access_time veröffentlicht 11.01.2023

«Die Antwort auf die Frage mit dem Bauer aus Minnesota ist ‘D’»

«Die Antwort auf die Frage mit dem Bauer aus Minnesota ist ‘D’»

11.01.2023

Interview mit Jürg H. Beer

Das Interview führte Ursula Käser, Verantwortliche Bereich Qualität, Weiter- und Fortbildung, SGAIM

Herr Prof. Beer, Sie arbeiten bereits lange in der Facharztprüfungskommission mit und kennen diese bestens. Was hat Sie persönlich dazu motiviert, das Amt des Präsidenten der Facharztprüfungskommission zu übernehmen?

Über die vielen Jahre des Berufslebens habe ich mich mit der Lehre und der Examination der Lehrinhalte befasst, mündliche und schriftliche Examina abgenommen und diese mit meinen Studentinnen und Studenten sowie Assistentinnen und Assistenten kritisch hinterfragt. Mein Anliegen war stets, in der Prüfung praxis-relevanten Lerninhalt einzubauen, Evidence-based medicine (EBM) und wichtige Teaching points zu haben, mit Clinical decision making gute Entscheide in der Grauzone zu fördern («am ehesten»), und dann aber klare und wissenschaftlich, inhaltlich und statistisch korrekte, faire und repräsentative Prüfungen – notabene für eine riesige Kandidatenzahl (>1000 im Jahr 2022) – anbieten zu können. Deshalb erachte ich die Aufgabe als zentral, die Fachgesellschaft und die Kandidatinnen und Kandidaten in diesem Ziel zu unterstützen und die Examina weiterzuentwickeln. Ich erinnere mich noch gut, dass nach dem Sichten/Auswendiglernen der Fragen vor vielen Jahren das Statement kursierte: «Die Antwort auf die Frage mit dem Bauer aus Minnesota ist ‘D’». Der Effekt des Auswendiglernens wurde durch die Publikation unserer Analyse der neuen helvetischen Fragen statistisch/wissenschaftlich objektiviert und die damit verbundenen Fragen beantwortet. Das Halten und Weiterentwickeln einer modernen Prüfung, die einer wissenschaftlichen Analyse standhält und praxisrelevante klinische Lerninhalte kritisch abholt, ist genügend Motivation – wohl wissend, dass damit ein sehr grosser Aufwand, insbesondere für die Präsidentschaft, verbunden ist.

Die Geschäftsstelle wurde in der Vergangenheit öfters gefragt, ob wieder mündliche Prüfungen geplant sind. Können Sie uns hierzu etwas Näheres sagen?

Das ist nicht so vorgesehen. Die mündlichen Prüfungen habe ich selbst über viele Jahre abgenommen, und sie hatten den grossen Vorteil, dass das erfahrende Examinator-Team «clinical skills», «attitudes», Kommunikation, interaktive Fragen und Antworten, Argumentationsketten etc. abholen konnte. Für viele Kandidatinnen und Kandidaten war das Examen (meist positiv!) prägend, und der zu behandelnde Fall blieb gar nach Jahrzehnten in lebhafter Erinnerung. Solche Aspekte kann und will die MC-Prüfung nicht ersetzen. Zudem war der Aufwand riesig, und die Notengebung/«Strenge» divergierte je nach Examinator massiv und war definitionsgemäss nicht standardisierbar. 

Die Kandidatinnen und Kandidaten haben diese Aspekte in ihrer klinischen Weiterbildung am Krankenbett gelernt, weisen das Teaching der Weiterbildungsstätten aus, die Mini CEX und DOPS etc.

Das MC-Examen birgt die Vorteile der Standardisierbarkeit, der klaren Aussagen, der für alle Kandidatinnen und Kandidaten gleichen Bedingungen und der Möglichkeit der Analyse zwischen den Kandidatinnen und Kandidaten, den Examina sowie den spezifischen, einzelnen Fragen über die Zeit. Der Aufwand ist natürlich immer noch sehr gross. Eine gute Vorbereitung der Kandidatinnen und Kandidaten, nochmals das gesamte Gebiet der Allgemeinen Inneren Medizin zu sichten und anzuwenden, ist eine Chance. Stateoftheart helvetische Fragen mit EBM zu entwickeln, fordert unsere erfahrenen Kaderärztinnen und Kaderärzte heraus und gibt die Chance, gezielt relevanten Lerninhalt aus der Klinik zu vermitteln.

Welche Vision haben Sie für die Facharztprüfung der Allgemeinen Inneren Medizin der Zukunft?

Hier bin ich von der Zeit in New York geprägt, wo bei dieser Frage oft Woody Allen zitiert wurde («When I have visions, I go and see my psychiatrist»). Im Ernst, ich stelle fest, dass Uli Stoller und die Examenskommission zusammen mit dem IML und den internistischen Chef- und Leitenden Ärztinnen und Ärzten, die die helvetischen Fragen generierten, unglaublich gute Vorarbeit geleistet haben. Die bewährten Kommissionsmitglieder aus der Praxis schätzen wir sehr wegen ihrer kritischen Fragen und des Inputs zur Praxisrelevanz. Wir werden weiteren «Zufluss» von neuen, intelligenten helvetischen Fragen brauchen; die Fragen veralten rascher denn je, neues Wissen muss eingebaut werden, Fragen werden ersetzt. Dies braucht eine «kontinuierliche Motivation» innerhalb unseres traditionellen und erfolgreichen Schweizer «Miliz-Konzepts».

Wir werden zukünftig auch sorgfältig prüfen, welche Vorteile z.B. die Tablet-basierten Prüfungen und elektronischen Anpassungen einbringen, wie sie bei anderen Prüfungen und in anderen Ländern teilweise bereits eingesetzt werden (interaktive Fragen, audiovisuelle Möglichkeiten, Äusserungen von Patientinnen und Patienten, Geräusche, kurze visuelle Szenen von Patientinnen und Patienten etc.); interessante, sich öffnende Folge-Fragen aufgrund einer spezifischen Antwort würden möglich. Länger beschriebene Fallvignetten könnten so gekürzt werden. Eine wichtige Rückmeldung unserer Kandidatinnen und Kandidaten sind die z.T. längeren Fragen, die aufmerksame «reading skills» verlangen und audiovisuell interessant abgekürzt werden könnten. Ich freue mich auf diese anspruchsvolle Aufgabe.

Abbildung 1: Die Abbildung illustriert sehr schön den Effekt des Auswendig-Lernens von Fragen auf deren Schwierigkeitsgrad: Die MKSAP-Fragen 2015/2016 (rote Säulen) konnten im ersten Examen noch eingesehen resp. «gelernt» werden, im 2. Gebrauch nicht mehr. Dies ergab eine signifikante Steigerung des Schwierigkeitsgrades (je höher der Balken, desto leichter), während die weiterhin einsehbaren Fragen (MKSAP-17, grüne Balken) denselben Wert ergaben. Die helvetischen Fragen dagegen waren erfreulich stabil und auch reproduzierbar im Schwierigkeitsgrad; sie entsprachen den nicht einsehbaren MKSAP-15/16 Fragen beim 2. Gebrauch (rot, second use), was ihre hohe Qualität bestätigt.

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