Die Erfahrung von Patientinnen, Patienten und Fachpersonen

Die aktuelle Versorgung von ­chronischen Erkrankungen in länd­lichen Berner Hausarztpraxen

Originalarbeit
Ausgabe
2023/03
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2023.10515
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2023;23(03):75-78

Affiliations
a Südland Praxis Effinger, Bern, Schweiz; b Kinderklinik Inselspital, Bern, Schweiz; c tilia Stiftung, Köniz, Schweiz; d Angewandte Forschung und Entwicklung / Dienstleistung Pflege, Departement Gesundheit, Berner Fachhochschule, Schweiz; e Fakultät für Gesundheit, Department für Pflegewissenschaft, Universität Witten/Herdecke, Witten, Deutschland; f Master of Science in Pflege, Departement Gesundheit, Berner Fachhochschule, Schweiz
Geteilte Autorenschaft von Christine Teuschera, Lea Flückb, Simona Aeschlimannc

Publiziert am 08.03.2023

Die Erfahrung von Patientinnen, Patienten und Fachpersonen

Abstract

Personen mit chronischen Krankheiten sowie der Fachkräftemangel stellen aktuelle und bekannte Herausforderungen dar, insbesondere für die hausärztliche Versorgung in ländlichen Gebieten. Neue Versorgungsmodelle werden entwickelt. Jedoch ist es nötig, auch die bestehende Versorgung in Hausarztpraxen zu untersuchen, um deren Ressourcen zu identifizieren. Diese Erkenntnisse sollten in die zukunftsorientierte und nachhaltige Versorgungsplanung einbezogen werden.

Einführung

Die Zunahme an chronisch und mehrfach Erkrankten sowie der manifeste Fachkräftemangel wirken sich auf die Schweizerische Hausärztliche Versorgung aus [1]. Besonders betroffen sind ländliche Regionen, in denen sich Versorgungsengpässe abzeichnen [2]. Die medizinische Betreuung chronisch und mehrfach erkrankter Personen erfolgt in Hausarztpraxen, wobei sich die Schwerpunkte der Betreuung immer mehr von Therapie und Diagnostik hin zu Koordination und Begleitung verlagern [3, 4]. Grund dafür ist, dass die Behandlung auch Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention sowie die regelmässige Unterstützung im Selbstmanagement umfassen sollte. Das aktuelle Versorgungsmodell umfasst die Hausärzteschaft, medizinische Praxisassistenteninnen und -assistenten (MPA) sowie medizinische Praxiskoordinatorinnen und -koordinatoren (MPK), d.h. MPA mit Weiterbildung [5, 6]. In der Betreuung von Personen mit Diabetes, aber auch anderen chronischen Erkrankungen, erweist sich die Zusammenarbeit zwischen Hausärztinnen und Hausärzten, MPA und MPK als gut funktionierend. Die Patienteninnen und Patienten weisen dadurch teilweise bessere Ergebnisse auf [5, 6]. Aber auch andere Zusammenarbeitskonstellationen wie Hausärztinnen und Hausärzte, MPA sowie Pflegefachpersonen können zu besseren Patientenergebnissen führen [7, 8]. Diese Aspekte erhalten neue Bedeutsamkeit in Bezug auf die Evaluation eines neuen Versorgungsmodells, in dem APN (Advanced Practice Nurses) in Schweizer Hausarztpraxen integriert werden [9]. Im Hinblick auf ländliche Regionen ist jedoch wenig bekannt, wie Hausärztinnen und Hausärzte, MPA und MPK ihre Situation einschätzen und chronisch kranke Personen ihre Versorgung erleben. Daher wurde – in drei Studien – die aktuelle hausärztliche Versorgung im ländlichen Raum des Kantons Bern untersucht mit dem Ziel, die spezifische Perspektive der Personen mit chronischen und Mehrfacherkrankungen sowie die der Fachpersonen zu erheben und die interprofessionelle Zusammenarbeit darzustellen.

Forschungsfrage

Wie erleben chronisch kranke Patienteninnen, Patienten und Fachpersonen in Hausarztpraxen die Versorgung in ländlichen Gebieten des Kantons Bern? Wie wird die interprofessionelle Zusammenarbeit im aktuellen Versorgungsmodell derzeit gelebt?

