Chemisch ist nicht gleich physikalisch
Leserbrief zu Kesselring J, Placebo – mir gefällt das Wechsel- spiel von Gehirn und Geist. Prim Hosp Care. 2016;16(13):252–4.
Lieber Herr Professor Kesselring
Ich beziehe mich auf Ihren schönen Artikel in der Zeitschrift Primary and Hospital Care über Placebo. Da ich vor 30 Jahren Mitbegründer der Schweizerischen Ärztegesellschaft für Homöopathie SAHP war, gestatte ich mir eine Anmerkung zu folgender Ihrer Ausführungen: «Wenn etwa in der Homöopathie eine Wirkung auf die Verdünnug zurückgeführt wird, so ist dies ja etwa in der Grössenordnung, als wenn man eine Flasche Wein in den Bodensee gösse, wartete, bis dass der Wind alles herumwühlte und nachher wieder eine Flasche daraus als besonders guter, homöopathischer Wein verkaufen würde. Einen solchen Mechanismus kann ich nicht nachvollziehen, habe aber schon mehrfach gute Wirkungen von Homöopathie gesehen.»
Sie sollten auch nicht versuchen, diesen Mechanismus nachvollziehen zu können, weil er auf einer falschen Metapher, bzw. einer falschen Annahme beruht. Dass das, was Sie als Folge der Verdünnung bezeichnen, chemisch nicht nachvollziehbar ist, ist evident. Wir Ärzte mit homöopathischem Zusatzwissen waren uns schon immer bewusst, dass der Herstellungsvorgang einer homöopathischen Arznei allein auf physikalischen Eigenschaften beruhen muss und kann. Entsprechend beruht die Herstellung nicht auf einer chemischen Verdünnung (die tatsächlich am Patienten keine Wirkung zeigt), sondern auf Verdünnungsfolgen (über dutzende bis hunderte von Schritten).
Wenn es sich um einen rein physikalischen Vorgang handelt, muss dieser mindestens auch mathematisch nachvollziehbar sein, das heisst: Während es sich bei einer sogenannten Verdünnung mathematisch um eine schulübliche Exponentialfunktion handelt, ist eine Verdünnungsreihe definitionsgemäss(!) eine Rekursion, in unserm Fall eine logistische Rekursion (auch Differenzenrechnung genannt). Der Begriff «Verdünnung» – obwohl auch von sogenannten Homöopathen leider immer wieder verwendet – ist an sich falsch. Selbstverständlich kann eine Rekursionsformel eine homöopathische Wirkung nicht beweisen, aber sie hilft den Vorgang «nachvollziehbar» zu machen.
Mit freundlichen kollegialen Grüssen:
Dr. med. Urs Steiner,
Staldenstrasse 10
CH-6405 Immensee
Professor Kesselring hat dem Autoren persönlich geantwortet und auf eine Replik verzichtet.
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