Weiter- und Fortbildung aus der Sicht des Nachwuchses

«Der stille Killer» – ein etwas ­anderer Krimi

Fortbildung
Ausgabe
2023/03
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2023.10508
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2023;23(03):84-85

Affiliations
Dissertantin an der Universität Bern

Publiziert am 08.03.2023

Am letztjährigen 45. Ärztekongress in Arosa illustrierte Dr. Beat Helbling, Gastroenterologe der Gemeinschaftspraxis Gastroenterologie Bethanien in Zürich, die Lebererkrankungen anhand vieler kleiner Fallvignetten. Die wichtigsten diagnostischen und therapeutischen Indikationen für die Hausarztmedizin sind im Folgenden auszugsweise zusammengefasst.

Die unsichtbare Hepatopathie

Herr M., ein 56-jähriger Informatiker mit zwei erwachsenen Kindern, war bis auf eine Adipositas (175 cm, 98 kg) immer gesund. Seit einem Jahr klagt er jedoch wiederholt über Oberbauchschmerzen rechts für circa 20 Minuten, manchmal auch länger. Vom Hausarzt hat er bereits PPI verschrieben bekommen, jedoch ohne Erfolg. Die AST (GOT) wurde mehrfach kontrolliert und lag immer bei circa 60 U/l (Norm bei Männern: bis 50 U/l). Bei einer erneuten kolikartigen Schmerzattacke wurde der Patient auf dem Notfall vorstellig. In der Oberbauchsonografie zeigten sich Gallenblasensteine, schlanke Gallenwege und eine Fettleber. Damit wurde die Diagnose Cholezystolithiasis und Fettleber und die Indikation zur Cholezystektomie gestellt. Bei der anschliessenden Laparoskopie zeigte sich jedoch das klassische Bild einer Leberzirrhose.
«Eine Zirrhose sollte nicht so entdeckt werden, dennoch ist dies absolut typisch», erklärt Helbling. Da sich Zirrhosen oft inapparent mit lediglich einer leichten Transaminasenerhöhung präsentieren, ist diese Diagnose äusserst anspruchsvoll. Typisch für eine Zirrhose ist ein deformierter und vergrösserter Lobus caudatus in der Abdomen-Sonografie. Zudem sollte die Milz mitbeurteilt werden, da oft eine Splenomegalie vorliegt. Einen weiteren Hinweis darauf geben die Thrombozyten. «Der beste Parameter für eine Zirrhose sind die Thrombozyten», erklärt Helbling. «Werte an der unteren Norm oder darunter (Thrombozytopenie) sind immer sehr zirrhoseverdächtig.» Ebenfalls behilflich sein kann der APRI-Score (AST/Thrombozyten-Ratio-Index; Abb. 1). Für eine Zirrhose besteht ein Schwellenwert von >2,0, wohingegen ein Score von <1,0 eine Zirrhose ausschliessen soll (negativer prädiktiver Wert = 98%) [1]. Zusätzlich besteht die Möglichkeit eines Fibroscans® (transiente Elastografie) oder einer Share-Wave-Elastografie sowie die einer Leberbiopsie. Ist die Diagnose einmal gestellt, kann mittels Gastroskopie nach Ösophagusvarizen gesucht werden und durch die altbekannten Child-Pugh-Kriterien (Enzephalopathie, Ascites, Albumin, Bilirubin, INR) die Prognose bestimmen werden.
Abbildung 1: APRI-Score [1].

Einmal Akteneinsicht, bitte

Hepatitis-Patienten können genau wie Zirrhosepatienten lange klinisch asymptomatisch sein. «Die Hinweise auf eine Virushepatitis liegen in Ihren Akten», so Helbling. Die Zufallsdiagnose einer Virushepatitis B oder C lässt sich am häufigsten aufdecken bei Blutspenden, Alkoholproblemen, bei einer sonografisch veränderten Leber und bei Hausarzt-Wechseln; die einer Hepatitis B zusätzlich bei Schwangerschaftsscreenings, Familienuntersuchungen und bei Impfversagern.
Akute Hepatitiden machen nur einen Bruchteil aller Virushepatitiden aus. «Wenn Sie heutzutage einen Patienten mit einer akuten Virushepatitis sehen, ist dies mit grosser Wahrscheinlichkeit eine durch Schweinefleisch verursachte Hepatitis E», erinnert Helbling.
Hepatitis B tritt sehr häufig (ca. 80%) bei Personen mit einem Migrationshintergrund (Süden/Osten) auf. Davon sind 90% asymptomatisch. Die Hepatitis B findet sich somit nur durch die Serologie. Die wichtigsten Parameter sind Anti-Hbc-AK, Hbs AG und die Anti-Hbs-Ak. Den sichersten Schutz davor bietet die Impfung.
Auch hier können die Thrombozyten einen Hinweis auf eine Fibrose geben, die wie eine doppelte Erhöhung der Transaminasen zu Therapie-Beurteilungskriterien gehören. Genauso die Fibrose (Elastografie/Biopsie) oder HBV-DNA >200 IU/l. Sind diese Kriterien erfüllt, eignet sich die gut verträgliche Langzeittherapie mit Tenofoviralafenamid 25 mg täglich oder Tenofovirdisoproxil 245 mg täglich. Bei allen anderen Patienten müssen lediglich 1–2 × jährlich die Transaminasen bestimmt werden, dennoch empfiehlt sich die Rücksprache mit einem Spezialisten. Cave: Vor einer Immunsuppression (Prednison über mehrere Wochen, Biologika, Chemotherapie etc.) muss zwingend eine Hepatitis B gesucht und behandelt werden, da eine latente Infektion durch eine immunsuppressive Therapie aktiviert werden kann.

