Kurz vor dem Abflug zum Hausarzt!
Reisen an die Sonne

Kurz vor dem Abflug zum Hausarzt!

Arbeitsalltag
Édition
2019/06
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-f.2019.10044
Prim Hosp Care Med Int Gen. 2019;19(06):181-184

Affiliations
Hausarzt, Reisemediziner, Webmaster OSIR

Publié le 05.06.2019

Licht und Wärme lassen uns Menschen gerne in den Süden verreisen. Wenn unsere «Patienten» Topdestinationen wie Namibia und Botswana ­anfliegen, wird auch Ihre Praxis mit reisemedizinischen Problemen konfrontiert sein. Der Artikel soll Ihr Interesse an Reisemedizin wecken und Ihnen praxis­relevante Informationen vermitteln.

Am Beispiel eines Senioren, der kurz vor einer Namibia-Reise Ihre medizinische Praxisassistentin (MPA) am Empfang um Rat bittet, wird in diesem Text das reisemedizinische Vorgehen geschildert. Die MPA ist die erste Anlaufstelle des «Patienten». Sie schaut, dass der Impfausweis vorliegt und erkundigt sich nach der Reiseroute. Idealerweise erfolgen die Impfungen mehrere Wochen bis Monate vor der Reise. Auch ein bis zwei Wochen davor sind realistisch und selbst am Tag der Abreise noch sinnvoll.
In der reisemedizinischen Sprechstunde sehen Sie als erstes den Impfausweis (Abb. 1) ein und empfehlen die fehlenden Impfungen (Tab. 1).
Tabelle 1: Impfstatus des Seniors und empfohlene Imp­fungen.
 Impfungen
gehabt
Impfungen
indiziert
Impfstoff
Poliomyelitis5nein(Poliorix®)
Tetanus2jaBoostrix®, Revaxis®, (Td-pur®)
Masern, Mumps, ­Röteln1nein Priorix®,
M-M-R®II
Hepatitis A1 (1440)
1 (720)
jaHavrix® 1440
Hepatits B1Ja Engerix® B 20, HBVaxPro® 10
Gelbfieber0neinStamaril®
Typhus1eher neinVivotif®
Tollwut0eher neinRabipur®,
Tollwut Impfstoff Mérieux®
Abbildung 1: Die Überprüfung des Impfausweises ist eine wichtige Tätigkeit der Hausärzt/-innen.

Impfempfehlungen für den Reisenden

Ich empfehle eine Tetanusimpfung, denn es sind nur zwei Dosen dokumentiert. Sie impfen nach mit Boostrix® (Impfstoff gegen Tetanus, Diphtherie und Pertussis). Boostrix® wird grosszügig geimpft und ist auch in der Schwangerschaft indiziert.
Alternativ käme Revaxis® (Impfstoff gegen Tetanus, Diphtherie und Poliomyelitis) in Frage. Der Senior bedarf jedoch nach fünf Polio-Dosen keiner weiteren Impfung gegen Poliomyelitis. Leider wird gemäss neuesten Informationen des Herstellers in Zukunft der Impfstoff Td-pur® (Impfstoff gegen Tetanus und Diphtherie) nicht mehr lieferbar sein.
Die früheren Impfungen gegen Hepatitis A mit je einer Dosis Havrix® 1440 und Twinrix® 720/20 ensprechen nicht den heutigen Impfempfehlungen. Deshalb habe ich eine Dosis Havrix® 1440 verabreicht.
Gegen Hepatitis B wären zwei weitere Dosen empfohlen, sie werden vom Reisenden nicht gewünscht.
Eine zweite Dosis MMR habe ich ich nicht empfohlen, da die Person vor 1963 geboren ist und die Erkrankungen deshalb wahrscheinlich natürlich durchgemacht hat.

