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Top-5-Liste

SGAIM veröffentlicht unnötige Behandlungen im stationären Kontext

DOI: https://doi.org/10.4414/phc-d.2023.10747
Veröffentlichung: 06.09.2023

Affiliations sind für diesen Artikel im PDF verfügbar.

Behandlung von Bluthochdruck oder vorbeugende Blutverdünner bei Patientinnen und Patienten im Akutspital: Die SGAIM hat als erste medizinische Fachgesellschaft der Schweiz unter «smarter medicine» eine vierte sogenannte «Top-5-Liste» publiziert. Diese enthält fünf Behandlungen, die grundsätzlich unnötig sind. Damit will die SGAIM zur ressourcenorientierten Versorgung beitragen und baut ihre Vorreiterrolle im Bereich Qualität aus.

Als Mitgründerin der gemeinnützigen Organisation «smarter medicine» hat die SGAIM nun bereits zwei Listen für die ambulante Medizin und zwei für die stationäre Medizin erstellt. Im Interview erklärt Prof. Dr. Jean-Luc Reny, Chefarzt für Allgemeine Innere Medizin am Genfer Universitätsspital (HUG), wie die Arbeitsgruppe unter seiner Leitung bei der Erstellung der «Top-5-Liste» vorgegangen ist und welche Sprengkraft die Empfehlungen haben.

Herr Prof. Reny, wie sind die Reaktionen von Ihren Kolleginnen und Kollegen aus dem Fachbereich ausgefallen?

Ich habe durchwegs positive Rückmeldungen auf die neue Top-5-Liste für die stationäre Allgemeine Innere Medizin erhalten.

Welche Empfehlung könnte zu Gesprächsstoff innerhalb der Ärzteschaft führen?

In Bezug auf die Empfehlung «Kein Antibiotikum verschreiben bei isoliertem Nachweis eines erhöhten C-reaktiven Proteins (CRP) oder Procalcitonins (PCT)» sind einige der Meinung, dass sogar zu oft ein CRP verschrieben wird. Das CRP bleibt ein nützlicher Biomarker bei der Diagnose und Überwachung von nicht-infektiösen Entzündungserkrankungen.

Wie ist die Arbeitsgruppe bei der Wahl der Behandlungen vorgegangen?

Wir sind von den bestehenden «Choosing-Wisely»-Empfehlungen anderer Länder ausgegangen, von Empfehlungen von Fachgesellschaften, die eine «less is more / smarter medicine»-Orientierung hatten, von Gesprächen mit anderen Kolleginnen und Kollegen der Allgemeinen Inneren Medizin aus verschiedenen Krankenhäusern aus der ganzen Schweiz. Hauptsächlich haben wir uns viel innerhalb der vierköpfigen Arbeitsgruppe ausgetauscht. Um etwa zehn Vorschläge auszuwählen, haben wir vier Kriterien aufgestellt, die eine fundierte Auswahl ermöglichen: wissenschaftliche Evidenz; Relevanz für unsere Praxis und für akute Patientinnen und Patienten der Allgemeinen Inneren Medizin im Krankenhaus; mögliche Implementierung in unseren Krankenhausabteilungen; Follow-up-Indikatoren in unseren Krankenhausinformationssystemen. Elf Vorschläge wurden den Mitgliedern der Organisationen Internistische Chef- und Kaderärzte Schweiz (ICKS) und Swiss Young Internists (SYI) zur Bewertung anhand dieser vier Kriterien vorgelegt. Insgesamt gingen 129 Antworten ein, die eine Einstufung ermöglicht haben. Die Bewertungen waren insgesamt sehr positiv.

Gab es innerhalb der Arbeitsgruppe einen Konsens über die ausgewählten Behandlungen?

Dank der Qualität des Austauschs und der Verwendung von vier Kriterien war ein Konsens leicht zu erreichen.

Was versprechen Sie sich nun von der Top-5-Liste?

Wir erwarten, dass sie konkret im Behandlungsalltag in jedem Krankenhaus umgesetzt wird. Durch die Indikatoren für die Überwachung kann eine positive Schleife der kontinuierlichen Qualitätsverbesserung entstehen.

Gäbe es einen sechsten Punkt auf der Liste? Falls ja, welcher wäre das?

Der Aussenseiter unter den Empfehlungen war «Keine TSH-Messung während eines Krankenhausaufenthalts, wenn kein klinischer Verdacht auf eine Schilddrüsenerkrankung besteht». Aber dieser Vorschlag scheiterte am Fehlen eines zuverlässigen Follow-up-Indikators und landete bei der Umfrage auf Platz 6 und damit nicht unter den «Top Five».

Wie geht es nun weiter – ist eine fünfte Liste seitens AIM geplant?

Es handelt sich bei der nun veröffentlichten «Top-5-Liste» um die zweite Liste für die Allgemeine Innere Medizin im Krankenhaus, und es gibt bereits zwei Listen seitens der SGAIM im ambulanten Bereich. Allenfalls publizieren wir eine gemeinsame Liste? Einige Vorschläge sind für beide Kontexte und den Übergang zwischen Krankenhaus und Arztpraxis sinnvoll. So beispielsweise der Punkt «Bei der Entlassung aus dem Krankenhaus keine Neuroleptika verschreiben, die während des Krankenhausaufenthalts wegen Schlaflosigkeit oder Unruhe eingeleitet wurden, und im Falle einer Verschreibung eine Neubewertung der Indikation ausserhalb der akuten Phase vorsehen». Andere Empfehlungen sind spezifischer für die akute, stationäre Versorgung, so unter anderem der Punkt «Bei akuten medizinischen Patientinnen und Patienten keinen Sauerstoff zur Aufrechterhaltung einer kapillaren Sauerstoffsättigung von 94% oder mehr verabreichen».

Jean-Luc Reny leitet derzeit die Abteilung für Allgemeine Innere Medizin an den Genfer Universitätskliniken. Zu seinen aktuellen Projekten gehören «Thrombozytenreaktivität: Determinanten und klinische Relevanz» und die OptimAT-Studie zur «Therapieoptimierung von Antithrombotika bei hospitalisierten Patienten mittels PBPK-Modellierung.» Zudem betreut er weitere klinische Forschungsprojekte bei Patientinnen und Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

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Die fünf Empfehlungen auf einen Blick

1 Keine prophylaktische Antikoagulation bei Akutpatientinnen und Akutpatienten mit geringem Risiko venöser thromboembolischer Ereignisse.

2 Keine Antibiotikatherapie aufgrund erhöhter Entzündungswerte wie C-reaktives Protein (CRP) oder Procalcitonin (PCT) als alleinige Indikation.

3 Keine systematische medikamentöse Behandlung erhöhter Blutdruckwerte während eines akuten Spitalaufenthalts.

4 Bei Verlassen des Spitals keine Verschreibung von Neuroleptika, deren Verabreichung während der Hospitalisierung gegen Schlaflosigkeit oder Unruhe initiiert wurde; bei jeder Verschreibung Neubewertung der Indikation nach der akuten Phase vorsehen.

5 Keine Verabreichung von Sauerstoff bei Akutpatientinnen und Akutpatienten, um eine kapillare Sauerstoffsättigung von 94% oder darüber zu behalten.

Die vollständige Liste inklusive Referenzen finden Sie unter www.smartermedicine.ch

Korrespondenzadresse

Sascha Hardegger

Verantwortlicher Kommunikation/Marketing

Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM)

Monbijoustrasse 43

Postfach

CH-3001 Bern

sascha.hardegger[at]sgaim.ch

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