Originalarbeit

Effizientere medizinische Arbeit, Motivationsgewinn für das Studium

Auswirkung der Einführung von Medical Scribes auf die Fachärzteschaft und Medizinstudierende

DOI: https://doi.org/10.4414/phc-d.2023.10701
Veröffentlichung: 02.08.2023

Urs Zimmermanna, Giannina Buzzia, Georg F. Bauerb

a Klinik für Neonatologie und Kinder- & Jugendmedizin, Spital Bülach; b Abteilung Gesundheitsforschung und betriebliches Gesundheitsmanagement, Zentrum für Salutogenese, Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention, Universität Zürich

Abstract

Burnout ist auch bei Schweizer Ärztinnen und Ärzten ein bedeutendes Problem. Die Auswirkungen des zunehmenden betriebswirtschaftlichen Drucks spielen dabei eine bedeutende Rolle. Die Einführung von Medical Scribes, welche Ärztinnen und Ärzte von Schreib- und Administrationsarbeiten entlasten, hat das Potential, Burnout und vorzeitige Ausstiege aus der Tätigkeit am Patienten zu verhindern und gleichzeitig das betriebswirtschaftliche Ergebnis zu verbessern.

Einführung

Bereits 2005 litt ein Drittel der in der Grundversorgung tätigen Schweizer Ärztinnen und Ärzte an einer Burnout-Symptomatik [1]. Die Burnout-Rate scheint seitdem weiter anzusteigen [2, 3]. Gemäss einer Erhebung des gfs Bern im Auftrag des VSAO und der FMH im Jahre 2016 steigen gut 10% der Ärztinnen und Ärzte vorzeitig aus den patientenbezogenen Tätigkeiten aus. Fast 25% der Aussteigenden geben die Arbeit am Patienten bereits unmittelbar nach dem Abschluss des Medizinstudiums auf [4].

Die Ursache für die Entstehung eines Burnout ist multifaktoriell. Stresserzeugende Arbeitsfaktoren, wie zum Beispiel die zunehmende Last an medizinischer Dokumentation, spielen jedoch eine zentrale Rolle [1, 2, 4]. Einer der Hauptgründe für den vorzeitigen Ausstieg aus der Arbeit mit Patienten, den die Befragten angaben, war denn auch die Unzufriedenheit über die im Vergleich viel zu hohe administrative Tätigkeit [4].

Daneben tragen auch das Fehlen von salutogenen, Resilienz fördernden Faktoren zur Entstehung von Burnout bei, wie zum Beispiel das Gefühl, nicht genügend Zeit für die Kommunikation mit den Patienten zu haben oder nicht in der Lage zu sein, eine genügend gute Qualität in der Patientenversorgung zu gewährleisten [5].

In den USA, Kanada und Australien werden schon seit Längerem sogenannte Medical Scribes eingesetzt, mit dem Ziel, die Produktivität zu steigern und die Arbeitslast der Ärzteschaft zu verringern. Häufig sind es Studierende aus dem Gesundheitsbereich, die als Medical Scribes arbeiten [6, 7]. Ihre Aufgabe besteht darin, Dokumentations- und andere administrative Arbeiten zu übernehmen, damit sich die medizinische Fachperson auf ihre eigentlichen ärztlichen Tätigkeiten fokussieren kann. In den letzten Jahren sind international zahlreiche Arbeiten erschienen, welche die Auswirkung des Einsatzes von Medical Scribes auf die Produktivität von grossen medizinischen Einrichtungen verschiedener Fachrichtungen untersucht haben. Dabei konnte gezeigt werden, dass sowohl das betriebswirtschaftliche Ergebnis als auch die Effizienz und die Qualität der medizinischen Arbeit verbessert wurden [6–9].

