«me too» für Schang
Aus Hausarzt wird Hausärztin

«me too» für Schang

Reflexionen
Édition
2019/07
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-f.2019.10063
Prim Hosp Care Med Int Gen. 2019;19(07):221-222

Affiliations
Ehemaliger Redaktor PHC, pensionierter Hausarzt

Publié le 03.07.2019

Jetzt hat es auch Schang im 70. Lebensjahr seines einfachen Männerdaseins erwischt, aber umgekehrt als sie denken.

Jetzt hat es auch Schang im 70. Lebensjahr seines einfachen Männerdaseins erwischt, aber umgekehrt als sie denken. Der alte Dr. Schwartenmagen hat zur Erleichterung der Dorfgemeinschaft vor einem halben Jahr endlich aufgehört zu praktizieren, und er hat zwei Nachfolger gefunden. Was heisst Nachfolger, Nachfolgerinnen! Und das hat Schang den Angtsschweiss auf die Stirne getrieben. Das kam jetzt gerade sehr unpassend, weil sich bei ihm ein Tennisball-grosser Knubbel in der Leiste zeigte und die Kollegen am Stammtisch meinten, es handle sich sicher um einen Bruch, und den sollte er sich flicken lassen.
Aber jetzt diese Situation: Vor einer jungen Dame die Hosen runterlassen, wo bei dem eingefleischten Junggesellen seit Jahrzehnten niemand mehr den Mittelpunkt seines Daseins erblicken durfte. Sachlich gesehen keine Sensation, alles etwas schrumpeliger und krauser geworden. Keine Menschenseele denkt sich etwas dabei. Schang aber fantasierte sich einen feminin-ärztlichen Übergriff herbei, der ihm den Schweiss aus allen Poren trieb.
Da sass er also ganz verkrampft im Wartezimmer. Zum Glück war die bewährte Arztgehilfin Lilly Säuberli da. Er hatte am Telefon etwas von hohem Blutdruck gestottert, und den hatte er jetzt definitiv, plus Herzflimmern, plus den Datteri hinten und vorne, unten und oben.
Und das Wunder geschah. Frau Dr. Fröhlich war erfrischend humorvoll und sachlich. Sie hatte den alten Kümmerer sofort durchblickt und ihm die Hernie und den Kummer quasi durch die Hosen hindurch diagnostiziert. Der systolische Blutdruck mass tatsächlich 180, der Puls raste auf 134, was sie mit einem fröhlichen Kommentar abwiegelte: Ja, ja, die Aufregung halt. Und als sie mit einer kurzen, sicheren Untersuchung den Befund bestätigte und ihn tröstete, es sei alles halb so schlimm, hatte sie nicht nur eine saubere Diagnose gestellt, sondern auch eine wackelige männliche Seele repariert und damit einen kleinen Dienst an der Menschheit getan. Alles in Ehre und ohne blöde Sprüche.
Am nächsten Tag erklärte Schangi am Stammtisch stolz, er gehöre jetzt auch zu diesen «me-too»-Männern, die es getroffen habe. Nur umgekehrt. He jo: Ich auch, sagte er, «me too»: Auch ich habe jetzt eine Hausärztin – und was für eine!
Dr. med. Edy Riesen
Ehemaliger Redaktor PHC, pensionierter Hausarzt
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