Guter Wiedereinstieg nach längerer Absenz dank Arbeitsplatzprofil
Ausführliche Informationen für alle Seiten

Guter Wiedereinstieg nach längerer Absenz dank Arbeitsplatzprofil

Arbeitsalltag
Édition
2020/06
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-f.2020.10221
Prim Hosp Care Med Int Gen. 2020;20(06):208-210

Affiliations
Journalistin, im Auftrag von reWork Graubünden, Chur

Publié le 02.06.2020

Für langfristig krankgeschriebene Patientinnen und Patienten gestaltet sich der Wiedereinstieg in den Arbeitsalltag oft beschwerlich. Das Erstellen eines Arbeitsplatzprofils hilft allen Beteiligten dabei, die Arbeitssituation richtig einzuschätzen und macht oft bereits nach kurzer Zeit ein Teilzeitpensum möglich.

Der Patient ist nach einem Unfall oder einer Krankheit für mehrere Wochen krankgeschrieben. Die Hausärztin ist nun angehalten zu beurteilen, wie es um die ­Arbeitsfähigkeit des Betroffenen steht. Oft ist der ­Patient zu 100% krankgeschrieben, bis er wieder alle ­Arbeiten erledigen kann, die im jeweiligen Job anfallen. Denn es ist für die behandelnden Ärzte nicht einfach einzuschätzen, wann der Patient wieder mit seiner ­Arbeit beginnen kann, meist kennen die Ärztinnen und Ärzte den ­Arbeitsplatz und die Aufgaben ihrer Patienten nicht gut genug. Ein Arbeitsplatzprofil, das von Arbeitgeberseite gemeinsam mit dem Patienten erstellt worden ist, verändert diese Ausgangslage stark. Denn auf diesem Formular sind sowohl das Arbeitsumfeld (Arbeitssituation, Arbeitsplatz) wie auch die spezifischen Anforderungen für eine bestimmte Arbeitsstelle dargestellt. Dank ­diesem Formular sind die Ärztinnen und Ärzte sowie andere Involvierte bestens informiert, welchen Belastungen der Patient im Arbeitsalltag ausgesetzt ist.

Arbeitsstelle wird klar umschrieben

Das Ausfüllen eines Arbeitsplatzprofils bietet sich an, wenn der Arbeitgebende den Willen zeigt, seinen krank geschriebenen Arbeitnehmenden möglichst schnell und auch Teilzeit wieder arbeiten zu lassen. Die behandelnde Ärztin kann den Patienten auch anregen, ein solches gemeinsam mit dem Arbeitgebenden zu er­stellen, damit seine Beurteilung differenziert ausfallen kann. Ist das Pensum des Betroffenen dann beim Wiedereinstieg mit wenigen Arbeitsstunden festgelegt, wird es nach Möglichkeiten des Patienten kontinuierlich gesteigert, bis im besten Fall wieder jenes Arbeits­pensum erreicht worden ist, das vor der Krankschreibung gegolten hat.
Als Beispiel für ein Arbeitsplatzprofil wird hier das ­«Ressourcenorientierte Eingliederungsprofil» (REP) von Compasso beschrieben [1]. Der Verein Compasso betreibt ein Portal für Arbeitgeber zu Fragen der beruflichen Eingliederung an der Schnittstelle von Arbeit­gebern, Betroffenen, IV, Suva, Privatversicherern, Pensionskassen und weiteren involvierten Stellen und Beteiligten. Compasso ist breit abgestützt (compasso.ch).

Eine starke Zusammenarbeit

In Graubünden haben sich die Arbeitgebenden, das Gesundheitswesen, die Gewerkschaften sowie die Sozialversicherungen zum Netzwerk reWork zusammengetan, das den Dialog unter den Beteiligten und damit die schnelle Wiedereingliederung von Patientinnen und Patienten fördert. Auf rework-gr.ch werden viele Fragen zum Thema beantwortet und hier steht auch der Link zum Arbeitsplatzprofil REP, dessen Vorlage bei compasso.ch ausgefüllt und heruntergeladen werden kann. Diese Vorlage verhilft in wenigen Schritten zu einem Profil und kann vom Arbeitgebenden mit der aktuellen Arbeitsplatzsituation des Krankgeschriebenen ergänzt werden.
Das REP wird online vom Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden gemeinsam ausgefüllt. Die beiden stellen zusammen, welche Anforderungen der Betroffene am aktuellen Arbeitsplatz erfüllen muss. Themen sind hier nicht nur, ob die Arbeit sitzend oder stehend gemacht wird und in welcher Haltung, sondern auch mentale Fähigkeiten. Zum Beispiel die Konzentrationsfähigkeit, Kritikfähigkeit oder der Umgang mit Kundinnen und Kunden, falls dies für eine Stelle wichtig ist. So wird ein differenziertes Profil zu den Anforderungen des ­Arbeitsplatzes des Patienten erstellt. Oft können beide Seiten bei diesem Prozess davon profitieren, dass die aktuelle Stelle erstmals vollumfänglich analysiert wird. Der Arbeitgebende erfährt ausführlich und systematisch, mit welchen Anforderungen sein Angestellter tagtäglich konfrontiert ist und welche ­Aspekte er subjektiv als belastender und weniger belastend erlebt. Dadurch, dass der Arbeitgebende sich die Zeit nimmt, gemeinsam mit dem krankgeschriebenen Arbeitnehmenden das Profil zu erstellen, zeigt er Interesse am Tun seines Mitarbeitenden und setzt so für den Heilungsprozess bereits wirkungsvolle Vor­zeichen. «Ist der Auslöser für die Abwesenheit ein psychisches Leiden, ist dieses Signal ganz wichtig, denn oft ­fühlen sich die Betroffenen nicht verstanden und nicht gebraucht», führt Dr. med. Dipl. Theol. Michael Pfaff, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Chefarzt der Clinica Holistica Engiadina in Susch, auf Anfrage aus.

