserklärung [42].
  • Noch keine Sicherheitsdaten bei Personen <18 Jahren und schwangeren Frauen.
  • Schutzwirkung gegen MPX: noch unklar, WHO und CDC erwarten ähnliche Wirksamkeit wie alte Pockenimpfung (85% [6a]); in Gegenden, wo früh mit Imvanex geimpft wurde, werden sinkende Fallzahlen beobachtet [14].
  • Siehe Impfempfehlungen z.B. aus USA [43], UK [44] und Deutschland [6].
  • Geplanter Einsatz in der Schweiz (gemäss EKIF 1.9.2022 [42])
     
  • Prä-expositionell [42]:– Männer, die Sex mit Männern haben sowie Trans-Personen mit wechselnden Sexualpartnern;– zwei Dosen zu 0.5 mL in Deltoideus subkutan im Abstand von mindestens 28 Tagen;– wer (vor 1980) Pockenimpfung (Vaccinia) hatte: eine Dosis (falls immunsupprimiert: zwei Dosen);– Auffrischimpfung nach zwei Jahren erwägen, falls anhaltendes Expositionsrisiko;– berufliche MPX-Exposition (Gesundheitspersonal, Personal von Speziallaboratorien): individueller Nutzen/Risiko-Entscheid; → Wichtig: Gesundheitspersonal kann sich auch durch Einhalten der Hygienemassnahmen schützen (siehe „Massnahmen“ [38]);
  • Postexpositionell [42] (nach Exposition mit MPX-erkrankter Person):– Für Kontaktpersonen ab 18 Jahren (enger, direkter z.B. sexueller Kontakt oder Exposition ohne Schutzmassnahmen <1m, mindestens 3h oder Kontakt mit Bettzeug/Kleidung von MPX-Patient oder Haushaltsmitglied);– innert 4 Tagen nach Exposition: könnte MPX verhindern;– 4-14 Tage nach Exposition: kann MPX allenfalls nicht verhindern aber Schweregrad reduzieren;
  • Intradermale Applikation des Impfstoffs wird im Fall von Impfstoffknappheit diskutiert [42], aber nur durch speziell geschultes Personal. Datenlage noch unklar; ein Fünftel der Dosis könnte genügen für gleiche Wirksamkeit wie subkutan (somit könnten 5-mal mehr Leute geimpft werden) [45, 46].

Gibt es eine antivirale Therapie?

Eine antivirale Therapie ist in der Schweiz noch nicht zugelassen und im Normalfall (milder Verlauf) vermutlich nicht nötig. Klinische Studien sind im Gang. Tecovirimat ist ein Medikament, das gegen ein virales Protein (p37 oder VP37) gerichtet ist, das bei allen Orthopoxviren vorhanden ist. In der EU ist Tecovirimat zugelassen zur Behandlung von Pocken, Affenpocken, Kuhpocken und bei disseminierter Vaccinia (nach alter Pockenimpfung) [47]. Das Medikament wurde zugelassen im Kontext von Sorgen um Bioterrorismus. Die Wirksamkeit im Tierversuch ist beeindruckend [48]. Erste klinische Daten liegen vor: in der Regel gute Verträglichkeit [49], aber noch keine soliden Wirksamkeitsdaten [50, 51].

Kann es bei MPX zu bleibenden Schäden kommen?

Ja, es kann zu eingedellten, bei entsprechender Prädisposition auch zu keloidalen Narben sowie bleibenden (helleren oder dunkleren) Hautverfärbungen kommen, wenn die Krusten abgefallen sind [18, 26, 27].

Macht mich eine MPX-Infektion immun gegen eine erneute Ansteckung?

Vermutlich ja [10].

Was kostet die Impfung? Was kostet Tecovirimat?

Gemäss BAG (verifiziert am 25.09.2022 [17]) heisst es „Der Bund wird die Kosten für die Impfung und das antivirale Arzneimittel übernehmen, solange die Vergütung über die Krankenkasse nicht möglich ist.”

Das Wichtigste für die Praxis

  • Betroffen sind fast ausschliesslich Männer, die Sex mit Männern haben (MSM) - die breite Bevölkerung hat ein extrem tiefes Ansteckungsrisiko.
  • Der Verlauf ist meist mild.
  • Die Läsionen sind meist anogenital oder perioral lokalisiert; meist liegen weniger als 10 Läsionen vor und in 10% nur eine einzige Läsion.
  • Die Läsionen beginnen oft makulös → papulös → pustulös → Aufplatzen der Läsionen → Verkrustung.
  • Etwa die Hälfte der Betroffenen hat Allgemeinsymptomen, teils 1-4 Tage vor den Hautläsionen.
  • Gute lokale Behandlung ist essenziell und kann Hospitalisationen wegen analen oder oralen Schmerzen verhindern.
  • Die Diagnostik erfolgt direkt aus einer Läsion durch Affenpocken-PCR (Abstrich/Biopsie) – andere sexuell übertragbare Infektionen im Oral-/Analabstrich mittesten, immer HIV- und Syphilis-Serologie.
  • In der Schweiz ist eine antivirale Therapie (Tecovirimat) bei schweren Verläufen via «compassionate use»-Programm erhältlich.
  • In der EU wird bereits ein nicht replizierender, abgeschwächter Pockenimpfstoff (Imvanex®) eingesetzt (Schutzwirkung gegen MPX unklar) – er soll in der Schweiz frühestens im Oktober 2022 erhältlich sein.
Prof. Dr. med. Philip Tarr
Medizinische Universitätsklinik
Kantonsspital Baselland
CH-4101 Bruderholz
philip.tarr[at]unibas.ch