Entlastung der Hausärzteschaft

Die Medizinische Praxiskoordinatorin (MPK) in der Betreuung von Patientinnen und Patienten mit Typ 2 Diabetes

Themenschwerpunkt
Ausgabe
2023/04
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2023.10682
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2023;23(04):110-112

Affiliations
a Wissenschaftliche Mitarbeiterin, BIHAM; b Leiter Interprofessionelle Grundversorgung, BIHAM

Publiziert am 05.04.2023

Entlastung der Hausärzteschaft

Einleitung

Hausärztinnen und Hausärzte entlasten bei der Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Typ-2-Diabetes, möglichst kurzfristig und bei gleichbleibender Qualität. Lohnt es sich, hierfür eine Medizinische Praxiskoordinatorin mit klinischer Fachrichtung (MPK) einzustellen oder eine interessierte Medizinische Praxisassistentin (MPA) zur MPK ausbilden zu lassen? Dieser Frage gingen wir in unserer im Juni 2022 publizierten Studie nach [6].
Interprofessionelle Zusammenarbeit im Gesundheitswesen zur Verbesserung der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit chronischen Erkrankungen, zum Beispiel Diabetes mellitus Typ 2, ist ein hochaktuelles Thema. In der Schweiz, insbesondere in der peripheren Grundversorgung, existiert ein Mangel an Hausärztinnen und Hausärzten, der sich erwartungsgemäss erst in 15–20 Jahren entschärfen wird [1, 2]. Die Anzahl an Patientinnen und Patienten mit chronischen Erkrankungen nimmt jedoch aus demografischen und lebensstilbedingten Gründen (Bewegungsmangel, Ernährung, Übergewicht, Rauchen) ebenfalls stetig zu, sodass eine Versorgungslücke von chronisch Erkrankten entsteht. Eine deutliche Zunahme findet sich hier auch im mittleren Alter [3].
Ein Erfolg versprechendes Modell ist das Chronic Care Management (CCM), in welchem weitere Gesundheitsfachkräfte – z.B. Apothekerinnen und Apotheker, MPA, MPK mit klinischer Fachrichtung oder Advanced Practice Nurses (APN) – die Hausärztin oder den Hausarzt entlasten, indem sie einen Teil der Beratung, Behandlung und Kontrolle von Patientinnen und Patienten mit chronischen Erkrankungen übernehmen. In unserer Studie haben wir uns das Modell Hausarztpraxen mit einer MPK klinischer Fachrichtung etwas genauer angeschaut und erfreuliche Ergebnisse finden können.

Was beinhaltet die MPK-Ausbildung, und wieviel kostet sie?

MPK sind ausgebildete MPA, die sich in einer 2-jährigen Zusatzausbildung berufsbegleitend auf die Pflege chronisch kranker Menschen spezialisieren. Sie müssen mindestens drei Jahre praktische Erfahrung haben, bevor sie die Ausbildung beginnen können. Die Ausbildung zur MPK ist modular aufgebaut und kann individuell in 2 bis 5 Jahren abgeschlossen werden. Der Abschluss ist ein eidgenössischer Fachausweis.
Sie können zwischen einer klinischen und einer administrativen Ausrichtung wählen. Medizinische Praxiskoordinatoren mit klinischer Ausrichtung sind für die Beratung und Betreuung von Patientinnen und Patienten mit einer Reihe von chronischen Erkrankungen qualifiziert (z. B. Diabetes, Rheuma, Atemwegserkrankungen, koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz und zerebrale Insuffizienz).
Die Kosten der gesamten Ausbildung belaufen sich auf 10 000 bis 12 000 CHF. Es gibt jedoch Bundessubventionen von 50% der Kosten nach Abschluss der Ausbildung und Ablegen der eidgenössischen Prüfung.