Gelbfieber

Eine Gelbfieberimpfung ist nicht empfohlen, da die Impfung bei der Einreise aus Südafrika nicht verlangt wird. Somit erübrigt sich auch eine Überweisung an ­einen Reisemediziner mit Gelbfieber-Autorisierung.
Der Reisende wird auch, vom Caprivi-Streifen in Namibia kommend, den Chobe River im Norden Botswanas besuchen. Abbildung 2 zeigt ein Poster am Zoll in Kasane (an der Zollstelle zwischen Namibia im Norden und Botswana im Süden).
Reisende, die Namibia, Botswana, Zimbabwe und Südafrika besuchen, müssen sich somit NICHT gegen Gelbfieber impfen.
Dies vorausgesetzt, die Reise führt nicht in weitere Länder, die in Abbildung 2 aufgelistet sind, wie zum Beispiel nach Malawi oder nach Livingstone in Sambia.
Abbildung 2: Poster am Zoll in Kasane (Botswana). Aufgelistet sind die Länder Afrikas mit Gelbfiebervorkommen.

Tollwut und Typhus

Führt die Reise in Tollwutendemiegebiete (wie Afrika, Asien, Amerika), sprechen Sie das Tollwutrisiko an.
Sie empfehlen eine Impfung (mittels zwei Dosen) vor der Reise (lediglich) bei erhöhtem Risiko (Reisedauer von mehreren Monaten, Backpacker-Reisen abseits medizinischer Infrastrukturen, Kinder, Velofahrer, Tollwuthochrisikoländer in Asien) und orientieren über allfällige Massnahmen mittels Wunddesinfektion und zeitnaher Tollwutimpfung beim lokalen Arzt innerhalb 24 Stunden nach einem Biss durch Hunde, Katzen oder Affen.
Konkret empfehle ich bei diesem Namibia-Reisenden keine Tollwutimpfung aufgrund der kurzen Reisedauer innerhalb einer organisierten Reisegruppe.
Ebensowenig empfehle ich eine Impfung gegen ­Typhus, wegen der meist guten hygienischen Standards in den vornehmen Lodges Namibias und Botswanas. Generell können Sie eine Typhusimpfung bei Rucksacktouristen für Reisen mit einer Dauer von mehreren Monaten empfehlen. Da der perorale Impfstoff seit Jahrzehnten angeboten und von den älteren Kolleginnen und Kollegen gerne abgeben wird, wird er häufig auch für Kurzreisen verlangt. Eine Abgabe ist ­sicher nicht falsch, wobei jedoch den Reisenden bezüglich Schutz vor Typhus nicht zu grosse Hoffnungen ­gemacht werden sollte und eine sorgfältige Lebens­mittelhygiene weiterhin unabdingbar ist.

Malaria

Nun kommen wir auf die Schutzmassnahmen gegen Malaria zu sprechen: Die Reise führt in die Etosha-Pfanne im Norden Namibias, einer häufigen Destination in Namibia. Ich gebe den Reisenden immer ein Merkblatt mit (Abb. 3), damit sie sich an alles erinnern können (Merkblatt blau: Notfallbehandlung, Merkblatt grün: Prophylaxe).
Abbildung 3: Merkblätter Malaria. Blau: Notfallselbstbehandlung, Grün: Prophylaxe.

Notfallmedikation

Hier empfehle ich die Mitnahme eines Malaria-Notfallmedikamentes (wie Malarone® oder dessen Generikum Atovaquon Plus Spirig HC®). Mefloquin (Mephaquin®) ist als Notfallmedikament nicht empfohlen. Riamet® wäre nicht falsch, ist aber eine suboptimale Alternative bezüglich Lieferbarkeit und Haltbarkeit. Ich erkläre dem Reisenden, dass ein Mückenschutz (mittels Tragen entsprechender Kleider inklusive Gebrauch von Repellentien und von Moskitonetzen) empfohlen wird, und dass die Einnahme der Malariatabletten lediglich bei Auftreten von Fieber über 37,5 Grad ohne Arztverfügbarkeit erfolgen müsste. Wahrscheinlich brauchen die wenigsten Reisenden das Notfallmedikament.

