Eine Lanze brechen für das gute, alte Digitalis

Leserbriefe
Édition
2017/07
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-f.2017.01513
Prim Hosp Care (fr). 2017;17(07):130

Publié le 05.04.2017

Eine Lanze brechen für das gute, 
alte Digitalis

Digitalisalkaloide waren in der Volksmedizin schon länger – bei den Ärzten seit 200 Jahren – der Grundpfeiler der Therapie der Herzinsuffizienz. In den 50er-Jahren des vorigen Jahrhunderts gesellten sich als willkommene Ergänzung und Verstärkung Diuretika zu ihnen. Als Anfang der 80er-Jahre die ACE-Hemmer als Medikamente auftauchten, wurde diese friedliche Koexistenz gestört und viele Kardiologen erklärten Digitalisglykoside als wenig wirksam, wegen der engen therapeutischen Breite und Rhythmusstörungen zu gefährlich. Sie vermindern zwar die Zahl der Hospitalisationen, aber die Lebenszeit verlängern sie nicht (damals gab man der Lebensqualität nicht die gebührende Bedeutung und man mass sie auch nicht) – kurzum sie sind überflüssig. Viele praktizierende Ärzte folgten diesen Empfehlungen (damals kannte man noch keine Guidelines) aber nicht, da sie gute Erfahrungen mit den Herzglykosiden machten und schlechte nach ihrem Absetzen. Schon länger kann man den Digoxinspiegel im Blut messen und somit die früheren gefährlichen Überdosierungen vermeiden. Als Folge dieser Erfahrungen verminderte sich die therapeutische Dosis. Der Anwendung der Herzglykoside blieb auch der alte führende Kardiologe E. Braunwald [1] treu.
Inzwischen wurden die negativen Ergebnisse und das negative Urteil über die Wirksamkeit der Digitalisglykoside bei der Therapie der Herzinsuffizienz revidiert [2], Die Lebenszeit zu verlängern ist auch nicht immer das erste Ziel unserer Bemühungen. Vor kurzem veröffentlichte das New England Journal of Medicine einen Artikel [3], in dem die Zeit, die man im letzten Halbjahr des Lebens zu Hause oder im Heim und nicht im Spital verbrachte, als Massstab für die Qualität der ­medizinischen Versorgung diente – je länger, desto besser. Digoxin verbessert die Qualität des Lebens (bei fortgeschrittener Herzinsuffizienz ist man froh, wenn man schon in Ruhe besser atmen kann), somit vermindert es die Hospitalisationen, verlängert aber das schon genug schwere Leben während des terminalen Stadiums nicht. Im Rahmen einer Fortbildung über die Therapie der Herzinsuffizienz beklagte vor Jahren einer der Meinungsbildner die Ohnmacht dabei. Ich wandte ein, die Natur habe damit für eine Art der natürlichen Sterbehilfe gesorgt. Ja, mit der schweren, terminalen Herzinsuffizienz ist nicht leicht zu leben. Sterben muss man einmal, nicht selten wegen eines schwachen Herzens. Mit dieser Kränkung müssen wir vermutlich noch lange leben. Das Sterben sollte aber möglichst würdig geschehen.
Ein gegenwärtig entscheidender Nachteil des Digoxins ist sein tiefer Preis. Keine grosse Pharmafirma hat Interesse, sich für seine ­Anwendung einzusetzen [1]. In den Guidelines steht Digoxin an letzter Stelle, wenn alle andere Medikamente nicht mehr genügen [4]. Dornröschen ähnlich wartet es auf bessere Zeiten, in denen Evidenz und Vernunft entscheidend werden und bei der Therapie der Herzinsuffizienz das Letzte wieder das Erste wird.
Dr. med. Peter Marko, St. Gallen
1 Gheorghiade M, Braunwald E. Reconsidering the role for digoxin in acute heart failure syndromes. JAMA. 2009;302:2146–7.
2 Cole DG, Francis DP. Trials are best, ignore the rest: safety and efficacy of digoxin. BMJ 2015;351:h4662 doi: 10.1136/bmj.h4662:
3 Groff AC, Colla HC, Lee TH. Days spent at home –
a patient centeres goal and outcome. N Engl J Med. 2016;375(17):1610–2.
4 Mant J, Al-Mohammad A, Swain S, Laramèe Ph, for the Guideline Development Group: Management
of chronic heart failure in adults: Synopsis of the National Institute for Health and Clinical Excellence Guideline. Ann Intern Med. 2011;155:252–9.