Methodik

Nachfolgend werden zwei qualitative Studien mit Interviews und eine Mixed-Methods-Studie mit Fragebogen und Beobachtungen zu den obigen Fragestellungen vorgestellt. Diese drei Studien fokussierten auf das aktuelle hausärztliche Versorgungsmodell in ländlichen Gegenden des Kantons Bern. Dies als Gegenstück zum gleichzeitig durchgeführten Projekt PRiMA, in dem der Einsatz von APN (Pflegefachpersonen mit einem Master of Science in Pflege, Berufserfahrung sowie arbeitend in der klinischen Praxis) evaluiert wurde [9, 10].
Für die Beantwortung der Forschungsfragen konnten drei Gruppenpraxen bestehend aus Hausärztinnen, Hausärzten, MPA und MPK aus ländlichen Gebieten des Kantons Berns gewonnen werden. Die jeweiligen teilnehmenden Fachpersonen unterstützten die Identifikation von geeigneten über 65-jährigen chronisch erkrankten Patientinnen und Patienten, die zu Hause lebten. Mit den Fachpersonen wie auch den Patientinnen und Patienten wurden semistrukturierte Interviews durchgeführt. Zusätzlich wurden in den Hausarztpraxen Beobachtungen durchgeführt (Tab. 1). Ergänzend wurden bei den Patientinnen und Patienten mittels standardisierter Fragebogen Gesundheitszustand und Symptomlast erfasst. Zur Einschätzung der interprofessionellen Zusammenarbeit unter Fachpersonen wurden ebenfalls standardisierte Fragebogen eingesetzt (Tab. 2). Die transkribierten Interviews wurden thematisch analysiert nach Braun und Clarke [11]. Die Beobachtungen wurden inhaltsanalytisch nach Mayring [12] und thematisch nach Tuckett [13] ausgewertet. Die Analyse der Fragebogen erfolgte mittels deskriptiver Statistik.
Tabelle 1: Übersicht Datenerhebung.
 Praxis 1 Praxis 2 Praxis 3
Interview Fachpersonen2 Hausärzte/-innen
2 MPA
2 Hausärzte/-innen
1 MPK
1 MPA
2 Hausärzte/-innen
1 MPK
1 MPA
Interviews Patienten/-innen4 Patienten/-innen8 Patienten/-innen6 Patienten/-innen
Fragebogen Fachpersonen:7 Fachpersonen11 Fachpersonen9 Fachpersonen
Fragebogen Patienten/-innen4 Patienten/-innen8 Patienten/-innen6 Patienten/-innen
Beobachtungssequenzen2 Sequenzen (13 Std. 3 Min.)2 Sequenzen (13 Std. 50 Min.)3 Sequenzen (16 Std. 15 Min.)
BackgroundRural35 (11,60%)14 (4,70%)

Resultate

Insgesamt wurden 18 Patientinnen und Patienten und 12 Fachpersonen interviewt. Die Beobachtungszeit betrug 53 Stunden und 8 Minuten, und es wurden insgesamt 27 Fachpersonen befragt (Tab. 2).
Tabelle 2: Übersicht Fragebogen.
FragebogenErhebungszweckTeilnehmende
Edmonton Symptom Assessment System (ESAS) [1]Gesundheitszustand / SymptomlastPatienten/-innen
Angehörige
EQ-5D-3L – German version for Switzerland [2]LebensqualitätPatient/-innen Angehörige
Assessment of Interprofessional Team Collaboration Scale II (AITCS-II) [3, 4]Interprofessionelle Zusammenarbeit Fachpersonen
Schweizerisches Interprofessionalitäts-Erhebungs-Instrumentarium (SIPEI) [5]Interprofessionelle Zusammenarbeit Fachpersonen
1 Bruera E, Kuehn N, Miller MJ, Selmser P, Macmillan K. The Edmonton Symptom Assessment System (ESAS): a simple method for the assessment of palliative care patients. J Palliat Care. 1991;7(2):6–9. 2 Greiner W, Claes C. Der EQ-5D der EuroQol-Gruppe. In: Schöffski O, Graf von der Schulenburg JM, editors. Gesundheitsökonomische Evaluationen. 2., vollst. neu überarb. Aufl. ed. Berlin: Springer; 2008. p. 403-13. 3 Orchard CA, King GA, Khalili H, Bezzina MB. Assessment of Interprofessional Team Collaboration Scale (AITCS): development and testing of the instrument. J Contin Educ Health Prof. 2012;32(1):58–67. 4 Orchard C, Pederson LL, Read E, Mahler C, Laschinger H. Assessment of Interprofessional Team Collaboration Scale (AITCS): Further Testing and Instrument Revision. J Contin Educ Health Prof. 2018;38(1):11–8. 5 Wagner F, Neubauer F, Huwendiek S. Mandat 7 Schweizerisches Interprofessionalitäts-EvaluationsInstrumentarium (SIPEI). Schlussbericht. Bern: Bundesamt fuer Gesundheit; 2019.

