Tox Info Suisse: Über 50 Jahre Beratung bei Vergiftungen – Folge 12

Spinnenbisse und Skorpion­stiche – Ein Leitfaden für die Praxis

Fortbildung / Perfectionnement
Ausgabe
2023/02
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2023.10498
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2023;23(02):16-18

Affiliations
a Universitätsspital Zürich; b Tox Info Suisse, Assoziiertes Institut der Universität Zürich


Publiziert am 08.02.2023

Spinnentiere (Arachniden), zu denen neben Spinnen und Skorpionen auch Milben, Zecken, Weberknechte und andere gehören, sind weltweit verbreitet. Die meisten Spinnen und Skorpione sind harmlos, dennoch gibt es einige wenige Arten, die dem Menschen gefährlich werden können. Keine dieser Arten kommt natürlicherweise in der Schweiz vor, allerdings werden Spinnen und Skorpione auch gerne in Terrarien gehalten. Deshalb sind Intoxikationen durch gefährlichere Arten möglich. 

Einleitung

In den Jahren 2016–2021 erhielt Tox Info Suisse jährlich durchschnittlich 61 Anrufe (Range 45–75) zu Expositionen mit Arachniden, mit einem Peak im August. Dabei handelte es sich bei 72% um Anfragen zu einheimischen Spinnentieren. Vor allem im Frühjahr und Frühsommer kommt es zu Anfragen zu vermeintlichen Sichtungen der stark giftigen Sydney Trichternetzspinne (Atrax sp.). Die Trichternetzspinne sieht der einheimischen Tapezierspinne (Atypus sp.) sehr ähnlich. Die Tapezierspinne ist aber nur minim giftig und deutlich kleiner als die australische Trichternetzspinne. Die Gefahr durch Spinnenbisse oder Skorpionstiche wird in der Bevölkerung oft überschätzt, zumindest durch einheimische Arten besteht kaum Gefahr. Zu stärkeren Symptomen kann es hingegen nach Bissen respektive Stichen durch diverse exotische Arten kommen, die in Terrarien gehalten werden.

Einheimische Arachniden

A) Einheimische Spinnen

In der Schweiz leben circa 1000 Spinnenarten, von denen aber nur wenige Dutzend überhaupt in der Lage sind, die menschliche Haut bei einem Biss zu durchdringen [1]. Dazu ist eine Körperlänge von mindestens 1 cm nötig, damit die Beissklauen (Cheliceren) gross genug sind, um die menschliche Haut penetrieren zu können. Eine von Tox Info Suisse begleitete Studie über 2 Jahre zeigte, dass von 19 durch identifizierte Spinnen verursachte Bisse nur in einem Fall mehr als wespenstichartige Symptome auftraten [1]. Die involvierten Spinnen waren vor allem die Dornfingerspinne (Cheiracanthium punctorium) und die Kräuseljagdspinne (Zoropsis spinimana). Diese beiden Spinnenarten sind ursprünglich aus Südosteuropa eingewandert und hier heimisch geworden. Vor allem bei der Dornfingerspinne sind bei sensiblen Personen auch leichte Allgemeinsymptome wie Kopfschmerzen, Schwäche und selten auch Fieber möglich.
In Europa gibt es auch etwas gefährlichere Spinnen wie die schwarze Witwe (Latrodectus tredecimguttatus) und die Einsiedlerspinne (Loxosceles rufescens). Diese wurden in der Schweiz bisher noch nicht beobachtet.

B) Einheimische Skorpione

Skorpione sind in der Schweiz nur mit einer Gattung und drei Arten (Euscorpius italicus, alpha und germanus) vertreten und vor allem im Tessin zu Hause. Die Tiere sind bis maximal 5 cm gross, braun-schwarz, mit dicken Klauen (Pedipalpen) und dünnem Schwanz. Sie leben vorzugsweise unter Steinen und ernähren sich vorwiegend von Insekten. Bei Bedrohung stechen Skorpione mit dem an ihrem Schwanzende befestigten Stachel, der in eine Giftdrüse mündet. Die genaue Giftzusammensetzung der einheimischen Arten ist nicht bekannt, aber sie sind wenig giftig. Nach einem Stich können Symptome wie nach einem Wespenstich auftreten: Schmerz, Schwellung, leichte Parästhesien an der Einstichstelle. Diese Symptome sind kurzdauernd und bedürfen kaum je einer Therapie.
Einheimische Wespenspinne (Argiope bruennichi) mit Ei-Kokon.
© Foto: Joan Fuchs

