Serie IT und eHealth in der Hausarztpraxis – Teil 1

Teil 1: Hardware und Software - wie komme ich zu einem Entscheid?

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Édition
2017/16
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-f.2017.01542
Prim Hosp Care (fr). 2017;17(16):319-320

Affiliations
Medizinisches Zentrum, Chur

Publié le 30.08.2017

Von der Arbeit am Patienten über «Decision Support», Patienten-Edukation bis zur Anbindung von technischen Geräten – es gibt in der hausärztlichen Praxis kaum einen Bereich, der sich nicht auf die IT als Grundlage abstützt. Sie ist heute das betriebliche Rückgrat einer modernen Hausarztpraxis.

Einführung

Das Fundament der Praxis-IT ist ein verlässliches Arztpraxis-Netzwerk. Der entscheidende Faktor für die täg­liche Arbeit ist die Bedienungsoberfläche der elektronischen Krankengeschichte (eKG). Beide Bereiche, das Netzwerk als auch die eKG, sind komplexe Themen. Der vorliegende Text möchte für diese Komplexität sensibilisieren.

Netzwerk

Die Anzahl der Hardware-Komponenten für die IT in ­einer modernen Hausarztpraxis ist beträchtlich (Tab. 1). Zusätzlich sind verschiedene medizinische Geräte wie zum Beispiel Laborgeräte, EKG, Röntgen, Ultraschall etc. ans Netzwerk angeschlossen.
Tabelle 1: Hardwarekomponenten.
– Server als Netzwerkzentrale
– Arbeitsplatz-Computer
– Bildschirme
– Drucker und Etikettendrucker
– Barcode Leser
– Versichertenkarte-Leser
– Scanner
– Modem für den Internetanschluss
– Telefonie
Die Einrichtung und Wartung eines solchen Netzwerkes ist entsprechend komplex (Tab. 2, ohne Anspruch auf Vollständigkeit). Zusätzlich wird heute oft die Möglichkeit eines Zugangs auf die Praxis-IT von aussen gewünscht, um so als Arzt von Zuhause, vom Altersheim oder von unterwegs auf den Arbeitsplatzrechner zugreifen zu können. Entwicklungen im Rahmen von eHealth wird in Zukunft auch die Patienten stärker in das Praxis-Netzwerk einbinden (Zugang auf die Agenda, das patienteneigene Dossier, Mail-Anfragen an den Arzt etc. [1]).
Tabelle 2: Netzwerkunterhalt.
– Installation und Unterhalt des Betriebsystems
– Installation und Unterhalt der Anwender-Software wie Web-Browser und Büro-applikationen
– Einrichten und Pflege von Software-Schnittstellen zu den Geräten
– Etablierung eines sicheren Zuganges zum Internet
– Einrichten von Webservices (HIN, docbox, Medikamentenbestellung etc)
– Installation und Pflege von Datenbanken
– Regelmässige Datensicherung
– Implementierung eines Datenschutz-Konzeptes
– Einrichten eines Viren-Schutzes
– Zugang vom Internet auf die Praxis-IT

Einrichten eines Netzwerkes – wie vorgehen?

Die zentrale Stellung der IT in der Hausarztpraxis und die Komplexität des Praxis-Netzwerkes erfordern eine professionelle Planung, Installation und Wartung. Prinzipiell kann man die Praxis-IT möglichst «autark», das heisst möglichst alle Netzwerk- und Software-Komponenten im eignen Haus einrichten oder, alternativ, bei einem Dienstleister mit Datenzentrum (Cloud) beziehen. «Autarke Lösung» heisst grössere Flexibilität bei der Anbindung von Peripheriegeräten, aber höhere ­Investitionskosten. «Cloud-Lösungen» können die spezifischen Bedürfnisse der Praxen meist schlechter abdecken, schonen die Investitionskosten, schlagen aber mit höheren laufenden Kosten zu Buche. Die heutigen IT-Einrichtungen sind in der Regel ein gemischtes System. So macht es beispielsweise wenig Sinn, Angaben zu Medikamenteninteraktionen im eigenen Netzwerk zu speichern und zu pflegen. Für diesen Zweck nutzt man heute Webservices, die man per Knopfdruck aus der eKG heraus zu Interaktionen befragen kann.
Wieviel IT «autark» und wieviel in der «Cloud» eingerichtet werden soll, hängt von den spezifischen Praxis-Bedürfnissen ab.
Entscheidend für eine optimale Lösung sind eine gute Beratung und Planung durch einen Netzwerkbetreiber. Während dieser Planungsphase gilt, mit dem Netzwerkbetreiber eine Vertrauensbasis zu schaffen, denn dieser wird mit der Netzwerkbetreuung in der Regel Zugriff auf alle Daten haben. Der Netzwerkbetreiber sollte kommunikativ kompetent sein, einen vollständigen Anforderungskatalog sowie eine Offerte mit Angaben zur Einrichtung und zum Unterhalt des Netzwerkes erarbeiten. Ist das Netzwerk produktiv, muss er ein Notfalldispositiv bieten und bei Bedarf rasch vor Ort eingreifen können.
Von Ärzteseite sind eine klare Kommunikation (Bestimmung eines IT-Verantwortlichen) und, in Zusammen­arbeit mit dem Netzwerkbetreiber, eine Spezifikation des Bedarfes gefordert. Dies bedeutet einen nicht zu unterschätzenden Aufwand ärztlicherseits.
Ein solches Vorgehen ist eine Voraussetzung für die richtige Wahl der Komponenten und eine zeitgerechte ­Umsetzung der Arbeiten. Es verspricht ein massgeschneidertes, ausbaufähiges und stabiles Netzwerk mit tiefen Unterhaltskosten und einem langen Lebens­zyklus (>5 Jahre). Dies ermöglicht ein verlässliches langfristiges Kostenbudget und vermeidet sogenannte «Sparschäden», das heisst Mehrkosten durch vordergründig günstige Angebote, aber hohen Folgekosten wegen unsorgfältiger Planung und schlechter Kommunikation.