Sicht der Patientinnen und Patienten

Die Patientinnen und Patienten, davon 12 Frauen, waren im Schnitt 75 Jahre alt (67–89 Jahre). Mit einer Ausnahme wiesen alle Personen Mehrfacherkrankungen auf. Am häufigsten fanden sich Herz-Kreislauferkrankungen (n = 16), gefolgt von Diabetes mellitus Typ II (n = 13) und muskuloskelettalen/rheumatische Krankheiten (n = 9). Insgesamt verfügten die Patientinnen und Patienten über einen guten bis sehr guten Gesundheitszustand. Jedoch wiesen sie durchschnittlich vier Symptome wie Schmerz sowie weitere körperliche Beschwerden mit eingeschränkter Mobilität auf.
Insgesamt war die hausärztliche Betreuung zufriedenstellend. Den Fachpersonen wurde als medizinischen Partnerinnen und Partnern vertraut. Sie boten kontinuierlich zu den Krankheiten verlässliche Begleitung und waren da, wenn sie gebraucht wurden. Die Patientinnen und Patienten fühlten sich als Menschen wahrgenommen. Die persönliche Atmosphäre in den Hausarztpraxen war hierfür förderlich. Dennoch war die hohe Arbeitsbelastung der Fachpersonen für die Patientinnen und Patienten deutlich spürbar.
«Ich weiss nicht, wie lange ein Arzt das durchsteht. Man macht sich fast Sorgen, dass die einfach mal ausgebrannt sind […] Das Tempo, welches dort drin ist, das ist happig.»
Die Zusammenarbeit der verschiedenen Fachpersonen der Hausarztpraxis wurde als funktionierend wahrgenommen. Insbesondere die Berufsrolle der MPK wurde als Entlastung der Hausärzteschaft und Mehrwert gesehen. Umfassendere und standardisierte Routinekontrollen z.B. bei Diabetes mellitus Typ 2 wurden möglich und vermittelten den Patientinnen und Patienten Sicherheit.

Sicht der Fachpersonen

Pro teilnehmende Hausarztpraxis wurden je zwei ärztliche Fachpersonen sowie zwei MPA und/oder MPK interviewt. Im Durchschnitt waren die ärztlichen Fachpersonen (Angaben nur von fünf ärztlichen Fachpersonen) 50,2 Jahre alt (34–57 Jahre) und hatten 22,8 Jahre (8–30 Jahre) Berufserfahrung. Die ärztlichen Fachpersonen hatten ein durchschnittliches Arbeitspensum von 75% (55–100%). Insgesamt nahmen zwei MPA, zwei MPK in Ausbildung und zwei MPK an den Interviews teil. Sie waren durchschnittlich 31,7 Jahre alt (22–52 Jahre) und hatten 12,1 Jahre (3–33 Jahre) Berufserfahrung. Das durchschnittliche Pensum umfasste 85% (40–100%). Alle Fachpersonen betonten in den Interviews, dass sie gerne im ländlichen Setting arbeiteten. An den Fragebogen beteiligten sich n = 27 Fachpersonen (22 Frauen) mit Durchschnittsalter 35,1 Jahren (17–57 Jahre).
Für die Hausärzteschaft stand das medizinische Management von A bis Z mit einer kontinuierlichen persönlichen Beziehung im Zentrum.
«Die Hauptaufgabe ist, zu schauen, dass es ihnen [den Patientinnen und Patienten] gesundheitlich gut geht, dass sie mit ihren «Bräschten», welche sie haben, ein gutes Leben führen können, und sie dabei zu begleiten.»
Allerdings wiesen vor allem die ärztlichen Fachpersonen auf die fehlenden Guidelines zu Multimorbidität hin, wodurch die Betreuung herausfordernd war. Aber auch die Polypharmazie sowie der steigende administrative Aufwand wurden als problematisch beschrieben.
Beide, MPA und MPK, wurden als tragende Säulen der Praxen beschrieben. Durch Zeitdruck und Arbeitslast getrieben, übernahmen sie zunehmend ursprünglich hausärztlich angesiedelte, nun delegierte medizinaltechnische Handlungen wie Blutzuckerkontrollen oder Verbände. Die Ärzteschaft erlebte diese Veränderungen als entlastend. Mit der Spezialisierung der MPK auf Diabetes mellitus und ihrem neuen Sprechstundenangebot verbesserte sich gemäss Ärzteschaft die Behandlungsqualität. In den Sprechstunden thematisierten die MPK Überwachungsaufgaben wie Blutzuckermessung und führten Lifestyle-Beratungen durch.