Zur Studie

Dieses Multi-Stakeholder-Projekt wurde ideell und finanziell breit unterstützt, unter anderem von der BEKAG, der Schweizerischen Diabetes-Stiftung, den Versicherungsgesellschaften KPT und VISANA sowie von der FMH. Der Schweizerische Verband Medizinischer Praxis-Fachpersonen (SVA), INFRAS, ein unabhängiges Forschungsunternehmen, und ein Patientenvertreter mit Diabetes halfen bei der Entwicklung des Fragebogens, der Durchführung und der Dissemination tatkräftig mit – gelebte Interprofessionalität.
An der Querschnittstudie nahmen 22 Praxen aus der Deutschschweiz mit insgesamt 12 MPK teil. Dank der Hilfe des SVA und dem grossen Interesse unter den MPK war deren Rekrutierung erfreulich. Nun suchten wir Praxen, die (z.B. betreffend Grösse und Region) möglichst vergleichbar mit den MPK-Praxen waren. Hier entschieden wir uns, im jeweiligen Ärztenetzwerk der MPK-Praxen zu suchen, da diese ihre Praxen meistens mit ähnlichen Behandlungsrichtlinien und Arbeitsprozessen ausstatten und zudem eine einheitliche Philosophie pflegen. Praxen zu finden und die jeweiligen Hausärztinnen und Hausärzte zu motivieren, stellte zu Pandemiezeiten eine Herausforderung dar. Umso dankbarer sind wir für jede Praxis, die sich bereit erklärte, teilzunehmen. Es wurden 171 Patientinnen und Patienten eingeschlossen, die zu Beginn der Studie im August 2020 seit mindestens einem Jahr bei einer Hausärztin, einem Hausarzt oder einer MPK behandelt wurden. Die Rekrutierung erfolgte konsekutiv durch Hausärztinnen, Hausärzte und MPK , d.h. jede Patientin und jeder Patient mit Diabetes mellitus Typ 2, die/der in die Sprechstunde kam, wurde für eine Teilnahme angesprochen.
Die Patientinnen und Patienten mit Typ-2-Diabetes sollten mit ihrem Erleben im Vordergrund stehen, daher verwendeten wir «patient-reported outcome or experience measures» (PROMS/PREMS). Dies sind validierte Fragebögen, welche die individuelle Wahrnehmung der Befragten erfassen. Als Ergänzung bezogen wir aber auch objektive Parameter mit ein, die anhand der SGED-Kriterien erhoben wurden. Diese Kriterien wurden 2017 von der Schweizerischen Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie erstellt und bieten einen Leitfaden für ein optimales Disease Management von Diabetes an [4].
Grafik: Marc Siegenthaler, Les Graphistes. Bereits veröffentlicht am 22.6.2022 in der Schweizerischen Ärztezeitschrift (2022;103(25–26):842–843) und doc.be 3/22.

Die Ergebnisse

Die 171 teilnehmenden Patientinnen und Patienten in beiden Gruppen waren bezüglich Alter, Geschlecht, Jahre seit Diagnosestellung und Beschäftigungsgrad vergleichbar. Sie waren im Schnitt 69 Jahre alt, übergewichtig, und hatten seit 12 Jahren Diabetes mellitus Typ 2. Der HbA1c- und LDL-Wert lag in beiden Gruppen im Zielbereich. In allen Qualitätsindikatoren wurden die Patientinnen oder Patienten mit Typ-2-Diabetes in Praxen mit MPK gleich gut betreut wie in Praxen ohne MPK. Insgesamt war die Behandlungsqualität sehr hoch, sowohl in Bezug auf das, was Patientinnen und Patienten berichteten (PROMS), als auch in Bezug auf die SGED-Kriterien.
Man kann auch sagen, dass die bei Hausärztinnen und Hausärzten begonnene Arbeit vertrauensvoll und in gleich hoher Qualität an die MPK delegiert werden kann.
Was heisst das konkret? Nun, MPK können komplexe und zeitintensive Leistungen für Diabetespatientinnen und -patienten auf gleicher Basis erbringen wie Hausärztinnen und Hausärzte, von Blut- und Urinuntersuchungen über Fussuntersuchungen bis hin zur Koordinierung von Überweisungen zu Ernährungs- und Bewegungsberatungsangeboten oder jährlichen Überweisungen zu Spezialisten.
Da noch einige Verbesserungsmöglichkeiten in der Diabetesbehandlung bestehen, z.B. in den Bereichen des Screenings, der Diagnosestellung, des Selbstmanagements, des Erreichens von Richtwerten (HbA1c, LDL, Blutdruck) und beim Durchführen von jährlichen Vorsorgeuntersuchungen der Augen und Füsse, kann eine MPK hier insgesamt zu einem verbesserten Disease Management und Selbstmanagement von Patientinnen und Patienten beitragen. Dies wiederum beeinflusst die Krankheitskontrolle und Komplikationsrate.