Arztpraxis-Software

Die meisten der heutigen Patienteninformationssysteme (PIS) sind historisch gewachsene, umfangreiche Software-Pakete, die vielen und ganz unterschiedlichen Anforderungen genügen müssen (Tab. 3).
Tabelle 3: Anforderungen an die heutigen Patienten-­informationsysteme (PIS).
Administration (Fakturierung, Bestellwesen, Lagerhaltung);
Stammdatenverwaltung (Patienten, Tarife, Medikamente);
Praxisorganisation (Patientenagenda, interne ­Kommunikation);
Anbindung medizinischer Geräte (EKG, LuFu, Labor, Röntgen u.a.);
Elektronische Krankengeschichte (eKG) mit möglichst naht-loser Integration der Arbeitsprozesse ­einer Hausarztpraxis;
Zugang zu webbasierten Informationen (Guide­lines, ­Entscheidungsgrundlagen/Decision Support, Medikamenteninteraktionen, Patienteninstruktion);
elektronischer Datenaustausch (Einlesen von Laborresultaten, Dokumentenerstellung und -verwaltung).
In naher Zukunft wird zusätzlich die standardkonforme elektronische Kommunikation gemäss den Austauschformaten von eHealth Suisse gefordert sein.

Kriterien für die Praxis-Software – ­Funktionalität und Bedienerfreundlichkeit

Die Auswahl eines PIS ist kein einfaches Unterfangen. Ein Testen vor dem Kauf wird bei vielen Produkten angeboten, konkret zeigen sich die Stärken und Schwächen allerdings erst beim täglichen Arbeiten. Vor dem Entscheid sind zwei Fragen wichtig: Bietet die Software die gewünschte Funktionalität? Und ist sie bedienungsfreundlich?
Zur heute geforderten Funktionalität eines PIS ist vor kurzem von Heinz Bhend ein Leitfaden in Primary and Hospital Care erschienen [2]. Für die Bedienungsfreundlichkeit gibt es keine harten Kriterien. Empfehlenswert und informativ ist es, einem Kollegen bei der Arbeit über die Schulter zu schauen und bei häufigen Arbeitsschritten wie Rezepterstellung, Verordnung von Medikamenten, öffnen eines Patientendossiers etc, die dafür notwendigen Klicks zu zählen.
Aus technischer Sicht sollte ein PIS auf moderner, modularer Software-Architektur beruhen. Die Grösse des Anbieters kann ein wichtiges Kriterium sein, ebenso die Möglichkeit, die Funktionalität des PIS hersteller­unabhängig zu erweitern (z.B. für spezifische Bedürfnisse von Netzwerken oder bei Spezialärzten).
Was die Kosten betrifft gilt es zu beachten, dass man nicht Äpfel mit Birnen vergleicht, sondern dass ein Vergleich verschiedener PIS aufgrund einer Gesamtkosten-Rechnung erfolgt (Kaufkosten, jährlich anfallende Lizenzen, Wartungskosten/Support).
Allgemein kann man heute festhalten, dass das PIS die Ärzte und die MPAs noch zuwenig gut unterstützt, und mit zunehmender Funktionalität der Bildschirm immer mehr Arbeitszeit beansprucht. Die Bedienungsfreundlichkeit des PIS wird so zu einem wichtigen ­Faktor der ärztlichen Arbeitsplatzqualität. Ein wirklich bedienungsfreundliches PIS wird allerdings erst möglich, wenn die Anwender sich bei den Software-Entwickler-Teams engagieren. Teil 2 der Artikel-Serie wird über diesen Aspekt berichten.
Dr. med. Franz Marty
Medizinisches Zentrum gleis d
Gürtelstrasse 46
CH-7000 Chur
franz.marty[at]mez-chur.ch
1 Website: Onlinepraxis Bubenberg.
2 Bhend H. Elektronische Dokumentation in der Arztpraxis – state of the art. Prim Hosp Care (de). 2016;16(17):323–6.