Interprofessionelle Zusammenarbeit

Die Hausärzteschaft delegierte klar umrissene (z.B. die Vorbereitung von Injektionen), aber auch edukative Aufgaben in Zusammenhang mit Diabetes mellitus an MPA und MPK. Komplexe Patientensituationen bei Personen mit schwerwiegenden Erkrankungen oder am Lebensende verlangten nach guter interprofessioneller Zusammenarbeit zur besseren Übersicht und Koordination verschiedener Leistungserbringender. War eine Versorgung durch die Hausärzteschaft allein möglich, bestand kein Bedarf an interprofessionellem Handeln. Örtliche Nähe zu anderen Leistungserbringenden wie der Spitex wurde als hilfreich wahrgenommen. Man kannte sich gegenseitig gut, war regelmässig im Austausch und hatte so eine gute Zusammenarbeit.
Gemäss Fragebogen, wurde die interprofessionelle Zusammenarbeit als vorhanden und gut eingeschätzt. Jedoch zeigte sich Entwicklungsbedarf in den Bereichen Partnerschaftlichkeit und Koordination (gemäss AITCS) sowie Bedarf nach interprofessioneller Ausbildung gemäss SIPEI. Die Auswirkungen der interprofessionellen Zusammenarbeit waren insgesamt wenig nachvollziehbar.
Tabelle 3: EQ-5D-3L der teilnehmenden Patient/-innen.
DimensionenMittelwertMin.Max.
Beweglichkeit/Mobilität0,401
Für sich selbst sorgen000
Allgemeine Tätigkeiten0,101
Schmerz / körperliche Beschwerden0,701
Angst / Niedergeschlagenheit0,301
Visuelle Analogskala (VAS)8250100