Verbesserungsvorschläge in der Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Diabetes

Es gab allgemeine Verbesserungsvorschläge in der Diabetikerbetreuung von Seiten der MPK und der Hausärzteschaft. Zum Beispiel wurde vorgeschlagen, dass die Aufgaben und Leistungen der MPK genau definiert werden sollten, um die Arbeitsteilung mit der Hausärzteschaft zu optimieren. Andernfalls scheint es für die MPK schwierig zu sein, ihren täglichen Arbeitsbereich abzugrenzen, auch gegenüber den MPA. Einige Praxen haben schriftliche, in der Regel interne Anweisungen für MPK-Tätigkeiten entwickelt, die hier helfen können.
Immer wieder wurde von der Hausärzteschaft und den MPK die Forderung nach einer angemessenen Erstattung von MPK-Leistungen im ambulanten Abrechnungskatalog (TARMED) betont.
Als weiteren Punkt schlugen Hausärzteschaft und MPK eine Intensivierung der interprofessionellen Zusammenarbeit und der damit einhergehenden Schulungs- und Fortbildungsmöglichkeiten vor. Zudem wurde eine verbesserte Koordination aller involvierten Personen und Berufsgruppen um die Patientin oder den Patienten herum gewünscht.

Mögliche weitere Vorteile der Betreuung durch eine MPK

Die MPK sahen die Vorteile ihrer Arbeit vor allem darin, dass sie einen anderen Zugang zu den Patientinnen und Patienten haben, was ein besonderes Vertrauensverhältnis bestärkt. Sie vermuteten, dass die Patientinnen und Patienten sich eher ihnen als den Ärztinnen und Ärzten gegenüber öffnen und über ihre Bedürfnisse und «Schwächen» zu sprechen bereit sind. Dies schafft eine neue Möglichkeit, die Zufriedenheit und Compliance der Patientinnen und Patienten zu fördern und damit letztendlich die Qualität der Therapie zu verbessern.

Ausblick

Arbeiten interprofessionelle Teams zufriedener?

In unserer Studie wurden neben den Patientinnen und Patienten auch die teilnehmenden MPK, Hausärztinnen und Hausärzte zu der interprofessionellen Zusammenarbeit mit MPK befragt. Hausärztinnen und Hausärzte mit einer MPK gaben an, dass sie durch die Zusammenarbeit eine geringere Arbeitsbelastung verspürten und mehr Zeit für andere Aufgaben hatten. Auch Hausärztinnen und Hausärzte ohne MPK in der Praxis gaben an, dass sie durch das Anstellen einer MPK eine Entlastung erwarteten. MPK bestätigten dies aus ihrer Sicht. Eine multizentrische Querschnittstudie aus dem Jahr 2014 [5] lässt zusammen mit den Ergebnissen unserer Befragung vermuten, dass interprofessionell aufgestellte Teams zufriedener arbeiten.

Prof. Sven Streit Berner Institut für Hausarztmedizin (BIHAM) Leiter Interprofessionelle Grundversorgung Universität Bern Mittelstrasse 43CH-3012 Bern sven.streit[at]biham.unibe.ch

1 Zeller A, Giezendanner S. Resultate der 4. Workforce Studie. Prim Hosp Care. 2020 Nov;20(11):325–328.
2 Stierli R, Rozsnyai Z, Felber R, Jörg R, Kraft E, Exadaktylos AK, et al. Primary Care Physician Workforce 2020 to 2025 – a cross-sectional study for the Canton of Bern. Swiss Med Wkly. 2021 Sep;151(3536):w30024.
3 Bachmann N, Burla L, Kohler D. Gesundheit in der Schweiz – Fokus chronische Erkrankungen. Nationaler Gesundheitsbericht 2015. Bern: Hogrefe; 2015. Hrsg. Schweizerisches Gesundheitsobservatorium, Neuchâtel. Verfügbar unter: https://www.obsan.admin.ch/sites/default/files/gesundheitsbericht_2015_d_0.pdf
4 QualiCCare, SGED. Anwendungshilfe zu den Kriterien für «gutes» Disease Management Diabetes in der Grundversorgung. [Internet] 2017 Nov. [cited 2021 Dec 14]
5 Körner M, Göritz A., Bengel J. Healthcare professionals’ evaluation of interprofessional teamwork and job satisfaction / Evaluation der Teamarbeit und der Arbeitszufriedenheit von Gesundheitsfachberufen. IJHP. 2014;1(1):5–12.
6 Ansorg AK, Jungo KT, Hilfiker E, Felber R, Trageser J, Arnet BP, et al. Quality of chronic care for patients with type 2 diabetes in practices with and without a Clinical Specialized Medical Assistant (CSMA) – a cross-sectional study from Switzerland. Swiss Med Wkly [Internet]. 2022 Jun 22 [cited 2023 Mar 1];152(2526):w30180. Verfügbar unter: https://smw.ch/index.php/smw/article/view/3219