Sonografie: zirrhoseverdächtige Zeichen

Milzvergrösserung
Kaum darstellbare Lebervenen
Unregelmässige Leberoberfläche
Kleine Leber mit grossem Lobus caudatus
Leber nur von interkostal schallbar
Cave: Die Hyperechogenität (Fettleber) sagt nichts über die Fibrose aus.

Die heilbare Virushepatitis

Letztes Jahr gingen beim BAG 947 neue Hepatitis C-Meldungen ein, lediglich 12 davon waren eine akute Hepatitis. Daher ist es wichtig, die Hepatitis zu suchen, insbesondere unter der Berücksichtigung, dass die Hepatitis C heilbar ist. Sie kommt wie die Hepatitis B gehäuft bei 35–75-jährigen vor und zeigt einen geringeren Anteil an Patienten mit Migrationshintergrund (50%). Hier gilt gemäss Helbling die Devise «testen, testen, testen». Bei Drogenabusus sollte sogar 1 × jährlich getestet werden, da man sich erneut infizieren kann. Die Behandlung besteht aus einer Kombitherapie aus zwei verschiedenen Virusproteinblockern (z.B.: Maviret® einmal tägl. 3 Tbl. zu einer Mahlzeit für 8 Wochen oder Epclusa® 1 Tbl. tägl. für 12 Wochen):
Der Vorteil dabei ist, dass diese Therapie seit dem 1.1.2022 auch von Hausärzten verschrieben werden kann. Für zusätzliche Informationen zur Therapie empfiehlt Helbling, die Webseiten www.sasl.ch oder www.hepcare.ch zu konsultieren. Letztere bietet zudem die Möglichkeit, ein Aktenkonsil bei Fragen zur Therapie zu beantragen. Da einige Interaktionen mit anderen Medikamenten bestehen, sollte zudem immer ein Interaktionscheck stattfinden (z.B. https://www.hep-druginteractions.org/checker). Zur Sicherstellung der Therapie-Adherence empfiehlt der Spezialist monatliche Kontrolltermine während der Einnahmedauer, zudem eine einmalige Laborkontrolle 3 Monate nach Abschluss der Therapie. Ist zu diesem Zeitpunkt die HCV-RNA negativ, besteht eine Heilung der C-Virusinfektion. Zu beachten ist, dass die Antikörper ein Leben lang positiv bleiben, weshalb sie nicht aussagekräftig betreffend Heilung einer Hepatitis C sind. Beim Vorliegen einer Zirrhose sollte immer eine Rücksprache mit einem Spezialisten erfolgen, da dabei die Therapie vom bekannten Standard abweichen kann und zusätzlich auch nach Heilung der Infektion alle 6 Monate eine sonografische Kontrolle betreffend Leberzellkarzinom erfolgen muss.

Take-home messages

Auch «gesunde» Patientinnen und Patienten können Zirrhosen haben – Hepatitis muss man suchen.
Die Zirrhose ist stumm und der Weg zu ihr (Hepatitis) auch.
Vor einer Immunsuppression (Prednison mehrere Wochen, Biologika, Chemotherapie etc.) muss zwingend eine Hepatitis B gesucht werden, da eine latente Infektion durch eine immunsuppressive Therapie aktiviert werden kann.
Differentialdiagnostisch immer auch an folgende Erkrankungen denken: Fettleber (↑ Transaminasen, γ-GT, Ferritin ↓ Transferrinsättigung), Drug Induced Liver Injuries (Hauptvertreter: Antibiotika und NSAR!), Hämochromatose (↑ Ferritin- & Transferrinsättigung) und bei erhöhten Cholestaseparametern (γ-GT, alkalische Phosphatase und Gesamtbilirubin) neben den Hepatitiden auch Gallensteine (nur Choledocholithiasis führt zu erhöhten Leberwerten) oder Pankreastumore (schmerzlos) in Betracht ziehen.
Bildgebungen der Wahl sind: Abdomensonografie für die Gallenblase, CT oder MRI bei V.a. Pankreastumor und MRI bei fokalen Leberläsionen. MRI oder Endosonografie bei Gallengangssteinen.
Matthias Widmer
Verantwortlicher Redaktor
Primary and Hospital Care
EMH Schweizerischer
Ärzteverlag
Farnsburgerstrasse 8
CH-4132 Muttenz
1 Nordlab.de [Internet]. Hameln: Partnerschaftspraxis für Laboratoriumsmedizin und Mikrobiologie; c2021 [abgerufen am 9. April 2022]. Verfügbar unter: https://www.nordlab.de/index.php/de/26-rechner/156-apri abgerufen