Dr. med. Edith Oechslin, Präsidentin Hausärzteverein Graubünden, im Interview zum «­Ressourcenorientierten Eingliederungsprofil» (REP)

Wo liegen die Herausforderungen für Ärztinnen und Ärzte, wenn Patientinnen oder Patienten langfristig arbeitsunfähig sind?
Wichtig ist, dass wir den Patienten nicht unrecht tun. Die Psyche ist ein grosser Faktor bei langfristigen Einschränkungen, aber auch das Ermessen des Patienten, wann er wieder wieviel tun kann. Das Ziel ist klar, dem Patienten eine Chance zu geben, geregelt zurück in den Arbeitsalltag kehren zu können. Er soll nicht über- aber auch nicht unterfordert werden. Wichtig ist dabei auch, dass der Arbeitgeber diese Situation erfasst und handelt. Der Ausschluss aus der Arbeitswelt und dem sozialen Leben soll möglichst kurz sein, denn das gibt auch Sicherheit.
Wie gelingt ein «gesunder und erfolgreicher Wiedereinstieg» aus ihrer Sicht?
Wir müssen den Patienten und auch den Arbeitgebenden motivieren, damit der schrittweise Einstieg gelingt. Der Patient muss lernen zu delegieren. Wenn er beispielsweise mit einem 20 %-Pensum anfängt, muss er seine Arbeit analysieren. Den wichtigsten Teil seiner Arbeit muss er in der kurzen Präsenzzeit im Büro ausführen. Alles weitere muss er an andere abgeben, damit sich ein qualitativ gutes Ergebnis einstellt. Der Patient lernt in dieser Zeit oft seinen Job besser zu verstehen. Wir müssen dann immer wieder hinterfragen, was er tut, ob mehr möglich wäre und auch den Mut haben, einmal einen Schritt zurück zu machen, falls wir zu optimistisch waren in der Einschätzung der Möglichkeiten. Für die Arbeitgebenden ist das ebenfalls eine Herausforderung.
Hilft Ihnen ein Arbeitsplatzprofil bei Patienten, die temporär arbeits­unfähig sind?
Es ist eine Unterstützung in der Beurteilung der Arbeitsstelle des Patienten. Es lohnt sich aber nur, wenn wirklich eine langfristige Absenz abzusehen ist. Das Ausfüllen des Protokolls dauert etwa 30 Minuten, eine normale Sprechstunde rund 15 Minuten. Das ist schon zeit­intensiv, aber es ermöglicht uns Ärztinnen und Ärzten auch einen Einblick in die Arbeitswelt des Patienten, den es einfach braucht für eine klare Beurteilung der Möglichkeiten. Üblicherweise bin ich ja nicht im Bilde, was alles zu den Tätigkeiten meiner Patirentinnen und Patienten gehört, beim Ausfüllen des Formulars tut sich hier die individuelle Arbeitswelt für mich auf.
Können Sie beschreiben, wie sich der Einsatz eines Arbeitsplatzprofils auf den Wiedereinstieg eines Patienten auswirkt?
Das Ausfüllen des Profils lässt den Patienten spüren, dass er von seinem Arbeitgebenden ernst genommen wird. Er soll ­motiviert werden, möglichst schnell die Arbeit wieder aufzu­nehmen und sich in die Arbeitswelt zu integrieren. Durch dieses schrittweise Vorgehen fühlt er sich dabei wohl und gefordert, statt überfordert.