Prophylaxe

Die Reise führt auch nach Osten Namibias in den Caprivi-Streifen. Hier ist eine Malariaprophylaxe empfohlen, weil das Übertragungsrisiko der Malaria höher ist als in der Etoscha-Pfanne. Es ist wichtig, dem Reisenden zu erklären, was eine Prophylaxe bedeutet. Malarone®/Atovaquon Plus Spirig HC® sind als Prophylaxe die Me­dikamente erster Wahl und in der Regel sehr gut verträglich, jedoch deutlich teuerer als das früher gebrauchte Mefloquin (Mephaquin® oder Lariam®), bei dem gefürchtete neuropsychiatrische Nebenwirkungen auftreten konnten. Mefloquin hat auch heute noch einen Stellenwert bei Leuten mit anamnestisch bekannter Mefloquin-Toleranz, bei Langzeitaufenthaltern (vor dem Aufenthalt Mefloquin zwei bis drei Wochen auf Verträglichkeit testen) und bei Schwangeren.
Eine genaue Reiseroute ist essenziell , denn von dieser hängt die konkrete Empfehlung ab. Die OSIR (Ostschweizer Infostelle für Reisemedizin) publiziert aktualisierte Karten mit den Endemiegebieten der Malaria (Abb. 4).
Abbildung 4: Endemiegebiete Malaria 2018. Quelle: Expertenkomittee für Reisemedizin, CH (O. Veith, B. R. Beck).

Weitere Informationen

Abschliessend spreche ich Themen wie Reisedurchfall, Sonnenschutz und sexuell übertragbare Krankheiten an. Und seit Kurzem auch die Schutzmassnahmen gegen die Zika-Virus-Infektion, einer neuen Herausforderung für den Hausarzt.
Aktuell ist noch keine aktive Zikavirus Übertragung in Namibia, Botswana und Südafrika beschrieben.
Nehmen Sie Kontakt auf mit dem lokalen Reisemediziner auf, wenn Sie immunsupprimierte Menschen und Schwangere mit Reiseplänen in Endemiegebieten von Gelbfieber oder Zikafieber beraten. So soll beispielsweise einer Schwangeren von einer Reise nach Thailand abgeraten werden. Dort wird das Zikavirus aktiv übertragen. Schlagen Sie alternative Destinationen vor. Das Gleiche gilt für Personen mit einer ­immunsuppressiven Therapie, die Reisen in Endemiegebiete von Gelbfieber buchen wollen. Eine Gelbfieberimpfung ist kontradindiziert, weil der Impfstoff abgeschwächte lebende Viren enthält. So beraten Sie Ihre Patientinnen und Patienten bezüglich alternativer Destinationen (nach Mittel- oder Nordamerika), oder bestätigen mittels eines Exemption Certificate, dass eine Impfung kontraindiziert ist (Abb. 5).
Abbildung 5: Exemption Certificate für Reisende, ­bei ­denen eine Gelbfieberimpfung kontraindiziert ist.

Reisemedizinische Sprechstunde – das Wichtigste für Sie

Unterschätzen Sie nicht die anspruchsvolle und zeitintensive Beratungstätigkeit.
• Die reisemedizinische Sprechstunde wird sich als eine nachhaltige Investition erweisen, insbesondere für Praxisgemeinschaften, weitgereiste Kolleginnen und Kollegen sowie für Ärztinnen und Ärzte mit Managed-Care-Verträgen.
• Learning by doing!
• Besprechen Sie Ihre reisemedizinischen Probleme in den Qualitätszirkeln!
Reisemedizin ist ein Paradefach für engagierte und vielseitig interessierte Grundversorger!

Reisemedizinische Informationen im Internet

Merkblätter: osir.ch/downloads/
Dossier Reisemedizin: osir.ch/wp-content/uploads/dossierreisemedizin.pdf
Online Beratung: osir.ch/impfupdate/
Fortbildung: osir.ch/fortbildung/
Reisen und gesund bleiben (R. Weibel, Olten): www.gruppenpraxis-neuhard.ch/rei/reisen%20und%20gesund%20bleiben.pdf
• Impfungen: Google-Suche nach: Impfungen → medsolution
• Reiseziele EDA: eda.admin.ch (Vertretungen und Reisehinweise)
• Impfplan2019 (BAG): Google-Suche nach: BAG → Impfplan 2019
Dr. med. Gallus Heeb
Hausarzt, Reisemediziner, Webmaster OSIR
Poststr. 12
CH-9000 Gallen
gallus[at]dr-heeb.ch