Diskussion

Das aktuelle Versorgungsmodell wurde aus der Perspektive der Patientinnen, Patienten und Fachpersonen als gut eingeschätzt. Auch die interprofessionelle Zusammenarbeit wurde als gelungen gesehen. Jedoch erkannten die Patientinnen und Patienten den wachsenden koordinativen Aufwand für Fachpersonen und somit auch die möglichen Grenzen des Systems. Die Fachpersonen ihrerseits wiesen auf die fachlichen Herausforderungen bei Mutimorbidität sowie die aktuell bestehenden einschränkenden Rahmenbedingungen bei der Vergütung hin. Obwohl Koordination und Anleitung zum Selbstmanagement für die Behandlung von Personen mit chronischen und Mehrfacherkrankungen zentral sind [5, 14, 15], können solche Aktivitäten aktuell nur ungenügend abgerechnet werden.
Für Patientinnen und Patienten erfüllte das aktuelle Versorgungssystem ihre Bedürfnisse. Die vollzogenen Änderungen mit der Integration neuer Rollen wie der MPK und der damit zusammenhängenden Aufgabenneuverteilung in den Hausarztpraxen war zielführend. Gerade Patientinnen und Patienten mit Diabetes mellitus profitierten von diesen Neuerungen [4–6]. Jedoch war die Gesundheitssituation der hier teilnehmenden Patientinnen und Patienten in allen Fällen stabil und konnte standardisiert kontrolliert werden Bei Patientinnen und Patienten mit komplexen und instabilen Situationen muss angenommen werden, dass die Herausforderungen noch um ein Vielfaches ansteigen [9, 16].
Jedoch wiesen die Patientinnen und Patienten darauf hin, dass steigende gesundheitliche Herausforderungen die aktuellen Gegebenheiten der Hausarztversorgung übersteigen und sich Probleme und Einschränkungen manifestieren könnten. Damit sollten die aktuellen Bemühungen um eine Verbesserung der Versorgung weitergeführt werden, damit auch zukünftig mit den wachsenden Herausforderungen umgegangen werden kann. Dabei könnte neben der neuen Rolle der MPK auch die APN eine tragende Rolle spielen. Mit APN würden diplomierte Pflegefachperson mit einem Master of Science in Pflege-Abschluss in die Hausarztversorgung integriert, die vertieftes Pflegewissen mit ärztlichem Fachwissen und Fertigkeiten kombinieren [4, 9, 16]. Ebenso müssten die Patientinnen und Patienten bezüglich der wachsenden Herausforderungen noch stärker auf das Potenzial, aber auch die mit neuen Versorgungsmodellen zu erwartenden Änderungen sensibilisiert werden.
Tabelle 4: ESAS der teilnehmenden Patient/-innen.
SymptomeMittelwertMin.Max.
Schmerz1,907
Müdigkeit2,4010
Übelkeit0,101
Stimmung1,906
Angst0,806
Schwindel0,705
Appetit1,808
Atemnot0,604
Allgemeines Befinden1,205
In der Behandlung von chronisch Kranken sind neben gängigen medizinischen Tätigkeiten wie Verlaufskontrollen auch präventive und gesundheitsfördernde Beratungen notwendig [5, 10, 14]. Versorgungsmodelle, die verstärkt Raum für Gesundheitsförderung und Koordination bieten, sind zentral angesichts der Zunahme chronischer Erkrankungen [1, 15]. Der Ausbau von fachlichen Ressourcen wie der Verfügbarkeit nationaler und internationaler Standards (z.B. zu Multimorbidität) kann unterstützend sein [14]. Da Kapazitätsgrenzen des aktuellen Versorgungsmodells dennoch möglich sind, werden darüber hinaus adäquate Rahmenbedingungen mit entsprechenden Möglichkeiten der Leistungsabrechnung – auch für neue Rollen in der hausärztlichen Versorgung – nötig, insbesondere bezüglich koordinativer Aufgaben[17, [18].
Tabelle 5: Ergebnisse AICTS-II-Fragebogen der Fachpersonen.
SubskalaPunkteMittelwertStandardabweichungMin.Max.
Partnerschaft (n = 24)0–53,960,582,504,88
Kooperation (n = 27)4,410,283,755,00
Koordination (n = 20)3,490,512,004,29
Legende: n variiert je nach Subskala aufgrund fehlender Werte.
Mit der bereits eingeleiteten Aufgabenneuverteilung in den Hausarztpraxen ist ein wichtiger Schritt hin unternommen, den zunehmend ändernden Anforderungen zu begegnen. Wichtig ist dabei eine klare Definition der Rollen, wie sie von Hausärzteschaft, MPA und MPK bereits gelebt wird. Für die Integration zusätzlicher Rollen wie jener der APN sind weitere Klärungen unabdingbar. Jedoch zeigt sich auch die Wichtigkeit der Förderung des interprofessionellen Teams. Weiterbildung und Überarbeitung der Zusammenarbeit hin zu mehr Partnerschaftlichkeit und verstärkter Koordination scheinen nötig, integriert und gefördert zu werden [4, 15–18].
Tabelle 6: Ergebnisse SIPEI-Fragebogen der Fachpersonen.
SubskalaSummenscoreMittelwertStandardabweichungMin.Max.
Interprofessionelle Zusammenarbeit (n = 14)70,0057,393,9949,0069.00
Auswirkungen (n = 21)20,0013,893,429,0015,00
Rahmenbedingungen (n = 15)55,0046,683,3742,0052,00
Interprofessionelle Ausbildung (n = 13) 15,0011,151,449,0014,00
Legende: n variiert je nach Subskala aufgrund fehlender Werte.