Exotische Arachniden in Terrarien und deren Gefahren

Die Haltung von exotischen Spinnen und Skorpionen untersteht in der Schweiz keiner Meldepflicht, man kann diese legal in der Zootierhandlung und an Ausstellungen kaufen; auch der Handel via Internet boomt [2]. Diese Tiere sind meist bis auf die Art identifiziert. Bei den Spinnen werden meist Vogelspinnen (Synonym: Taranteln, Familie Theraphosidae) gehalten. Bei den Skorpionen ist der ungiftige Kaiserskorpion (Pandinus imperator) neben diversen giftigeren Gattungen, wie beispielsweise dem nordafrikanischen Androctonus sp., ein beliebtes Haustier.
Eine Auswertung von Tox Info Suisse zeigte, dass Anfragen zu Bissen und Stichen durch als Haustiere gehaltene exotische Arachniden im Vergleich zu Anfragen zu einheimischen Arachniden sehr selten sind und kaum zu medizinisch relevanten Symptomen führen [3]. Über die letzten 44 Jahre erhielt Tox Info Suisse 81 Anfragen zu Bissen oder Stichen durch als Haustier gehaltene exotische Vogelspinnen oder Skorpione. Der medizinische Verlauf war in 18 dieser Fälle bekannt [3].
Bei den neun Spinnenbissen handelte es sich um verschieden Vogelspinnen, sieben der Fälle verliefen mittelschwer und zwei leicht. In sechs der mittelschweren Fälle kam es zu teilweise generalisierten Muskelkrämpfen, auch entfernt vom Bissort. Die Muskelkrämpfe traten mit bis zu zwei Tagen Verzögerung auf und hielten bis zu vier Wochen an. Beim siebten mittelschweren Fall kam es zu einer anaphylaktischen Reaktion mit Atemnot und Juckreiz. Weitere Symptome durch Spinnenbisse waren lediglich leichte lokale Schmerzen.
Von den neun Skorpionstichen verliefen sieben leicht, einer mittelschwer und einer schwer. Beim mittelschweren Verlauf kam es zu heftigen, kurz dauernden lokalen Schmerzen nach dem Stich durch einen Skorpion aus Namibia (Opisthophthalmus lamorali). Nach einem Stich durch einen Skorpion aus Madagaskar (Grosphus ankarana) kam es zu starken Schmerzen, die nur durch Opiate und eine Plexusanästhesie kontrollierbar waren. Systemische Symptome traten in keinem der Fälle auf.

A) Exotische Spinnen

Weltweit gibt es ca. 47 000 Spinnenarten, davon sind nur ca. 0,5% für den Menschen gefährlich [2]. Hauptsächlich problematisch sind australische Trichternetzspinnen (Atrax sp., Hadronyche sp.), Bananenspinnen (Phoneutria sp.) aus Südamerika sowie die weltweit vorkommenden Schwarzen Witwen (Latrodectus sp.) und Einsiedler- oder Violinenspinnen (Loxosceles sp.) [4]. Bei den australischen Trichternetzspinnen (Atrax sp., Hadronyche sp.) sind vor Einführung des Antivenins Todesfälle beschrieben [4]. Das Gift ist neurotoxisch, es kommt zu starken Schmerzen an der Bissstelle und zu neuromuskulärer und autonomer Erregung mit Agitation, Koma, Lungen- und Hirnödem und Kreislaufkollaps. Bisse durch Bananenspinnen (Phoneutria sp.) und die Schwarzen Witwen (Latrodectus sp.) führen zu starken Schmerzen und je nach Art zu systemischen Symptomen mit Schwitzen, Priapismus, Piloerektion, Lungenödem, selten auch Myokardinfarkt und Schock [4]. Der Biss der Einsiedlerspinne (Loxosceles sp.) verursacht kaum Schmerzen, kann aber Hautnekrosen und schwere Hämolysen auslösen [4].
Diesen giftigeren Spinnen gegenüber steht die Gruppe der grossen und oft haarigen Vogelspinnen, die oft auffällig gefärbt sind (Abb. 1). Meist verlaufen Bisse durch Vogelspinnen unproblematisch, aber einige Gattungen können Muskelkrämpfe verursachen. Das Auftreten von Muskelkrämpfen wurde bisher bei einigen asiatischen und afrikanischen Arten beschrieben [5]. Allerdings gibt es auch Hinweise, dass amerikanische Arten Muskelkrämpfe auslösen können [3, 5]. Die Haare der Spinnen sind zudem potente Allergene und können nebst Dermatitiden auch schwere Augenentzündungen im Sinne einer «Tarantelkeratitis» verursachen, bei der die Haare der Spinne die Hornhaut penetrieren und bis ins hintere Segment des Auges weiterwandern können [6].
Abbildung 1: Avicularia versicolor (Martinique).
Foto: Karen Gutscher

