access_time veröffentlicht 14.02.2023
«Ich möchte uns Hausärztinnen und Hausärzten aus der Peripherie eine Stimme geben»

«Ich möchte uns Hausärztinnen und Hausärzten aus der Peripherie eine Stimme geben»
14.02.2023
Dr. med. Myriam Oberle tritt die Nachfolge vom langjährigen Vorstandsmitglied Dr. med. Romeo Providoli an und tritt damit in grosse Fussstapfen. Wie sie das Amt als Vorstandsmitglied in der SGAIM mit Beruf und Privatleben vereinbart, was ihr an der hausärztlichen Tätigkeit gefällt und welche Herausforderungen ihren Berufsalltag prägen, erzählt sie im Interview.
Was hat Sie an der Tätigkeit als Vorstandsmitglied der SGAIM gereizt?
Neben meiner Tätigkeit als Hausärztin interessieren mich diverse andere Aspekte der Medizin – so auch die Standespolitik. Der Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen aus der ganzen Schweiz reizt mich. Zu hören, welche Herausforderungen und Probleme für sie im Vordergrund stehen, sich auszutauschen und gemeinsam Lösungen zu finden, ist spannend und bereichernd. Die Nähe zu den politischen Diskussionen und zu Entscheidungsträgern reizen mich ebenfalls. Ich möchte aber vor allem uns Hausärztinnen und Hausärzten aus der Peripherie eine Stimme geben. Gerne bringe ich meine Erfahrungen aus den Feldern Grundversorgung, Spitalmedizin, Notfallmedizin sowie Aus-, Weiter- und Fortbildung in den Vorstand der SGAIM ein.
Wie vereinbaren Sie die Vorstandstätigkeit mit Beruf und Privatleben?
Das Wichtigste ist eine gute, vorausschauende Organisation, denn neben meiner Funktion als Mutter von drei Kindern und meiner Praxistätigkeit gilt es nun auch die Vorstandstätigkeit unterzubringen. Einige kleinere Ämter musste ich dafür aufgeben, denn allen Aufgaben gerecht zu werden, liegt nicht drin. Ich habe ein unschätzbar wertvolles, supportives Umfeld, ohne dessen Unterstützung ich all diese Tätigkeiten nicht unter einen Hut bringen würde. So haben wir eine wunderbare Tagesmutter, die unsere Kinder seit 10 Jahren betreut. Sie gehört sozusagen zur Familie und springt ein, wenn Not am Mann (oder an der Frau) ist.
Unser tolles Praxisteam trägt ebenfalls viel dazu bei, dass ich mich anderweitig als nur für den Praxisbetrieb engagieren kann. Und drittens geben mir mein Mann und meine Kinder Rückhalt und unterstützen mich. Energie tanke ich beim Sport in der Natur, sei es im Winter beim Langlauf oder Skitouren oder im Sommer beim Laufen oder Biken. Bereits kleine Inselchen fernab vom hektischen Alltag helfen mir, den Kopf zu «verlüften» und mit neuem Elan an die Dinge heranzugehen.
Was schätzen Sie an der Tätigkeit als Hausärztin?
Die Nähe zu den Menschen! In unserer faszinierend schönen Bergregion sind die Patientinnen und Patienten vertrauensvoll und dankbar, manchmal auch etwas eigenwillig. Mein Arbeitsalltag ist sehr vielseitig, da wir ein breites Spektrum von der Schwangerenbetreuung bis zur palliativen Begleitung zu Hause anbieten. Die Traumatologie und Notfallmedizin kommen auch nicht zu kurz und sorgen für Abwechslung.
In unserem Dorf kennt man sich, und das Wissen über die sozialen Kontextfaktoren erleichtert es einem, die Patientinnen und Patienten entsprechend zu betreuen.
Ich bin gerne meine eigene Chefin, bin gleichzeitig aber auch Teil eines interprofessionellen Teams und kann innerhalb unseres Betriebes vieles selber gestalten und umsetzen. In der Lehre tätig zu sein und junge, werdende Ärztinnen und Ärzte in den Praxisalltag einzuführen, ist für mich bereichernd. Ihre Fragen führen dazu, dass man das eigene Denken und Handeln kritisch hinterfragt.
Welche aktuellen Herausforderungen sehen Sie für den Fachbereich der Allgemeinen Inneren Medizin?
Eine solide Grundversorgung ist meines Erachtens der wichtigste Grundstein für eine gute, effektive und schlussendlich auch kostengünstige Medizin in der Schweiz. Die Allgemeine Innere Medizin deckt diese Grundversorgung zusammen mit den Pädiaterinnen und Pädiatern ab und sollte entsprechend gefördert werden. Es braucht den patientennahen «Gatekeeper», der die Patientinnen und Patienten führt, denn durch die zunehmende Spezialisierung wird die Medizin für die Patientinnen und Patienten zu einem unübersichtlichen Dschungel. Die Finanzierungsfrage ist eine grosse Herausforderung, wobei ich hierbei auch die Auseinandersetzung zwischen stationärem und ambulantem Bereich als Schwierigkeit sehe. In der Lehre und der Betreuung der heranwachsenden Hausärztinnen und Hausärzte haben wir ungelöste Fragen, zu deren Lösung ich beitragen möchte. Insgesamt möchte ich die Allgemeine Innere Medizin und die Grundversorgung durch engagierte Hausärztinnen und Hausärzte stärken – als vielseitigen und wertvollen Beruf mit einer grossen Nähe zu den Menschen.
Zur Person
Dr. med. Myriam Oberle ist Hausärztin in einer Gemeinschaftspraxis in Jenaz, Graubünden, und ist als kantonale Fortbildungsdelegierte der SGAIM, als Dozentin am Universitätsspital Zürich und als Lehrpraktikerin am Institut für Hausarztmedizin der Universität Zürich tätig. Sie tritt in 2023 die Nachfolge von Dr. med. Romeo Providoli im SGAIM-Vorstand an.
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