Ein Traumjob?

Der Job Hausarzt: Zufall oder Berufung?

Reflexionen
Édition
2021/05
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-f.2021.10176
Prim Hosp Care Med Int Gen. 2021;21(05):175-176

Affiliations
Chefredaktor Primary and Hospital Care; Leiter Chronic Care, Institut für Hausarztmedizin, Zürich

Publié le 04.05.2021

Wer kennt sie nicht, die «Durchhänger» im Arbeitsleben, in denen der Job schwierig oder monoton erscheint. Und dann auch wieder die Höhen, in denen man sich nichts Besseres vorstellen kann, als genau diese Arbeit zu tun. Wie steht es nun mit uns Hausärztinnen und Hausärzten? Wenn Sie nochmals vor der Entscheidung stünden, würden Sie wieder diesen Beruf wählen?

Die Kanadier plädierten in einer ihrer kürzlichen Motivationskampagnen für den Hausarztberuf: «Bychoice, not by chance!» soll man sich für diesen Berufsweg entscheiden. Manche Kolleginnen und Kollegen reden ­sogar vom Hausarztberuf als Traumjob.
Auf der anderen Seite stehen die Klagen von (frustrierten) Hausärztinnen und Hausärzten: harziger Nachwuchs, administrativer Overkill, belastender Notfalldienst, hohe Präsenzzeiten, Konflikte im Team, Zeitdruck bei der Arbeit und überbordende Ansprüche von Patienten. Bestimmt könnten Sie weitere Beispiele beisteuern.

Was ergeben Umfragen zur ­Arbeitszufriedenheit?

Welches sind denn die entscheidenden Faktoren, wenn es um die Arbeitszufriedenheit geht? In den diversen Umfragen unter ganz verschiedenen Berufsgruppen sind auf den ersten Plätzen fast immer die Wertschätzung (inklusive der guten Beziehungen zu Kollegen und Vorgesetzten) und die Gestaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten zu finden. Daneben sind natürlich Umgebungsfaktoren wie ein sicherer Arbeitsplatz sowie eine interessante, als Wert empfundene Arbeit wichtig. Das Cash (gesicherter Lohn) rangiert manchmal weit hinten, ein andermal aber auch wieder ganz vorne.

Wie sieht es bei Hausärztinnen und Hausärzten aus?

Lassen sich diese Werte nun auch auf unseren Beruf ­anwenden, und ergeben sich daraus Argumente für den potentiellen Nachwuchs in der Hausarztmedizin? Eine Untersuchung unter gestandenen Praktikern [1] hat ­folgende Highlights ergeben:
– Die Hinwendung zum Patienten erlaubt uns, an ­seinem Schicksal beteiligt zu sein – wir können etwas im Leben anderer bewirken.
– Patienten sind uns dankbar. Hausarztmedizin ist ­Beziehungsmedizin.
Ein weiteres Highlight: Wo sonst können Sie so viel an Ihrem Arbeitsalltag und an Ihrem Arbeitsraum aus­gestalten – von der Praxismöblierung bis zu grosszügigen und familienverträglichen Arbeits- und Ferien­zeiten?
Dann die professionelle Abwechslung. Mehr geht schon fast nicht: auf den Schnupfen folgt das akute Koronarsyndrom, und wieder zurück zum Reizdarm und der Blutdruckeinstellung.
Und am Ende das Cash – Hand aufs Herz, und anachronistisch zu allen Tarifdiskussionen: Verdienen Sie als Hausärztin oder -arzt wirklich so wenig, dass Sie im wahrsten Sinne des Wortes darben? Ihrer Familie keinen anständigen Lebensstandard bieten können (wie das bei vielen anderen Familien leider brutal der Fall ist)? Im ­Alter von der AHV alleine leben müssen, falls es sie dann noch gibt? Das kaufe ich Ihnen nicht ab. Mein ­leiser Verdacht bei solchen Klagen: Der Neid gegenüber noch besser verdienenden Ärztinnen und Ärzten treibt die pekuniäre Frustration an und da müssen Top-­Verdiener als Projektionsfläche herhalten. Aber ich gebe zu: Hat eine Kollegin am Entscheidungspunkt für die Berufswahl die genannten Highlights noch nicht erlebt, so regiert am Ende doch das Geld. Und ja, ich weiss, es gibt Alleinerziehende und Verschuldete, wo das Einkommen mehr Gewicht erhält im Vergleich zu den ­obgenannten Werten. Wenn Sie davon betroffen sind, dürfen Sie mich einen blauäugigen, privilegierten ­Romantiker schimpfen – was übrigens alles zutrifft.
Liebe Leserin, lieber Leser, ich hoffe sehr, Sie erkennen die genannten Stärken des Hausarztberufes in Ihrer täglichen Arbeit wieder. Ich wünsche Ihnen, dass die positiven Erlebnisse in der Sprechstunde gegenüber den lästigen Pflichten überwiegen. Denn ein zufriedener Doktor, eine fröhliche Ärztin, die ihre Patienten mit Optimismus und Lebensfreude ansteckt – allem Leid und allem Stress zum Trotz – ist ein riesiges ­Geschenk für die Patientinnen und Patienten!
Prof. Stefan Neuner-Jehle
Institut für Hausarzt­medizin Zürich
CH-8091 Zürich
stefan.neuner-jehle[at]usz.ch
1 Le Floch B, et al. Which positive factors give general practitioners job satisfaction and make general practice a rewarding career? A European multicentric qualitative research by the European general practice research network. BMC Fam Pract 20, 96 (2019) doi:10.1186/s12875-019-0985-9