B) Exotische Skorpione

1750 Skorpiongattungen mit 2322 verschiedenen Arten sind weltweit beschrieben, aber nur circa 25 Gattungen sind für den Menschen gefährlich [7]. Die Stiche der meisten Skorpione sind schmerzhaft, aber relativ harmlos. Einige Gattungen sind jedoch in der Lage, systemische Symptome zu verursachen. Neurotoxisch können Arten der Gattungen Centruroides sp., Tityus sp., Leiurus sp. oder Parabuthus sp. sein. Lebensbedrohliche kardiovaskuläre Symptome durch Arten der Gattungen Buthus sp., Mesobuthus sp. oder Androctonus sp. sind bekannt [2, 7]. Einige Vertreter der Gattung Hemiscorpius können zusätzlich zu den systemischen Symptomen auch ausgedehnte Hautnekrosen verursachen [8].

Prävention

Einheimisch:

Exotisch:

Therapiemöglichkeiten

Einheimisch:

Exotisch:

Ein Wort zum Antivenin:

Antivenin ist bei Schlangenbissen die Therapie der Wahl, wenn schon schwere Symptome vorhanden sind oder drohen. Für Vogelspinnen gibt es kein Antivenin, während Antivenine für Phoneutria sp., Atrax sp. / Hadronyche sp. und Latrodectus sp. gute Resultate erzielen. Bei Skorpionen wird die Verwendung kontrovers diskutiert, trotz guter Resultate für einige Gattungen wie Centruroides sp., Tityus sp. oder Hemiscorpius lepturus.

Fazit

Tox Info Suisse stellt Informationen zur Toxizität und spezifischen Behandlung nach Bissen durch Spinnen und Stichen durch Skorpione bereit (einheimische und exotische Vertreter). Bisse und Stiche durch einheimische Arachniden verlaufen in der Regel mild und bedürfen kaum je einer Therapie, da die maximal wespenstichartigen Symptome meist spontan regredient sind. Falls nötig, ist eine symptomatische Therapie ausreichend.
Bei Vergiftungen durch exotische Arachniden ist nach Rücksprache mit Tox Info Suisse primär eine symptomatische Therapie indiziert. Antivenine sind bei uns nicht vorhanden (Ausnahme: Latrodectus sp.). Bei Muskelkrämpfen durch Vogelspinnenbisse kann Magnesium versucht werden. Bei exotischen Skorpionen bleibt die Therapie symptomatisch mit Analgesie.
Dr. Cornelia Reichert
Leitende Ärztin
Tox Info Suisse
Freistrasse 16
CH-8032 Zürich
1 Gnädinger M, Nentwig W, Fuchs J, Ceschi A. Swiss prospective study on spider bites. Swiss Med Wkly. 2013 Sep;143:w13877.
2 Hauke TJ, Herzig V. Dangerous arachnids-Fake news or reality? Toxicon. 2017 Nov;138:173–83.
3 Fuchs J, Weiler S. Bites by pet arachnids – epidemiology of cases reported to the Swiss National Poisons Information Centre over a period of 44 years. Clin Toxicol (Phila). 2021;59(11):1124.
4 Isbister GK, Fan HW. Spider bite. Lancet. 2011 Dec;378(9808):2039–47.
5 Hauke TJ, Herzig V. Muscle spasms – A common symptom following theraphosid spider bites? Toxicon. 2021 Mar;192:74–7.
6 Jalink MB, Wisse RP. On the Dangers of Tropical Spiders as a Pet: A Review of Ocular Symptoms Caused by Tarantula Hairs. Am J Trop Med Hyg. 2021 Sep;105(6):1795–7.
7 Shamoon Z, Peterfy RJ, Hammoud S, Khazaeni B, 2021. Scorpion Toxicity. 2021 Aug 12. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2021 Jan–. (Zugriff 28. November 2021)
8 Dehghani R, Kamiabi F, Mohammadi M. Scorpionism by Hemiscorpius spp. in Iran: a review. J Venom Anim Toxins Incl Trop Dis. 2018 Mar;24(1):8.

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