Schlussfolgerung

Das aktuelle Versorgungsmodell wird den heutigen Anforderungen noch gerecht. Jedoch sind Grenzen erkennbar, was sich auf die zukünftige Versorgung auswirken kann. In Anbetracht der steigenden Zahlen an Personen mit chronischen und Mehrfacherkrankungen sowie des sich verschärfenden Fachkräftemangels ist es unumgänglich, neue Versorgungsmodelle rasch zu entwickeln und umzusetzen sowie bereits implementierte Modelle zu unterstützen. Rollenklärungen müssen zügig erfolgen, und Leistungsvergütungen – nicht nur für spezifische Aufgaben wie Koordination, Gesundheitsförderung, Prävention und Selbstmanagement, sondern eben auch für nicht-ärztliche Fachpersonen in der Schweizer Hausarztpraxen – müssen ermöglicht werden.
Maya Zumstein-Shaha
stv. Studiengangleiterin, Dozentin
Master of Science in Pflege
Berner Fachhochschule
Murtenstrasse 10
CH-3008 Bern
1 Bachmann N, Burla L, Kohler D. Gesundheit in der Schweiz: Fokus chronische Erkrankungen. In: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium, Monika Diebold, Ilona Kickbusch, Fred Paccaud, Zeltner T, editors. Nationaler Gesundheitsbericht 2015. 1. ed. Bern: Hogrefe; 2015.
2 Cerny T, Rosemann T, Tandjung R, Chmiel C. Ursachen des Hausärztemangels - ein Vergleich zwischen Frankreich und der Schweiz. Praxis (Bern 1994). 2016 May 25;105(11):619-36.
3 Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW). Stärkung der Versorgungsforschung in der Schweiz. Swiss Academies Reports. 2014;9(1):1–62.
4 Jotterand S, Fasser J, Schlunegger MC, Mendieta MJ. Medizinische Versorgung in peripheren Regionen: Center da sandà Val Müstair. Projekt PRiMA der Berner Fachhochschule; Projekt INSPIRE der Universität Basel. Schweiz Arzteztg. 2021;102(47):1583–6.
5 Sahli R, Jungi M, Christ E, Goeldlin A. Chronic Care Management-Programm in der hausärztlichen Praxis. Swiss Medical Forum. 2019;19(7–8):113–6.
6 Jungi M. Skill-Mix in der Hausarztpraxis: neue Aufgaben der MPA. Primary and Hospital Care – Allgemeine. Inn Med. 2013;13(22):399–400.
7 Lutula J, Lamine F, Andrey M, Galfetti L, Wojtusciszyn A. Mesure continue du glucose – Rôles respectifs des personnels de santé et guide d’interprétation rapide. Rev Med Suisse. 2022 Jun;18(784):1116–22.
8 Konstantinidis L, Carron T, de Ancos E, Chinet L, Hagon-Traub I, Zuercher E, et al. Awareness and practices regarding eye diseases among patients with diabetes: a cross sectional analysis of the CoDiab-VD cohort. BMC Endocr Disord. 2017 Sep;17(1):56.
9 Schlunegger MC. Projekt PRiMA der Berner Fachhochschule. Schweiz Arzteztg. 2021;102(4):1585–6.
10 Schlunegger MC, Palm R, Zumstein-Shaha M. Der Beitrag von Advanced Practice Nurses in Schweizer Hausarztpraxen. Pflege. 2022 Jun 29. Epub ahead of print.
11 Braun V, Clarke V. Using thematic analysis in psychology. Qual Res Psychol. 2006;3(2):77–101.
12 Mayring P. Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken. 11., akt. u. überarb. Aufl. Weinheim: Beltz; 2010.
13 Tuckett AG. Applying thematic analysis theory to practice: a researcher’s experience. Contemp Nurse. 2005;19(1-2):75–87.
14 Battegay M. Multimorbidität: eine Herausforderung der Neuzeit. Bulletin ASSM. 2014(4):2–4.
15 Djalali S, Rosemann T. Neue Versorgungsmodelle für chronisch Kranke: Hintergründe und Schlüsselelemente. Neuchâtel: Obsan; 2015. Report No.: 1037-1501-05 Contract No.: 45.
16 Gysin S, Odermatt M, Merlo C, Essig S. Pflegeexpertinnen APN und Medizinische Praxiskoordinatorinnen in der Hausarztpraxis. Primary and Hospital Care – Allgemeine. Inn Med. 2020;20(1):19–22.
17 Bischofberger I, Käppeli A, Essig S, Gysin S. Klinisches Mentorat für Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten MSc. Stand der Diskussion und Erfahrungen aus der Praxis. Bern: Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften; 2020.
18 Schmitz CJ, Atzeni G, Berchtold P. Interprofessionelle Zusammenarbeit in der Gesundheitsversorgung: erfolgskritische Dimensionen und Fördermassnahmen: Differenzierung, Praxis und Implementierung. Swiss Academies Communications. 2020;15(2):1–136.