Neueinschätzung bei jeder Visite

Gestärkt durch das gemeinsame Ausfüllen des Formulars mit dem Arbeitgebenden nimmt der Patient dieses zur nächsten Visite bei der Hausärztin mit. Ärztin und Patient ergänzen im gemeinsamen Gespräch das Arbeitsplatzprofil mit der Einschätzung, welche Bereiche der Arbeitsstelle zurzeit körperlich und geistig zu ­bewältigen sind, und welche noch nicht. Das dauert ­maximal eine halbe Stunde. Der Zusatzaufwand lohnt sich in der Regel ausserordentlich, denn durch das Abwägen, welche Arbeiten ein Patient an seinem aktuellen Arbeitsplatz bereits machen kann, kann er in den meisten Fällen viel früher wieder in den Arbeitsalltag einsteigen. Das wirkt sich sowohl auf die Motivation als auch auf das Team und seine Stellung im Betrieb positiv aus. Für den Arbeitgebenden ist das Know-how ­seines Arbeitnehmenden auf diese Weise schneller wieder ver­fügbar und er zeigt offen, dass der ausgefallene ­Arbeitnehmende für seine Unternehmung wichtig ist. Der Datenschutz wird beim REP nicht verletzt, da der Patient seine Ärztin für die spezifischen Auskünfte im Arbeitsplatzprofil vom Arztgeheimnis ­entbindet. Zudem sind im REP keine Angaben zur ­Diagnose vorge­sehen, und es wird explizit darauf hingewiesen, dass keine Diagnose im Profil erwähnt werden soll.
Für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte ist dank des Arbeitsplatzprofils eine differenzierte Beurteilung möglich: Sie können bei jeder Arbeitssituation einschätzen, ob der Krankgeschriebene die betreffende Anforderung erfüllen kann, und auch, wie lange. Muss der Arbeitnehmende zum Beispiel den ganzen Tag über Sitzen, dann schreibt die Ärztin vielleicht dazu, dass Sitzen durchaus möglich ist, aber nicht länger als vier Stunden. Oder ist ein Arbeitnehmender durchwegs stehend tätig, vermerkt die Ärztin, dass eine sitzende Tätigkeit bereits wieder möglich wäre. Auf dieser Grundlage kann der Arbeit­gebende entscheiden, ob allenfalls ein Umstellen des ­Arbeitsplatzes oder eine andere Tätigkeit im Betrieb möglich wären.
Der Austausch aller Beteiligten mit den Ärztinnen und Ärzten ist durch das Arbeitsplatzprofil gegeben, denn die Ärzte müssen die Situation am Arbeitsplatz immer wieder von neuem einschätzen. Wie läuft es an der Arbeitsstelle, ist vielleicht mehr möglich als beim Ausfüllen des Formulars gedacht, oder wurde der Arbeitnehmende mit den Einschätzungen überfordert? Bei jeder Visite kann erneut angeschaut werden, was möglich ist und was nicht, und so wird das Pensum Schritt für Schritt erhöht, bis wieder die volle Leistungsfähigkeit erreicht ist.

Alle sind auf demselben ­Informationsstand

Gerade bei psychischen Beeinträchtigungen stellen behandelnde Ärztinnen und Ärzte fest, dass eine enge Zusammenarbeit aller Betroffener einen sehr positiven Einfluss auf den Heilungsprozess hat. Der Arbeitgebende wird durch das Erstellen eines Arbeitsplatzprofils in den Prozess ­involviert, somit begleitet er den Arbeitnehmenden in der Regel verständnisvoll durch die Wiedereingliederung, die durchaus mehrere Monate dauern kann. Die Sicht der Vorgesetzten auf die derzeitigen Leistungen des Pa­tienten ist bei diesem Prozess unabdingbar. Arbeitnehmende werden durch einen frühen Wiedereinstieg in die Arbeitswelt mental gestärkt und Arbeitgebende pro­fitieren bei einer früheren Rückkehr ihrer Angestellten nicht nur von deren Ressourcen, sondern auch von ­stabilen Versicherungspolicen, da weniger Taggelder fliessen.
Michael Pfaff betont, dass das REP als Diskussionsgrundlage einen hohen Nutzen bietet: «Alle Seiten sind gut und insbesondere auch gleich ausführlich informiert, und so gibt es wenig Reibungspunkte während des Wiedereinstiegs.» Er stellt klar, dass die Gesundheit der Patientinnen und Patienten an erster Stelle steht. Dank des REP entwickle sich bei allen Beteiligten ein gutes Verständnis der ­Situation, damit nicht schon nach kurzer Zeit wieder ein grosser Druck auf den Mitarbeitenden liege. Nicht selten fordert der Patient selbst zu viel von sich und muss dann etwas gebremst werden, ­damit er nicht ­einen Rückschlag im Heilungsverlauf erleidet.

Entschädigung für Mehraufwand der ­Ärztinnen und Ärzte

Das Ausfüllen eines vom Arbeitgebenden gemeinsam mit dem Arbeitnehmenden erstellten Ressourcen­orientierten Eingliederungsprofils (REP) dauert für die Ärztinnen und Ärzte in der Regel rund eine halbe Stunde. Für diesen Aufwand werden sie gemäss ­Vor­gaben von Compasso vom ­Arbeitgebenden mit 100 Franken entschädigt. Dies auch, wenn im Verlauf der ­Wiedereingliederung mehr als einmal ein solches Formular vom Arbeitgebenden zur ärztlichen Beurteilung in Auftrag gegeben wird.
Susanne Taverna ist Text- und Medienverantwortliche bei der ­Werbeagentur Miux und hat diesen Text im Auftrag von reWork ­Graubünden geschrieben.
Susanne Taverna
Miux, Verantwortliche für Text- und Medienarbeit, Kommunikation
Kirchgasse 4
CH-7000 Chur
Na[at]miux.ch
1 Kaiser M, Klipstein A, Knöpfel R, Rattin U, Vallon P. Ressourcen­orientierte Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Schweiz ­Ärzteztg. 2019;100(26):886–8.