Trotz des Erfolgs dieses Arbeitsmodells in Übersee werden in der Schweiz praktisch noch keine Medical Scribes eingesetzt. Diese Studie untersucht die Auswirkungen des Einsatzes von Medical Scribes auf die Ärzteschaft und auf die als Medical Scribes arbeitenden Medizinstudierenden selbst in einer kleineren schweizerischen Einrichtung. Dabei wird insbesondere untersucht, ob sich mit der Einführung von Medical Scribes Stress mindernde und Resilienz fördernde Faktoren verändern, welche das Potential haben, Burnout zu verhindern und vorzeitige Ausstiege aus der ärztlichen Arbeit mit Patienten abzuwenden. Wir bleiben in dieser Arbeit beim englischen Begriff «Medical Scribe», da dieser sowohl in der Literatur als auch in den vereinzelten Kliniken im deutschsprachigen Raum, die bereits Medical Scribes einsetzen, einheitlich so verwendet wird.

Methode

Die Arbeit wurde in der Notfallpraxis für Kinder und Jugendliche am Spital Bülach durchgeführt. In dieser Notfallpraxis wurden jährlich um die 8000 Kinder und Jugendliche zwischen 0 und 16 Jahren behandelt. Die Patientinnen und Patienten wurden durch eine Pflegefachperson erstbeurteilt und anschliessend durch Fachärztinnen und -ärzte für Kinder- und Jugendmedizin untersucht und behandelt. Ende 2017 wurden Medizinstudierende im 4. und 6. Studienjahr als Medical Scribes angestellt. Nach einer entsprechenden Einführung arbeiteten sie während der Stosszeiten der Notfallpraxis, also abends und an Wochenenden. Sie begleiteten die Fachärztin oder den Facharzt in das Sprechzimmer und dokumentierten Anamnese sowie Untersuchungsbefunde fortlaufend, während die Eltern befragt und das Kind fachärztlich untersucht wurde. Auf ärztliche Anordnung hin meldete der Medical Scribe zusätzliche Untersuchungen an. Schliesslich dokumentierte er auch die Beurteilung und das Prozedere und schloss den Bericht ab. Dieser wurde dann unmittelbar nach Abschluss der Behandlung den Eltern mitgegeben. Je nach Ausbildungsstand und Arbeitsanfall durften Medical Scribes auch selbst unter fachärztlicher Aufsicht Anamnesen und Befunde erheben und gelegentlich auch kleinere Interventionen wie Wundversorgungen durchführen.

Die Auswirkungen dieser Tätigkeit auf die als Medical Scribes arbeitenden Medizinstudierenden selbst wurden in einem Fokusgruppengespräch untersucht, an dem 4 der 6 zum Zeitpunkt der Untersuchung angestellten Medial Scribes teilnahmen. In einer durch einen Moderator geleiteten, semi-strukturierten Gruppendiskussion äusserten sich die Medical Scribes zu diversen Themen. Das Gespräch wurde aufgenommen und anschliessend transkribiert. Die Auswertung erfolgte mittels zusammenfassender Inhaltsanalyse. Dabei wurde streng darauf geachtet, ob ein Argument spontan geäussert wurde oder erst auf Nachfrage des Moderators.

Um die Auswirkung der Arbeit mit Medical Scribes auf die Fachärztinnen und -ärzte zu untersuchen, wurden Letztere gebeten, einen Fragebogen mit einer offenen und mehreren geschlossenen Fragen anonym zu beantworten. Zur Zeit der Erhebung waren 10 Fachärztinnen und -ärzte in der Notfallpraxis für Kinder und Jugendliche angestellt, einige von ihnen in Teilzeit. Die Rücklaufquote betrug 60%. Bei den returnierten Fragebogen wurden jeweils sämtliche Fragen vollständig beantwortet.

Die Studie wurde als Masterarbeit an der Universität Zürich durchgeführt und erfüllt sämtliche entsprechenden Vorgaben. Eine Bewilligung durch die Ethikkommission war nicht notwendig.

