Tipps von der Expertin

Stressprävention im Behandlungsalltag

Aktuelles
Ausgabe
2023/04
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2023.10686
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2023;23(04):100-101

Affiliations
Coach für Ärztinnen und Ärzte

Publiziert am 05.04.2023

Tipps von der Expertin

Gemeinsam sind wir stärker

Ein wertschätzender Umgang im Team kann motivieren und Kräfte potenzieren. Zusätzlich hilft ein regelmässiger, lösungsfokussierter Austausch des Teams untereinander, also eine kleine Zeit-Insel, um gemeinsam zu überlegen: «Wie können wir … noch besser …, und angenommen, das würde uns gelingen, wie hätten wir das geschafft?»

Selbstfürsorge für mehr Resilienz

Eine gesunde Selbstfürsorge ist entscheidend, um Resilienz aufzubauen. Damit diese gelingt, muss man sich selbst gut kennen, sich auch einmal kritisch mit sich selbst auseinandersetzen, eigene Werte und Ziele reflektieren, lernen, Prioritäten zu setzen, und Verantwortung für das eigene Leben übernehmen, also aus der Opferrolle herausgehen. Eine gesunde Selbstkompetenz bedeutet, innerhalb eines Rahmens, zum Beispiel in einem grossen Spital, den eigenen Handlungsspielraum auszuloten, zu nutzen und seine Ressourcen aktivieren zu können.

Take a break

Dazu gehört auch, sich trotz des Zeitmangels aktiv Zeit für kurze Pausen zu nehmen. Ärztinnen und Ärzte haben oft «keine Zeit» für ihre Gesundheit, solange sie nicht so krank werden, dass wirklich gar nichts mehr geht.
Bei akuten Stresssituationen hilft es, kurz Abstand zu gewinnen, also aus der Situation rauszugehen und ein Time-out mittels Mikro-Pause zu nehmen. Das funktioniert auch präventiv als «Selbstfürsorge-Tool». Je nach persönlichem Stressverhaltensmuster sind dann zum Beispiel Atemübungen, wie die «4–6-Atmung» nach Gary Bruno Schmid, mentale Wahrnehmungslenkung, Achtsamkeitsübungen wie beispielsweise achtsame Kaffeepause, ferner progressive Muskelentspannung oder sogar «Dampfablassen» – bitte allein – mit Anti-Stress-Bällen oder Ähnlichem hilfreich.

Reflexion: Hören Sie auf sich!

Für eine langfristig wirksame Stressbewältigung empfiehlt sich die individuelle Analyse der persönlichen Stressauslöser und negativen beziehungsweise non-produktiven Stressverhaltensmuster, zum Beispiel mit einem «Stress-Profil» im Rahmen eines professionellen Coachings, damit man diese gezielt angehen kann. Die anschliessende Selbstreflexion führt oft schon einen grossen Schritt weiter.
Für «Stressmanagement-Einsteiger» empfiehlt sich, regelmässig selbst zu überlegen und zu notieren:

Gesunde Unternehmenskultur schaffen & prägen

Eine entschiedene, inspirierende und wertschätzende Führungskultur – echtes Leadership – wirkt sich positiv auf die Gesundheit der Mitarbeitenden aus. Führungskräfte und Arbeitgeber sind gefordert, ihren Mitarbeitenden zuzuhören und proaktiv abzuholen, was diesen weiterhelfen würde.
Group of doctors with laptop on conference, medical team discussing issues.
Eine wertschätzende Teamkultur trägt zu einem angenehmen Arbeitsklima bei.
© iStock; lizenziert durch SGAIM
Wünschenswert wäre, wenn trotz ökonomischem Druck Angebote zur betrieblichen Gesundheitsförderung für alle Berufsgruppen, am besten während der Arbeitszeit, angeboten würden und die Führungskräfte, gerade im ärztlichen Bereich, mit gutem Beispiel vorangehen und selbst teilnehmen würden. Ein erster Schritt könnte sein, das Thema in den Abteilungen «top down» zu enttabuisieren und offen darüber zu sprechen, dass Ärztinnen und Ärzte häufig überlastet sind und eine Risikogruppe für Depressionen, Burnout, Suizide, Sucht und andere darstellen. Zu begrüssen wäre auch eine offene Fehlerkultur. Solange der Mythos vom stets einsatzbereiten Arzt, der selbst nie krank wird, lebt und auch von uns selbst gepflegt wird, wird sich nichts ändern.

Abgrenzung gegen Overcommitment

Ärztinnen und Ärzte sowie Menschen in pflegenden und sozialen Berufen sind gewohnt, «zu geben» und sich empathisch auf die Bedürfnisse anderer einzustellen. Eigene Grundbedürfnisse werden im Berufsalltag häufig vernachlässigt, ignoriert oder nicht wahrgenommen. Aber auch überlange Arbeitszeiten mit hoher Arbeitsintensität und das eigene Rollenverständnis können eine Verausgabungsneigung fördern. Jede zweite Person im Gesundheitswesen arbeitet sogar ohne Pause durch!
Dieses sogenannte Overcommitment wird besonders bei engagierten Personen mit hohen Eigenansprüchen beobachtet und kann dann ein Burnout begünstigen, wenn die Gratifikation, das heisst eine Belohnung für den hohen Einsatz, zum Beispiel in Form von Dank, Anerkennung, Wertschätzung durch Vorgesetzte, Therapieerfolg oder anderes, ausbleibt.

Die Expertin

Dr. med. Sabine Werner ist selbständige Fachärztin FMH Dermatologie und Venerologie, sie ist Coach für Ärztinnen und Ärzte und Trainerin für Stressmanagement im Gesundheitswesen. Bei ReMed, dem Unterstützungsnetzwerk für Ärzte in Krisensituationen, ist sie als Mitglied des Leitungsausschusses aktiv. Kontakt: mail[at]sabinewerner.ch
© zvg

Stress richtig einordnen

Stress per se ist nicht schlecht, sondern ermöglicht eine schnelle Anpassung des Organismus an Gefahren und die Vorbereitung auf «Kampf oder Flucht».
Lang anhaltender negativer Stress, sogenannter Disstress, das heisst Stress, der als Überforderung oder sogar Bedrohung und nicht als Herausforderung wahrgenommen wird, wirkt sich jedoch in vielerlei Hinsicht gesundheitsschädigend aus. Psychosoziale Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz gehören zu den häufigsten chronischen Stressfaktoren. Wenn zwischen den Belastungsphasen dann keine ausreichende Erholung mehr möglich ist, schaukelt sich über die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse die Stressreaktion auf. Daraus resultieren unter anderem chronisch erhöhte Cortisolspiegel, die komplexe Auswirkungen haben.
Lang anhaltender Stress führt zu Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen und begünstigt Depressionen. Das Diabetesrisiko und die Infektanfälligkeit steigen. Begünstigt werden auch Muskelverspannungen mit chronischen Kopf-, Nacken- oder Rückenschmerzen, kardiovaskuläre Erkrankungen, Ulcera ventriculi, Schlafstörungen, Tinnitus und vieles mehr. Und letztendlich wirkt sich Stress auch negativ auf die eigene berufliche Zufriedenheit, ärztliche Funktionalität und Behandlungsqualität aus.
Lea Muntwyler, SGAIM
Verantwortliche Kommunikation/Marketing
Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM)
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