Die Sorge um unsere Versorgung

Wünschen darf man

Editorial
Ausgabe
2022/12
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2022.10643
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2022;22(12):355

Affiliations
Präsident mfe, Haus- und Kinderärzte Schweiz

Publiziert am 07.12.2022

Weihnachten steht vor der Tür, das Fest des Lichts, der Familie, manchmal auch der Differenzen, der Dissonanzen, der Einsamkeit. Viele freuen sich auf diese Zeit, freuen sich auf das Zusammensein, das Miteinander-Feiern, vielleicht sogar auf die besinnlichen Momente. Die Kinder freuen sich auf die Bescherung, hoffen, dass ihre Wünsche in Erfüllung gehen. Aber das geht den Erwachsenen ja auch so: auch wir haben unsere Wünsche. Doch ob sie in Erfüllung gehen…
Die Gesundheitspolitik der Schweiz macht uns Sorgen, wir haben das schon länger thematisiert. Die Fixierung auf Sparmassnahmen, die tröpfchenweise aus dem Expertenbericht von 2017 übernommen werden sollten und dann doch nicht konsequent durchgezogen wurden, ist eine falsche Spur. Schaut man sich das Resultat an (auch wenn es nicht definitiv ist), so haben diese Massnahmen unser Gesundheitssystem nicht weitergebracht, sondern im Gegenteil geschwächt. Die Initiativen zur Qualitätsverbesserung inklusive entsprechender Gesetze und der neu eingesetzten Eidgenössischen Qualitätskommission kommen nur schwerlich voran, auch darum, weil die Arbeit der bisher Engagierten zu wenig respektiert und geschätzt worden ist. Statt auf valabler Vorarbeit aufzubauen, wird versucht, ein neues Gebäude zu errichten, bisher eher mit Kollateralschäden als mit stabiler Architektur. Wir als Ärzteschaft dürfen uns aber durchaus an der eigenen Nase nehmen, auch wenn unsere Expertise in vielen Fällen nicht beigezogen wird. Gerade in der Frage der «Netzwerke zur koordinierten Versorgung» hätten wir mit unserer Erfahrung aus hausärztlichen Netzwerken durchaus Sinnvolles einbringen können.
Stichwort «Versorgung»: hier liegt unsere grösste Sorge. Seit 20 Jahren weisen wir immer wieder darauf hin, dass die haus- und kinderärztliche Grundversorgung in zunehmendem Masse gefährdet ist. Wir haben das wissenschaftlich in unseren Workforce-Studien 2005, 2010, 2015 und 2020 kongruent dargestellt. Erst in den letzten Jahren hat die Politik verstanden, dass wir es ernst meinen, und uns in unseren Bemühungen unterstützt. In der Zwischenzeit ist der Fachkräftemangel in allen Berufen des Gesundheitswesens angekommen; auf schmerzliche Art und Weise muss die Bevölkerung erfahren, dass die Versorgung immer schwieriger sicherzustellen ist. Das bedeutet für die Schweiz eine völlig neue Situation, die zu grosser Verunsicherung führt.
Und dies ist nicht der einzige Grund, der an der Basis unseres Urvertrauens rüttelt und unsere Zuversicht in die Zukunft trübt. Strom kommt nicht mehr einfach aus der Steckdose, die Wohnung ist nicht mehr sicher geheizt, und der Krieg ist so nah wie schon lange nicht mehr. Dazu kommt, dass politische Kräfte wieder erwachen, die wir alle für überwunden geglaubt haben, mit Duldung einflussreicher Kreise. Wie auch schon. Risse durchziehen unsere Gesellschaft. In einem eindrücklichen Kurzfilm hat Penny, eine deutsche Billigwarenkette, die Lösung aufgezeigt: redet miteinander, geht aufeinander zu (https://www.youtube.com/watch?v=eHpsCzdwbCl).
Wie schon unser Enkel meinte, nachdem er alle Kleber aus dem Spielwarenkatalog auf seinen Wunschzettel geklebt hatte: «Wünschen darf man sich alles. Auch wenn man nicht alles bekommt.»
Schöne Feiertage, und viele Wünsche für das neue Jahr.
Sandra Hügli-Jost
Kommunikationsbeauftragte
mfe Haus- und Kinderärzte
Schweiz
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Effingerstrasse 2
CH-3011 Bern
Sandra.Huegli[at]hausaerzteschweiz.ch