Resultate

Auswirkung von Medical Scribes auf die Fachärztinnen und Fachärzte

Zwei Drittel der Fachärztinnen und -ärzte gaben in der offenen Frage spontan an, dass sich der Arzt-Patienten-Kontakt durch die Anwesenheit eines Medical Scribe verbesserte und dass eine Zeitersparnis sowie eine Effizienzsteigerung bemerkbar wurden (Abb. 1). Die Hälfte der Befragten äusserten zudem spontan, dass sie sich bei hoher Arbeitsbelastung deutlich entlastet fühlten. Ferner wurde wiederholt spontan erwähnt, dass sich die Freude an der Arbeit vermehrte und sich das Teamwork-Gefühl verstärkte. Bei den geschlossenen Fragen zeigte sich, dass 2/3 der Befragten die Qualität der Interaktion und Kommunikation mit den Patientinnen/Patienten und deren Eltern als verbessert erlebten und dass es ihnen in besonders stressigen Situationen besser gelang, eine hochwertige Patientenversorgung zu bieten, wenn sie durch einen Medical Scribe unterstützt wurden (Abb. 2). Das Verhältnis zwischen Arbeit am Patienten und Zeitaufwand für Dokumentation empfanden 83% der Befragten nach der Einführung der Medical Scribes als besser. Die Anwesenheit von Medical Scribes führte bei 2/3 der Befragten zu einer Reduktion des persönlichen Stresslevels. Schliesslich waren sich alle teilnehmenden Fachärztinnen und -ärzte einig, dass die persönliche Zufriedenheit mit der Arbeit in der Notfallpraxis durch die Anwesenheit von Medical Scribes verbessert wurde und dass die Medical Scribes zu einer generellen Verbesserung der Arbeitsatmosphäre in der Notfallpraxis beitrugen.

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Abbildung 1: Argumente, welche bei der Beantwortung der offenen Frage von mindestens 2 der befragten Fachärztinnen und -ärzte spontan genannt wurden.
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Abbildung 2: Antworten der Fachärztinnen und -ärzte auf die geschlossenen Fragen (Antwortoptionen: zustimmen, ablehnen, neutral); n = 6.

Auswirkung der Arbeit als Medical Scribe auf die als Medical Scribes arbeitenden Medizinstudierenden selbst

Als bedeutendsten Effekt der Arbeit als Medical Scribe erlebten die Medizinstudierenden einen Kompetenz- und Wissensgewinn, der sie insbesondere gut auf das Wahlstudienjahr vorbereitete, sich aber auch auf das Studium als Ganzes positiv auswirkte (Abb. 3). Es zeigte sich zudem, dass durch den Nebenjob das Bild des Arztberufs entscheidend mitgeprägt wurde und ein Teil der Medical Scribes einen Motivationsgewinn für das Studium und den Arztberuf erfahren hat. Von zwei Medical Scribes kritisch angesprochen wurde die mit dem Nebenjob verbundene Einschränkung der Freizeit, wobei sich beide einig waren, dass die Vorteile diesen Nachteil überwiegen. Einzelne Teilnehmende berichteten ferner über einen persönlichen Gewinn von Selbstvertrauen im Allgemeinen und beim Sich-Einbringen in ein Team sowie über eine Reduktion der Angst vor neuen Situationen und beim Kennenlernen neuer Personen.

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Abbildung 3: Anzahl der Äusserungen pro Antwortkategorie aus dem Fokusgruppengespräch der Medical Scribes. Anzahl Teilnehmer: 4 von 6 angestellten Medical Scribes.

Diskussion

Mit der Einführung von Medical Scribes kam es für die Fachärztinnen und -ärzte zu durchwegs positiven Auswirkungen. Bei einem Grossteil der Befragten führten Medical Scribes zu einer direkten Reduktion des persönlich erlebten Stresslevels während der Arbeit. Ferner kam es zu einer deutlichen Steigerung im Empfinden der Selbstwirksamkeit, indem sich die Fachärztinnen und -ärzte als effizienter erlebten, die Interaktion und Kommunikation mit den Patientinnen/Patienten und deren Eltern als deutlich besser empfanden und auch in Stresssituationen eine hochwertige Patientenversorgung anbieten konnten. Letztlich erlebten sämtliche Befragten eine Verbesserung der Arbeitsatmosphäre, und die persönliche Zufriedenheit mit der Arbeit stieg an. Damit führt die Einführung von Medical Scribes zu Verbesserungen, die allesamt das Potential haben, das Burnout-Risiko zu senken.

