Kommentar von Florian Suter, Basel; ehemaliger Hausarzt in Bubendorf/BL
Wieviel (und welche) Diagnostik? … Hautnah erlebt
Als Ergänzung zum wichtigen Beitrag von Edy Riesen, der seine Unverwechselbarkeit nicht zuletzt dadurch erhält, dass der Autor die Dinge wie gewohnt mit Herzblut und innerer Beteiligung auf den Punkt bringt, möchte ich als einer der beiden geschilderten Fälle von meinen eigenen Erfahrungen mit den genannten Untersuchungsmethoden und dem Umgang mit den erhaltenen Resultaten berichten – keinesfalls, weil ich mich für besonders wichtig halte, sondern weil ich den vorliegenden Fall immer aus zwei Perspektiven erlebte: Als langjährig praktizierender Hausarzt und gleichzeitig als betroffener Patient.
Seit 15 Jahren ist bei mir ein Diabetes mellitus Typ 2 bekannt, der aber glücklicherweise (ausser einem Antihypertensivum und einem Statin) keiner medikamentösen Behandlung bedurfte und durch Lifestyle-Massnahmen (Gewichtsnormalisierung, qualitative Nahrungsanpassung, regelmässige Bewegung [Jogging]) kontrollierbar war. In den letzten drei bis vier Jahren bemerkte ich eine leichte Anstrengungsdyspnoe, was schliesslich auf Empfehlung der Hausärztin zu einer kardiologischen Beurteilung führte – letztere auch deshalb, weil meine Familienanamnese (Eltern) bezüglich koronarer Herzkrankheit und peripher arterieller Verschlusskrankheit positiv ist. In einem ersten Schritt führte der Kardiologe ein Stressecho durch, das unauffällig ausfiel. Bei Persistenz der leichten Anstrengungsdyspnoe empfahl mir der Kardiologe angesichts der Risikokonstellation (langjähriger Diabetes mellitus, Alter [64 J.] und positive Familienanamnese) eine weitergehende Untersuchung zum Ausschluss oder Nachweis einer behandlungsbedürftigen KHK (mit Leitsymptom Anstrengungsdyspnoe); nach Rücksprache mit dem zuständigen Spezialisten am Universitätsspital wurde ich für ein PET/CT des Herzens angemeldet. Dabei handelt es sich um die Kombination eines funktionellen Ischämietests (myokardiale Perfusionsdarstellung mittels Rubidium-Szintigraphie, in Ruhe und nach Infusion von Adenosin) mit der Bestimmung des Coronary Artery Calcium Score (CACS) mittels CT als Ausdruck der koronaren Arteriosklerose. In meinem Fall fand sich erfreulicherweise im funktionellen Ischämietest keine Einschränkung der myokardialen Perfusion, der CACS ergab jedoch leider einen sehr hohen Calcium load meiner Koronarien. Die Anstrengungsdyspnoe als Leitsymptom zu Beginn der Abklärungen konnte als eindeutig nicht-kardial-bedingt angesprochen werden (am ehesten dürfte ein leichtes Anstrengungsasthma vorliegen).
«Da steh’ ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.» [1] – Jedenfalls fast … Doch was nun? Ich habe meine Statintherapie (erfolgreich) optimiert und nehme 100 mg ASA ein (obwohl für beide Massnahmen keine Evidenz für einen Nutzen unter den vorliegenden Umständen besteht). Ich gehe mindestens dreimal wöchentlich joggen, beschwerdefrei nota bene. Bisweilen gibt es Momente, in denen ich mich frage, weshalb ich der Untersuchung zustimmte (bzw. weshalb sie mir empfohlen wurde): Die Vortestwahrscheinlichkeit für ein pathologisches Resultat (s.o.) war bei mir ohnehin hoch, und bei allem, was ich seither verändert habe, gibt es in meinem Fall entweder keine Evidenz, oder ich habe es vorher schon gemacht (Lifestyle-Massnahmen). Studiere ich die wissenschaftlichen Arbeiten zur Bestimmung des CACS, lese ich denn auch immer wieder, der Test sei für Individuen mit hohem Vortestrisiko weniger geeignet. Eine etwas ernüchternde Aussage meines Praxis-Kardiologen ist, dass die bei mir angewandte Methode des funktionellen Ischämietests (die ich nach wie vor und gerade in meiner Situation für sinnvoll halte) nicht ohne Bestimmung des CACS durchgeführt werde (er hätte gerne auf den CACS verzichtet). Kommt hinzu, dass ich mit dem absoluten Risiko, innerhalb der kommenden zehn Jahre Symptome einer koronaren Herzkrankheit zu erleiden, persönlich auch nicht sehr viel anfangen kann (aufgrund meines sonstigen Risikoprofils betrüge es knapp 20%, durch den ungünstigen CACS-Wert steigt es auf gut 30%): Was ist ein Zehn-Jahres-Risiko von 30% gegenüber 20%? Ich weiss es ehrlich gesagt nicht – als Menschen sind wir nicht dazu geschaffen, in Risiken oder Wahrscheinlichkeiten zu denken und zu empfinden (das wusste ich längst – es ist bloss sehr eindrücklich, das so unmittelbar zu erfahren).
Eine positive Folge hatte die beschriebene Abklärung aber doch für mich (und die möchte ich nicht verschweigen): Sie haben bei mir vielfältige und unterschiedlichste persönliche Gedanken zu grundlegenden Fragen ausgelöst und zu tiefgründigen, sehr konstruktiven Gesprächen mit meiner nächsten Umgebung geführt.
Für mich persönlich bleibt ein zwiespältiges Gefühl (ich bin nicht sicher, ob ich mit meinem heutigen Wissen der Untersuchung zugestimmt hätte – kann sein, kann aber auch nicht sein! – Dank eines konstruktiven Gesprächs mit dem Spezialisten am Universitätsspital kann ich das Untersuchungsergebnis mittlerweile besser interpretieren; ob ich das Resultat mit allen Implikationen und Konsequenzen besser verstehe, ist eine andere Frage ...). Wenn ich mich so ausführlich dazu äussere, so besonders deshalb, weil ich mit Edy Riesen einig bin, dass Kardiologen uns Hausärztinnen und Hausärzte sehr gut und genügend früh über solche Untersuchungen, die erfolgten Resultate sowie deren Interpretation informieren sollten. Ich gehe sogar weiter und empfehle uns Hausärztinnen und -ärzten allen, sich im Rahmen der Fortbildungsaktivitäten auch über solche Themen möglichst bald und umfassend in Kenntnis zu setzen: Wir müssen vor einer entsprechenden Untersuchung kompetent mitdiskutieren können!