Bei den als Medical Scribes arbeitenden Medizinstudierenden kam es neben einem Kompetenz- und Wissensgewinn auch zu einem Motivationsschub für das Medizinstudium und den künftigen Arztberuf. Sie konnten ein realistisches Bild des Arztberufes gewinnen und sich in sogenannten Soft Skills wie der Integration in ein Team oder dem Umgang mit neuen Situationen üben und das persönliche Selbstvertrauen stärken. Damit dürften sie durch die Arbeit als Medical Scribes nicht nur kurzfristig für das erfolgreiche Abschliessen des Studiums profitieren, sondern auch gut auf den Übergang ins Berufsleben nach dem Staatsexamen vorbereitet worden sein.

Unsere Resultate decken sich mit Ergebnissen aus internationalen Studien [7, 10]. Ob durch einen verbreiterten Einsatz von Medical Scribes tatsächlich die Burnout-Rate gesenkt und vorzeitige Ausstiege aus dem klinischen Arztberuf verhindert werden können, müsste in einer grösseren Studie untersucht werden. Die vorliegende Arbeit zeigt auf, dass auch in der Schweiz das Potenzial dazu besteht. Dieses Potenzial auszunützen, ist vor allem deshalb attraktiv, weil aus der Literatur bestens belegt ist, dass die Einführung von Medical Scribes primär aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen Sinn macht. Damit besteht eine aussergewöhnliche Möglichkeit, die Gesundheit und Motivation von Ärztinnen und Ärzten zu erhöhen und dabei gar noch das betriebswirtschaftliche Ergebnis zu verbessern.

Anmerkung:

Die vorliegende Arbeit ist Teil einer umfangreichen Masterarbeit von Giannina Buzzi 2021 an der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich. In dieser Masterarbeit wurden noch weitere Aspekte untersucht. Unter anderem konnte nachgewiesen werden, dass sich die Qualität der Berichte nach Einführung von Medical Scribes verbesserte. Die Arbeit kann gerne bei den Autoren bezogen werden.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Urs Zimmermann

Klinik für Neonatologie und

Kinder- & Jugendmedizin

Spital Bülach AG

Spitalstrasse 24

CH-8180 Bülach

urs.zimmermann[at]spitalbuelach.ch

Literatur

1 Goehring C, Bouvier Gallacchi M, Künzi B, Bovier P. Psychosocial and professional characteristics of burnout in Swiss primary care practitioners: a cross-sectional survey. Swiss Med Wkly. 2005 Feb;135(7-8):101–8.

2 von Känel R. Burnout und Resilienz bei Ärztinnen und Ärzten. Primary and Hospital Care: Allgemeine Innere Medizin. 2017;17(3):51–6.

3 Arigoni F, Bovier PA, Sappino AP. Trend of burnout among Swiss doctors. Swiss Med Wkly. 2010 Aug;140:w13070.

4 Bolliger C, Golder L, Jans C Der Ausstieg aus der kurativen ärztlichen Tätigkeit. Schlussbericht. Bern: Büro Vatter/gfs.bern; 2016.

5 Shanafelt TD, Bradley KA, Wipf JE, Back AL. Burnout and self-reported patient care in an internal medicine residency program. Ann Intern Med. 2002 Mar;136(5):358–67.

6 Arya R, Salovich DM, Ohman-Strickland P, Merlin MA. Impact of scribes on performance indicators in the emergency department. Acad Emerg Med. 2010 May;17(5):490–4.

7 Ziemann M, Erikson C, Krips M. The Use of Medical Scribes in Primary Care Settings: A Literature Synthesis. Med Care. 2021 Oct;59(10 Suppl 5):S449–56.

8 Hess JJ, Wallenstein J, Ackerman JD, Akhter M, Ander D, Keadey MT, et al. Scribe Impacts on Provider Experience, Operations, and Teaching in an Academic Emergency Medicine Practice. West J Emerg Med. 2015 Sep;16(5):602–10.

9 Bank AJ, Gage RM. Annual impact of scribes on physician productivity and revenue in a cardiology clinic. Clinicoecon Outcomes Res. 2015 Sep;7:489–95.

10 Gidwani R, Nguyen C, Kofoed A, Carragee C, Rydel T, Nelligan I, et al. Impact of Scribes on Physician Satisfaction, Patient Satisfaction, and Charting Efficiency: A Randomized Controlled Trial. Ann Fam Med. 2017 Sep;15(5):427–33.

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